Der Präsident reitet dem Sonnenuntergang entgegen

Bushs neue Nahost-Initiative Die Palästinenser sollen zurück ins Jahr 1994 und "Institutionen" aufbauen, die sie längst haben

In dieser Woche reist US-Außenministerin Condoleezza Rice durch den Nahen Osten, um Reaktionen auf die neuen Pläne ihres Präsidenten einzuholen. Mitte Juli hatte George Bush in einer Rede mit Nachdruck die Zwei-Staaten-Lösung beschworen und Israelis wie Palästinenser zu Konzessionen aufgefordert. Im Herbst soll es nach dem Willen der Amerikaner eine internationale Nahost-Konferenz geben.

In einem klassischen Western ist der Unterschied so klar wie die Mittagssonne in Colorado: Es gibt die guten und die bösen Kerle. Die guten sind die Siedler, deren Fleiß die Prärie zum Blühen bringt. Die bösen sind die Indianer, die blutdurstigen Wilden. Der größte Held ist immer der Cowboy, menschlich, zäh und jederzeit bereit, sich mit einem großen Revolver zu verteidigen.

George Bush, der mit diesen Mythen aufwuchs, hält sich bis heute daran. Gerade stellte er der Welt einen neuen Up-to-Date-Western oder besser - Middle-Eastern - vor, in dem sie nicht fehlen, die guten und die bösen Kerle. Die Guten sind die "Moderaten", mit den USA in Nahost Verbündeten: Israels Olmert, Mahmud Abbas und die pro-amerikanischen Regimes. Die Bösen geben Hamas, Hisbollah, Iran, Syrien und al-Qaida.

Ein so simples Drehbuch, dass es auch ein Achtjähriger versteht. Die Schlussfolgerungen sind genauso simpel: Den Guten muss geholfen werden, die Bösen sollen verrecken. Am Ende gibt es den Helden George, der auf seiner edlen Stute dem Sonnenuntergang entgegen reitet.

Wie ein Hieb mit dem Schwert

Nicht selten erscheint im klassischen Western auch ein Gauner, der Patentrezepte verkauft, mit denen sich fast alles heilen lässt: Kopfschmerzen, Hämorriden, Tuberkulose, Syphilis. George Bush hat auch ein solches Rezept, wie er in seiner jüngsten Nahost-Rede durchblicken ließ. Auf dem Etikett der Arznei steht: "Aufbau palästinensischer Institutionen".

Warum bloß sind wir bis jetzt nicht darauf gekommen? Warum versuchten wir alle möglichen Lösungen und übersahen die eine? Es ist wie ein Hieb mit dem Schwert Alexanders des Großen, der den Gordischen Knoten zerschlug. Die Palästinenser haben keine Institutionen, sondern nur zwei gute Leute, "Präsident Abbas und Premier Fayad, sie kämpfen darum, Institutionen für eine moderne Demokratie zu bauen", sagt Bush. "Das heißt, Sicherheitsdienste, Ministerien, die Dienste ohne Korruption liefern... Schritte, die das natürliche Unternehmen des palästinensischen Volkes voranbringen." Was 1994 geschah, als die Autonomiebehörde entstand, ist erledigt.

All dies soll freilich unter der Besatzung stattfinden, hinter Mauern und Straßensperren, während die Hauptstraßen für Palästinenser versperrt sind, während die Westbank in Stücke geschnitten und vom Rest der Welt abgetrennt bleibt. (Übrigens hat Bush in dieser Hinsicht noch ein anderes Rezept: Alle palästinensischen Exporte sollen künftig nach Jordanien und Ägypten gehen, aber nicht nach Israel.)

Um die Vision vom "Aufbau palästinensischer Institutionen" zu realisieren, schickte Bush zunächst seinen Pudel. Laut US-Regierung ist es Tony Blairs einzige Aufgabe, "die internationalen Bemühungen zu koordinieren, um die Palästinenser bei der Errichtung der Institutionen für eine dauerhafte freie Gesellschaft zu unterstützen."

Hoffen wir, dass keiner so unhöflich ist und die Tatsache erwähnt, dass vor nicht allzu langer Zeit die Palästinenser demokratische Wahlen für ihr Parlament abgehalten haben und zwar unter strenger Aufsicht des Ex-Präsidenten Jimmy Carter. So weit es George Bush betrifft, hat es diese Wahlen nicht gegeben, da sich die Mehrheit des palästinensischen Volkes für Hamas entschied. Er erwähnt nur die Wahlen, die vorher stattfanden und bei denen Abbas ohne Gegenkandidaten zum Präsidenten gewählt wurde. Alles andere wird unter den Teppich gekehrt.

