"Der Präsident der Vereinigten Staaten und der Präsident der Palästinensischen Behörde!" intonierte ein Sprecher des Weißen Hauses, als die beiden Spitzenpolitiker während des jüngsten Besuches von Mahmud Abbas in Washington vor die Journalisten traten. Auch George Bush nannte seinen Besucher "Präsident Abbas", obschon es im Büro von Premier Sharon einiges Zähneknirschen gab. Fast alle israelischen Medien haben diesen Vorgang schweigend übergangen. Doch es könnte sein, dass von den Früchten, die Mahmud Abbas angesichts des neuerlich entspannten Verhältnisses zu den USA erntete, diese Anrede die bedeutsamste war. Auch der Besuch von Außenministerin Rice am Wochenende in Ramallah ließ spüren, dass sich die Beziehungen zwischen der Autonomie-Behörde und der US-Regierung von einem toten Punkt gelöst haben.
Um dies zu verstehen, muss man in der Geschichte des Nahost-Konfliktes etwas zurückgehen. Bei den Verhandlungen, die 1993 zum Oslo-Abkommen führten, gab es zahlreiche Kontroversen um den richtigen Titel für Yassir Arafat. Die Palästinenser forderten, er solle "Präsident" genannt werden, die Israelis waren nur mit "Vorsitzender" einverstanden, weil "Präsident" wie "Staatsoberhaupt" klang. Staaten pflegen Präsidenten zu haben, gewöhnliche Institutionen hingegen Vorsitzende. Die Israelis wollten unter keinen Umständen zulassen, dass der palästinensischen Behörde, die durch das Abkommen aufgebaut werden sollte, Attribute eines Staates verliehen wurden. Die Besonderheiten der arabischen Sprache ermöglichten einen Kompromiss, schließlich gibt es dort keinen Unterschied zwischen "Präsident" und "Vorsitzender" - beide werden "Ra´is" genannt. Deshalb hieß es später im Vertrag bei allen drei Versionen (englisch, hebräisch, arabisch), der Chef der palästinensischen Behörde werde den Titel "Ra´is" tragen.
Seitdem bestanden sowohl alle israelischen Medien als auch alle israelischen Politiker darauf, Arafat den "Vorsitzenden der Palästinensischen Behörde" zu nennen. Heute kleben sie dieses Etikett Mahmud Abbas an, so dass es ein Schlag ins Kontor war, als Bush seinen Gast mit "Präsident Abbas" ansprach und damit das Prestige des palästinensischen Führers erhöhte. Der nächste Schritt könnte eine Aufwertung der Behörde selbst sein. In Oslo verlangten die Palästinenser, man solle sie "Palästinensische Nationalbehörde" nennen, während die Israelis lediglich "Palästinensische Behörde" billigen wollten. Als die Palästinenser später Briefmarken mit der Aufschrift "Palästinensische Nationalbehörde" auflegten, waren sie gezwungen, den ganzen Satz einzustampfen, dennoch tragen heute alle offiziellen Dokumente der Behörde die stolze Aufschrift "Palästinensische Nationalbehörde".
Eine ähnliche Schlacht fand seit Oslo um den Namen "Palästina" statt. Als die Palästinenser Beobachter-Status bei der UNO erhielten, stand auf ihrem Namensschild "Palästinensische Befreiungsorganisation". Nach zähem Kampf ersetzte man dieses durch ein anderes, mit der Aufschrift "Palästina". Immer mehr internationale Institutionen erkennen jetzt die Entität "Palästina" an - als ob es den Staat schon gebe.
Natürlich nicht in Israel. Zwar ist inzwischen sogar Ariel Sharon einverstanden, wenn die Palästinenser das - vom ihm gewünschte - Inselreich der nicht zusammenhängenden Enklaven einen "Palästinensischen Staat" nennen. Aber kein sich selbst achtender Israeli wird den Namen "Staat Palästina" über seine Lippen bringen. Eher wird der Oberrabbiner - Gott behüte! - öffentlich Schweinefleisch essen.
Was hat Mahmud Abbas in den vergangenen Wochen bei den Amerikanern außerdem erreicht? Sehr viel und sehr wenig - je nach Standpunkt. Wenn man alles resümiert, was bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt wurde, erhält es eine neue Bedeutung. Und Quantität wird zu Qualität.
Nach George Bush wird es einen "Staat Palästina" geben, nur ein Zeitplan existiert noch nicht. Doch der US-Präsident sprach über "Gaza, die Westbank und Jerusalem". Die Erwähnung von Jerusalem ist ein Schlag gegen Sharon, der immer wieder erklärt hat, ganz Jerusalem bleibe "für alle Ewigkeit" israelisch. In der Vergangenheit gab er dieselbe Erklärung für die Nezarim- und Kfar Darom-Siedlungen im Gazastreifen ab, die jetzt angeblich in drei Monaten geräumt werden. Eine kurze Ewigkeit.
Die Grenzen zwischen Israel und Palästina sollen - Bush zufolge - nur durch Verhandlungen und nach gegenseitigem Einverständnis festgelegt werden. Wie stimmt dies mit seiner schriftlichen Versicherung gegenüber Sharon überein, dass die "großen Bevölkerungszentren" (also die großen israelischen Siedlungen in der Westbank) ein Teil Israels werden? Vielleicht gibt es da keinen Widerspruch, denn bei diversen Gelegenheiten haben die Palästinenser erklärt, sie seien mit einem begrenzten Gebietsaustausch im Verhältnis 1:1 einverstanden.
Die US-Diplomatie hat bisher weder gegenüber den Israelis noch gegenüber den Palästinensern präzisiert, an welche "Bevölkerungszentren" gedacht ist. Sharon erwähnt immer Maale Adumim, Ariel, Gush Ezion und andere Camps. Aus amerikanischen Äußerungen kann entgenommen werden, Bush schließe Maale Adumim nicht ein, denn dessen Annexion würde die Westbank zweiteilen - auch nicht Ariel, das 25 Kilometer von der Grünen Linie entfernt liegt. Aber nahe dieser Linie gelegene Siedlungen wie Alfei Menasche, Modiin Illit, Efrat und Betar Illit könnten in die amerikanische "Vision" eingeschlossen sein. Der US-Präsident pflegt zu sagen, dies sei die US-Position für sämtliche Verhandlungen. Was meint er damit? Dass dies auch für seine Nachfolger verbindlich sei? Oder dass er die Verhandlungen bis zum Ende seiner Amtszeit 2008 abgeschlossen haben will?
Das alles mag angenehm in Mahmud Abbas´ Ohren klingen, ändert nur nichts daran, dass im Augenblick alles so weiter geht wie bisher: der Mauerbau, die Annexion von Land, der Ausbau der Siedlungen. Mit den neuen Tönen könnten sich allerdings allmählich auch die Fakten wandeln.
Ariel Sharon befindet sich in der peinlichen Situation eines Mannes, der mit seiner Frau im Bett liegt und zu seiner Überraschung entdeckt, dass sich dort nicht nur ein weiterer Mann aufhält, sondern sogar ein Präsident. Er wird natürlich alles Mögliche tun, um ihn los zu werden.
Aus dem Englischen von Ellen Rohlfs
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