Die USA wurden von Europäern gegründet, die einen Kontinent eroberten, der ihnen nicht gehörte und auf dem sie den größten Teil der indigenen Bevölkerung in einem langen Völkermordfeldzug auslöschten. Muss also ein indianischer Ureinwohner - oder überhaupt irgendjemand - das Existenzrecht eines solchen Staates anerkennen?
Niemand stellt diese Frage. Die Vereinigten Staaten kümmern sich einen Dreck darum, ob irgendwer ihr Existenzrecht anerkennt oder nicht. Sie verlangen dies nicht von Staaten, mit denen sie offizielle Beziehungen pflegen, weil dies komplett lächerlich wäre.
Gut, die USA sind älter als der israelische Staat, und natürlich mächtiger. Aber auch von Indien wird nicht etwa erwartet, das "Existenzrecht" Pakistans anzuerkennen, obwohl dieser Staat zur gleichen Zeit wie Israel gegründet wurde, und dies - gleichfalls wie im Fall Israels - auf einer ethnisch-religiösen Basis geschah. Also warum wird von der Hamas verlangt, Israels Existenzrecht anzuerkennen? Weshalb wird den Palästinensern diese seltsame Forderung angetragen? Warum sollen sie das Existenzrecht Israels als jüdischen Staat anerkennen?
Ich bin israelischer Patriot, und ich bedarf niemandes Anerkennung für das Rechts meines Staates zu existieren. Mir reicht es völlig, wenn jemand bereit ist, mit mir Frieden zu schließen, und zwar dank gemeinschaftlich ausgehandelter Bedingungen und Grenzen. Ich bin bereit, die Geschichte, Ideologie und Theologie dieser Materie den Theologen, Ideologen und Historikern zu überlassen.
Diese Forderung, die jetzt an die palästinensische Einheitsregierung gerichtet wird, ist keinesfalls ehrlich. Im Hintergrund steht eine politische Absicht, genau genommen sind es zwei Absichten: Zum einen soll die internationale Gemeinschaft davon überzeugt werden, die sich gerade formierende Einheitsregierung nicht anzuerkennen. Zum anderen soll die Weigerung der israelischen Regierung, sich auf Friedensverhandlungen mit dieser Regierung einzulassen, gerechtfertigt werden.
Die Briten bezeichnen das als "Bückling" und meinen einen stark riechenden Fisch, mit dem ein Gefängnisausbrecher die verfolgenden Hunde von seiner Fährte abbringt, indem er den Fisch über den Weg schleift.
Als ich jung war, sagten die jüdischen Leute in Palästina gern: "Unsere Geheimwaffe ist die arabische Verweigerung." Sobald jemand einen Friedensplan vorschlug, konnten wir uns immer auf das Nein der arabischen Seite verlassen. Die zionistische Führung war gegen jeglichen Kompromiss, der den Status quo befestigt und damit die Expansions- und Siedlungsbewegung gestoppt hätte. Dennoch sagten die zionistischen Führer oft - "Wir reichen unsere Hand zum Frieden" - und konnten sich dabei darauf verlassen, dass die Araber schon die ihre verweigern würden.
Das war so, bis Yassir Arafat die Spielregeln änderte, Israel anerkannte und das Oslo-Abkommen unterschrieb, das unter anderem vorschrieb, bis 1999 endgültige Grenzen festzulegen. Bis zum heutigen Tag haben diese Endstatus-Verhandlungen noch nicht einmal begonnen. Die israelischen Regierungen seit Oslo - ob unter Netanyahu, Barak oder Sharon - verhinderten das, da sie unter keinen Umständen endgültigen Grenzen zustimmen wollten.
Nach Arafats Tod wurde die Weigerung schwieriger. Arafat war zuletzt als Terrorist, Lügner und Betrüger dargestellt worden, während Mahmud Abbas als ehrlicher Makler anerkannt war, der tatsächlich nach Frieden strebe. Dennoch gelang es Ariel Sharon, jegliche Verhandlungen mit ihm zu vermeiden - Präsident Bush unterstützte ihn dabei tatkräftig.
Doch Sharon erlitt einen Schlaganfall, Olmert nahm seinen Platz ein, und es geschah etwas, das in Jerusalem für große Freude sorgte: die Palästinenser wählten die Hamas.
Wie wunderbar! Immerhin bezeichneten sowohl die USA als auch die EU die Hamas als Terrororganisation! Hamas galt als Teil der schiitischen Achse des Bösen! (Sie sind zwar keine Schiiten, aber wen kümmert das schon.) Hamas erkennt Israel nicht an! Hamas versucht Mahmud Abbas zu eliminieren, den noblen Mann des Friedens! Selbstverständlich ist es weder notwendig, noch hat es Sinn, mit einer solchen Gang Verhandlungen über Frieden und Grenzen zu führen.
Und so boykottieren denn die USA und ihre europäischen Partner die palästinensische Regierung und lassen die palästinensische Bevölkerung hungern. Sie haben drei Bedingungen für die Aufhebung der Blockade gesetzt: a) dass die palästinensische Regierung und Hamas das Existenzrecht Israels anerkennen, b) dass sie den "Terror" beenden, c) dass sie die von der PLO unterzeichneten Verträge erfüllen müssen.
