Die Rückkehr eines Verstoßenen

Israel Bei der Neuwahl Anfang 2009 ist mit einem Durchmarsch von Benjamin Netanyahus Likud zu rechen, sagen die Demoskopen

Gerade erschienen in der Zeitung Haaretz zwei Dokumente neben einander, ein großes Inserat der PLO und die Ergebnisse einer Meinungsumfrage. Die Nähe schien zufällig, wirkte allerdings pointiert. Das PLO-Inserat bezieht sich auf den saudischen Friedensplan von 2002 - die Umfrage prophezeit einen überwältigenden Sieg von Benjamin Netanyahus Likud-Partei, die jedes Wort des saudischen Vorschlages ablehnt.

Noch nie haben sich PLO-Führer per Inserat direkt an die israelische Öffentlichkeit gewandt, um ihr die genauen Bedingungen eines gesamt-arabischen Friedensangebots mitzuteilen: volle Anerkennung des Staates Israel durch alle arabischen und muslimischen Staaten und völlige Normalisierung der Beziehungen. Im Gegenzug: ein israelischer Rückzug auf die Grenzen von 1967, die Gründung eines palästinensischen Staates mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt, eine Lösung des Flüchtlingsproblems durch einen bilateralen Vertrag, bei dem Israel sein Veto gegen Regelungen einlegen kann, die es für unannehmbar hält.

Ich habe es schon oft gesagt: Wäre dieses Angebot am 4. Juni 1967 - einen Tag vor dem Sechs-Tage-Krieg - gemacht worden, dann hätten die Israelis geglaubt, die Tage des Messias seien angebrochen. 2002 hingegen sahen viele die saudische Offerte als listigen Trick, um Israel um die Früchte seines 67er-Sieges zu bringen. Folglich fühlte sich auch keine israelische Regierung gedrängt, auf dieses historische Angebot offiziell zu reagieren, das nun aber in Wahlzeiten von Shimon Peres und Ehud Barak mit einem Gebaren "wieder entdeckt" wird, als hätten sie einen versteckten Schatz in einer entfernten Höhle gefunden. Vermutlich der Anstoß für Saeb Erekat, den PLO-Verhandlungsführer, bei Haaretz ein solches Inserat aufzugeben. Freilich war die Reaktion darauf in Israel gleich Null.

Eine blütenreine Taube

Die Meinungsumfrage dagegen hinterließ gewaltigen Eindruck, obwohl noch 80 Tage bis zum Wahltag bleiben, was in Israel eine sehr lange Zeit sein kann. Von Schock zu sprechen, scheint kaum übertrieben, sagen doch die Demoskopen, bei sofortigen Wahlen würde der Likud 34 der 120 Knessetsitze gewinnen und zur stärksten Fraktion avancieren. Die Kadima-Partei von Zipi Livni könnte höchstens mit 28 Mandaten rechnen, die Arbeitspartei mit dürftigen zehn, was einer Halbierung ihrer jetzigen Knessetpräsenz gleichkäme. Shas würde ebenfalls zehn Sitze erringen, soviel wie auch die ultrarechte Liberman-Partei.

Der absehbare Triumph des Likud ist schon ein bedrohliches Phänomen, das eigentliche Desaster besteht jedoch darin, dass der Block aller Parteien, die den Frieden unterstützen - ob nun durch Lippenbekenntnisse oder ernsthaft - nach dieser Umfrage höchstens 56 Sitze erhält, das Lager der Anti-Friedensparteien zusammen 64. Ein Premier Netanyahu könnte demnach Annexionen und Besiedlungen fortführen und sich die passende Koalition dafür aussuchen. Es scheint völlig vergessen, dass dieser Mann vor zehn Jahren aus dem Amt des Ministerpräsidenten regelrecht verstoßen wurde - kein vorheriger Regierungschef hatte je so viel Gegnerschaft und Abscheu hervorgerufen.

