Der Spielverderber bleibt sich treu

Israel Auch wenn mit dem Iran nun verhandelt wird, droht Benjamin Netanjahu weiter mit einem Angriff. auch wenn jeder weiß, dass es da keinen Alleingang geben kann
Ausgabe 42/2013
Benjamin Netanjahu
Benjamin Netanjahu

Foto: Lior Mizrahi/ AFP/ Getty Images

Es war die Rolle des Lehrers der Welt, die Benjamin Netanjahu vor einem Jahr bei seinem Auftritt vor der UN-Vollversammlung übernommen hatte. Er benutzte primitive Unterrichtshilfen, zeichnete mit roter Tinte eine Linie auf eine Schautafel, um die iranische Bombe zu symbolisieren. Als redete er vor keiner diplomatischen Elite, sondern vor Grundschülern.

Genau zwölf Monate später gab der Premier in New York vor gleichem Auditorium zu verstehen, dass naiv oder einfach nur dumm sei, wer die jüngsten Offerten aus Teheran ernst nehme. Präsident Mahmud Ahmadinedjad sei „ein Wolf im Wolfspelz“ gewesen – der Nachfolger Hassan Rohani „ein Wolf im Schafspelz“. Vielleicht war das eine gönnerhafte Rede zu viel. Netanjahu hätte sie lieber in dem Bewusstsein halten sollen, dass viele Delegationen bei der 68. UN-Generalversammlung erleichtert aufatmeten ob der neuen Töne aus Teheran.

Seit dieser Woche nun gibt es in Genf eine neue Runde der G5+1-Atomverhandlungen zwischen den fünf Vetomächten des Sicherheitsrates und Deutschland sowie dem Iran. Es handelt sich um das erste Treffen dieser Art seit Amtsantritt des neuen Präsidenten, der zu glauben scheint, man werde sich einigen, ohne das iranische Nuklearprogramm und die Urananreicherung aufzugeben. Noch zuversichtlicher schien Außenminister Mohammed Dschawad Sarif, als er Mitte September in New York seinem US-Kollegen John Kerry anbot, sich innerhalb eines Jahres zu einigen und die gefundene Lösung in einem Jahr umzusetzen. Was Sarif bestärkte, war offenbar, dass Präsident Obama vor den Vereinten Nationen das Recht des Iran auf einen friedlichen Gebrauch der Kernenergie bestätigt hatte.

Auch wenn die israelische Regierung überzeugt sein mag, dass die Ayatollahs notorische Lügner sind – ist es weise, den Serien-Spielverderber zu geben? Netanjahu könnte doch wenigstens einmal sagen: „Wir hören mit großer Aufmerksamkeit, was uns Herr Rohani zu sagen hat. Zusammen mit der ganzen Welt haben wir die Hoffnung, dass die iranische Führung seriös handelt und durch ernsthafte Diplomatie eine faire Lösung finden hilft. Andererseits können wir nicht ignorieren, dass diese Offensive nur eine Nebelwand ist, hinter der die inneren Feinde des Herrn Rohani weiter an der Atombombe bauen, die uns alle bedroht. Daher erwarten wir, dass bei Verhandlungen äußerste Vorsicht waltet.“

Churchills Wiedergeburt

Stattdessen droht Netanjahu schärfer als bisher mit einem israelischen Angriff. Er zieht einen Revolver hervor, der – wie jedermann weiß – leer ist. Egal, ob eine Militäraktion irgendwann einmal eine realistische Option gewesen ist, so steht heute außer Frage: Die US-Öffentlichkeit ist dagegen. Und dass Netanjahu allein handelt, ist angesichts eines großen Unbehagens im Weißen Haus so wahrscheinlich, als würde Israel eine Siedlung auf dem Mond errichten. Dennoch gibt es aus Jerusalem weiterhin martialische Statements: „Wenn wir allein stehen müssen, dann werden wir allein stehen!“

Woran erinnert mich das? 1940 hingen in Palästina – und ich vermute im gesamten britischen Empire – Propaganda-Plakate. Frankreich war besiegt, Hitler noch nicht in die Sowjetunion eingefallen, Amerika weit davon entfernt, in Europa einzugreifen. Und doch zeigte das Poster einen unerschrockenen Winston Churchill und seinen Schwur: „Nun gut, dann eben allein!“ Sieht sich Netanjahu als Wiedergeburt Churchills? Und wo bleibt dabei Obama? Ist er in Netanjahus Vorstellungen der moderne Neville Chamberlain? Der Beschwichtiger, der einst mit einem Blatt Papier wedelte, „den Frieden in unserer Zeit“ proklamierte und so eine große Gefahr für sein Land herauf beschwor? Hoffentlich ist der Realitätsverlust in der israelischen Politik nicht so weit fortgeschritten, sich ausgerechnet mit dieser Reminiszenz zu trösten.

Was ist großartig daran, sich in der Iran-Frage zu isolieren? Isolation bedeutet Schwäche, schwindende Sicherheit. Es ist der Job eines Staatsmannes, Partnerschaften aufzubauen und die internationale Stellung seines Landes zu stärken. Benjamin Netanjahu liebt es in letzter Zeit, alte zionistische Weisen zu zitieren: „Wenn ich nicht für mich bin, wer ist dann für mich?“ Er unterlässt es, diese Sequenz zu vervollständigen: „Und wenn ich allein bin, was bin ich dann?“

Uri Avnery schrieb zuletzt Anfang des Jahres über die Knessetwahl

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