Oberflächlich betrachtet, mag das einen Sinn ergeben. Tatsächlich widersprechen diese Bedingungen der Realität, weil sie völlig einseitig sind:
a) die Palästinenser müssen Israels Existenzrecht anerkennen (ohne jedoch dessen Grenzen zugleich definieren zu können), die israelische Regierung hingegen muss nicht das Existenzrecht eines palästinensischen Staates anerkennen.
b) die Palästinenser müssen dem "Terror" ein Ende setzen, aber die israelische Regierung muss nicht ihre militärischen Aktionen in den besetzten Gebieten oder den Siedlungsbau beenden. Die Road Map hatte genau dies gefordert, wird aber von jedermann ignoriert, besonders den Amerikanern.
c) die Palästinenser müssen die Verträge erfüllen, nicht aber die israelische Regierung, die nahezu alle Artikel der Verträge von Oslo gebrochen hat. Unter anderem: die Eröffnung einer "sicheren Passage" zwischen Westbank und Gazastreifen, den Vollzug der dritten Rückzugsphase des Militärs, die Behandlung von Westbank und Gazastreifen als Entität und so weiter.
Seitdem die Hamas an der Macht ist, haben ihre Führer verstanden, dass sie flexibler werden müssen, denn die palästinensische Bevölkerung sehnt sich nach einem Ende der Besatzung und einem Leben in Frieden. Daher hat sich die Organisation Schritt für Schritt einer Anerkennung Israels angenähert. Ihre religiöse Doktrin erlaubt ihnen nicht, dies öffentlich zu deklarieren (jüdische Fundamentalisten lassen auch nicht von dem Wort: "Deinen Nachfahren gebe ich dieses Land!"), aber sie hat dies sehr wohl indirekt getan. Ein kleiner Schritt, aber eine große Revolution. Hamas hat sich zu einem palästinensischen Staat in den Grenze von 1967 bekannt - wohlgemerkt: nicht anstelle, sondern an der Seite Israels.
Gerade wiederholte der ehemalige Minister Kadura Fares, dass Hamas-Führer Mashal dies bestätigt habe. Außerdem hat Hamas Mahmud Abbas mit Verhandlungsvollmachten gegenüber Israel ausgestattet und sich verpflichtet, jeglicher durch ein Referendum ratifizierten Übereinkunft zuzustimmen. Abbas befürwortet natürlich die Schaffung eines palästinensischen Staates entlang der "Grünen Linie" (der Grenze von 1967). Es gibt keinen Zweifel daran, dass die große Mehrheit der Palästinenser einem solchen Agreement zustimmen würde, sobald es ausgehandelt wäre.
In Jerusalem macht sich die Sorge breit, wenn dies so weiter geht, könnte die Welt glatt den Eindruck gewinnen, dass sich Hamas geändert hat, und - Gott behüte! - die ökonomischen Sanktionen gegen die Palästinenser aufheben.
Nun kommt der saudische König dazu und stört Olmerts Pläne noch einmal zusätzlich. Im Angesicht der heiligsten Stätte des Islam, beendete der Monarch die blutige Fehde zwischen den palästinensischen Sicherheitsorganen und erreichte einen Konsens über eine palästinensische Einheitsregierung. Hamas verpflichtete sich, die von der PLO unterzeichneten Verträge, einschließlich des Oslo-Abkommens, das ja die gegenseitige Anerkennung des Staates Israel und der PLO beinhaltet, zu respektieren.
Der König hat damit die Palästinenser aus der Umklammerung des Iran gelöst, an den sich die Hamas dank mangelnder Alternativen gewandt hatte, und Hamas in den Schoß der sunnitischen Familie zurückgeführt. Da Saudi-Arabien der Hauptalliierte der USA im arabischen Raum ist, wurde damit die palästinensische Sache mit Nachdruck auf den Arbeitstisch des Oval Office gebracht.
In Jerusalem grassierte sofort der bedrückendste aller Albträume: Die uneingeschränkte Unterstützung Israels durch die USA und die EU könnte Schaden nehmen. Die Panik zeitigte Wirkung: Erst wurde verkündet, man lehne das Mekka-Abkommen ab. Dann aber überzeugte Shimon Peres - bekanntlich ein Anhänger der "Jein"-Methode - Premier Olmert, das rüde durch ein etwas gefälligeres "Nein" zu ersetzen. Also wird erneut der Bückling aus dem Kühlschrank geholt und insistiert: Es reicht nicht aus, dass die Hamas Israel de facto anerkennt. Israel besteht darauf, sein "Existenzrecht" sei auch noch anzuerkennen. Politische Anerkennung reiche nicht aus, es bedürfe der ideologischen. Getreu dieser Logik könnte man auch gleich verlangen, dass Khaled Mashal doch der zionistischen Bewegung beitreten solle.
Die Amerikaner haben nun ein Problem. Einerseits brauchen sie den saudischen König, der sitzt nicht nur auf großen Ölreserven, sondern ist auch der Eckstein des "moderaten sunnitischen Blocks". Sollte er Bush sagen, die Lösung des palästinensischen Problems sei dringend, um den wachsenden Einfluss des Iran im Nahen Osten zu verhindern, wäre dies ein Votum von großem Gewicht. Falls Bush einen Angriff auf den Iran plant - und es hat den Anschein, dass er dies tut - ist es wichtig, die Sunniten vereinigt an seiner Seite zu wissen.
Andererseits ist der US-Präsident auf die Pro-Israel-Lobby - sowohl die jüdische als auch die christliche - in seinem Land angewiesen. Es ist für ihn von vitalem Interesse, die "Christliche Basis" der Republikaner hinter sich zu wissen, sie unterstützt die radikale Rechte in Israel, komme, was da wolle.
Was muss also getan werden? Nichts. Für dieses Nichts fand Condoleezza Rice im Fundus den geeigneten diplomatischen Slogan: "Neue politische Horizonte". Offenbar hat sie nicht über die Bedeutung dieser Worte nachgedacht. Der Horizont ist etwas, das man niemals erreicht: je mehr man sich ihm nähert, umso mehr zieht er sich zurück.
Aus dem Englischen von Christoph Glanz
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.