Im Moment verhält sich Netanyahu wie ein Staatsmann und profitiert davon, dass sich alle paar Tage ein anderer mit viel Tamtam dem Likud anschließt wie Dan Meridor von der moderaten Rechten, Ex-Polizeichef Assaf Hefetz, Ex-Generalstabschef Moshe "Bogi" Yaalon, was den Eindruck erweckte, als werde der Likud jetzt von jedem als kommende Regierungspartei empfunden. Eine Partei der Erneuerung, in der es viele Meinungen gibt, aber einen unerschütterlichen Grundsatz: Nein zum Rückzug, nein zum Palästinenser-Staat, nein zu einem Kompromiss über Jerusalem, nein zu jeder bedeutsamen Friedensverhandlung und natürlich nein zum arabischen Friedensangebot.

Falls Netanyahu gewählt wird, müssen wir mit vier Jahren rechnen, in denen es nicht nur keinen einzigen Zoll Fortschritt in Richtung Frieden gibt, sondern die Siedlungsbewegung derart in Fahrt kommt, dass der Frieden immer weiter hinausgeschoben wird.

Was hat dagegen Zipi Livni anzubieten, die wegen Ehud Olmerts Korruptionsaffären zunächst wie eine blütenreine Taube aussah, aber diesen Bonus längst eingebüßt hat? Livni hat kein überwältigendes Charisma, ist keine Rednerin, spricht keine Gefühle an. Im Stil eines politischen Glaubensbekenntnisses ist sie von "Friedensverhandlungen" überzeugt, doch können die leicht ein Ersatz für den Frieden selbst werden.

Livni spielt überdies mit verdeckten Karten, hat keine klare Lösung für Jerusalem (das könnte Munition für Netanyahu sein), keine Lösung für die Flüchtlinge (Gott bewahre!) und wird deshalb nicht die Herzen Hunderttausender von Israelis gewinnen, die noch unentschieden oder müde sind, weil sie glauben, dass es "keinen Partner für Frieden" gibt.

Wie eine alternde Stripperin

Die Lage der Arbeitspartei erscheint geradezu desaströs, weil eine Formation, die in ihren früheren Inkarnationen 44 Jahre die absolute Kontrolle über den neuen Staat besaß, in der nächsten Knesset zur fünftgrößten Fraktion zusammenschrumpfen kann - nach Likud, Kadima, Shas- und Liberman-Partei. Wie eine alternde Stripperin hat die Arbeitspartei alle Gewänder fallen lassen und sich wie andere Parteien dem "saumäßigen Kapitalismus" (eine Formulierung von Shimon Peres) hingegeben. Was den Frieden betrifft, versucht die Partei manchmal sogar, den Likud rechts zu überholen. Es hat den Anschein, als bestünde ihr Programm nur aus einem einzigen Punkt: Ehud Barak muss Verteidigungsminister bleiben, egal, wer der nächste Premier sein wird. Inzwischen verlassen nicht nur die Ratten das sinkende Schiff der Arbeitspartei, sondern auch der Admiral selbst: Ami Ayalon, Ex-Kommandeur der israelischen Flotte, verkündete vergangene Woche, er wolle der Partei den Rücken kehren, die mit weit geschlossenen Augen ihrer Niederlage entgegen kriecht.

Mehrere Gelehrte und politische Berater, die der Partei schon früher abgeschworen haben, suchen ihr Heil bei der linksliberalen Meretz-Partei und wollen eine Art Super-Meretz schaffen. Größtenteils Mitglieder der ashkenasischen Elite, so dass der Eindruck entsteht, dass anstelle solcher Politiker wie Shulamit Aloni, Yossi Sarid oder Yossi Beilin, die einer nach dem anderen die Meretz-Führung aufgaben, nun Leute kommen, die sich nicht wirklich von ihren Vorgängern unterscheiden. Sie haben keine neuen Botschaften für die orientalischen Juden, für die arabischen Bürger, für die russischen Immigranten, für die Säkularen, die gegen das religiöse Vordringen ankämpfen wollen. Aktive Friedensgruppen mit ihren jungen begeisterten Mitgliedern hält die Super-Meretz auf Abstand, um der Partei kein "radikales Antlitz" zu geben. Unter diesen Umständen wird bestenfalls die Übernahme von ein paar Knessetsitzen der Arbeitspartei möglich sein. Und das, obwohl es in Israel Platz für eine neue linke Partei gibt, mit einem neuen Geist und einer Botschaft der Hoffnung, die im Stile Barack Obamas die junge Generation anspricht und wirklichen Wandel verspricht.

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs/Christoph Glanz

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