Dies ist also die Up-to-Date-Vision: Nachdem die "demokratischen palästinensischen Institutionen" aufgebaut und frei von Korruption sind (wie in den USA und in Israel), "kompetente Sicherheitskräfte funktionieren" (Bush) und Hamas eliminiert worden ist, die bewaffneten Gruppierungen entwaffnet und alle Angriffe auf Israel aufgehört haben, und die Sicherheit Israels abgesichert ist und die Hetze gegen Israel aufgehört hat, und jeder Israels Recht, als "jüdischer Staat und Heimstätte für das jüdische Volk" (Bush) zu existieren, und alle unterzeichneten Abkommen der Vergangenheit anerkannt hat - dann können "wir bald damit beginnen, ernsthafte Verhandlungen in Richtung eines palästinensischen Staates" (Bush) zu führen.

Welch wunderbarer Satz! "Bald" - ohne festen Termin. "Ernsthafte Verhandlungen" - ohne ein ungefähres Datum für ihren Abschluss. "Einen palästinensischen Staat" - ohne genaue Grenzen. Doch ein Wink wird gegeben, Bush sagt: "... in gegenseitig anerkannten Grenzen, die frühere Grenzlinien und die augenblickliche Realität berücksichtigen und gegenseitig anerkannte Veränderungen." Was heißt "gegenseitig anerkannte Veränderungen" - werden dann die Siedlungsblöcke und einiges mehr von Israel annektiert?

Es scheint so, als hätten Bushs Ghostwriter nach Abschluss ihres Redemanuskripts bemerkt, dass es ihm in bedauernswerter Weise an Inhalt mangelt. Nichts Neues, was eine Schlagzeile wert sein könnte. Ich stelle mir vor, die Berater sagen: "Herr Präsident, wir müssen noch etwas hinzufügen, etwas Neues." So wurde das "internationale Treffen" geboren.

Bush: "Ich werde ein internationales Treffen in diesem Herbst zusammenrufen mit Vertretern aus Nationen, die eine Zwei-Staaten-Lösung unterstützen, Gewalt verwerfen, Israels Existenzrecht anerkennen und sich allen früheren Abkommen zwischen den Parteien verpflichtet fühlen. Die Hauptteilnehmer bei diesem Treffen werden die Israelis, die Palästinenser und ihre Nachbarn in der Region sein. Außenministerin Rice wird den Vorsitz übernehmen."

Olmert will die Saudis treffen

Wunderbar. Eine Konferenz, die noch kein Datum hat, aber eine Jahreszeit. Und für die es noch keinen Tagungsort gibt und keine geplanten Schlussfolgerungen - bis auf das, was Bush mit seiner Rede vorgibt: "Sie (Condoleezza Rice - U.A.) und ihre Kollegen werden den Fortschritt überprüfen, der beim Aufbau der palästinensischen Institutionen gemacht worden ist. Sie werden nach innovativen und effektiven Wegen Ausschau halten, um weitere Reformen zu unterstützen. Und sie werden den Parteien diplomatische Hilfe bei ihren bilateralen Gesprächen geben, damit wir uns erfolgreich auf einem Weg zu einem palästinensischen Staat voran bewegen ..."

Nicht zufällig hat Bush vergessen, die Regierungen zu nennen, die er einzuladen beabsichtigt. Er wird natürlich versuchen, Olmerts lang gehegten Traum zu erfüllen, der gern eine hochrangige Vertretung Saudi-Arabiens öffentlich treffen will. Für Olmert ein ungeheueres Ziel: Eine offizielle Begegnung mit dem bedeutendsten arabischen Land, das kein Friedensabkommen mit Israel hat. Ein Treffen, für das er nichts zu zahlen hätte. Freilich erscheint zweifelhaft, ob dieser Wunsch in Erfüllung geht. Die Saudis sind äußerst vorsichtig, sie wollen keinen Streit mit irgend jemandem in der Region - nicht mit Syrien (das nicht eingeladen werden dürfte, obwohl es ein "Nachbar" der Israelis und Palästinenser ist) und nicht mit Hamas. Saudi-Arabien kann nicht wie Jordanien oder die palästinensische Autonomiebehörde mit Geld bestochen werden. Es hat genug eigenes.

Das Endziel ist ein "palästinensischer Staat" - ein weit entferntes Ziel. Nicht zufällig wird es von Bush als "politischer Horizont" bezeichnet. Der Horizont, wie bekannt sein dürfte, entfernt sich immer weiter, je mehr man sich ihm zu nähern versucht.

Chaim Weizmann, der erste Präsident Israels, meinte einmal: "Kein Staat wird einem Volk auf einem Silbertablett dargereicht." In der Tat, auch die Palästinenser werden ihren Staat nicht ohne Kampf bekommen, weder als Trinkgeld von Bush noch als "Geste" von Olmert. Nationen erlangen ihre Freiheit durch politischen oder militärischen Kampf. Jeder Kampf ist eine Sache der Macht. Und Macht bedeutet in erster Linie: Einheit.


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