Nicht nur die Palästinenser sollten über ihre nationale Einheitsregierung einen tiefen Seufzer der Erleichterung von sich geben - die Israelis hätten allen Grund, dies auch zu tun. Die Regierung, wieder unter Ministerpräsident Hanija, ist ein großer Segen - auch für Israel, falls es an einem Frieden interessiert ist, der dem historischen Konflikt ein Ende setzt.
Meiner Ansicht nach ist ein palästinensischer Bürgerkrieg ausgeschlossen. Zunächst einmal, weil die grundsätzlichen Bedingungen für einen solchen Konflikt nicht gegeben sind. Das palästinensische Volk ist in seiner ethnischen und kulturellen Zusammensetzung homogen - im Unterschied etwa zum Irak, in dem drei Völker leben, zwischen denen es ethnisch (Araber und Kurden), religiös (Schiiten und Sunniten) und geographisch (Norden, Mitte und Süden) Barrieren gibt. Palästina erinnert ebenso wenig an Irland, wo die Protestanten, als Nachkommen von Siedlern, gegen die katholischen Nachkommen der ursprünglichen Bevölkerung kämpften.
Die blutigen Rivalitäten, die dennoch im Gaza-Streifen ausbrachen, waren Zusammenstöße zwischen Partei-Milizen, die durch Fehden zwischen Großfamilien (Hamulah) verstärkt wurden. Fast in allen Befreiungsbewegungen gab es irgendwann derartige Eruptionen.
Während der vierziger Jahre, als die jüdische Gemeinschaft in Palästina gegen das britische Kolonialregime kämpfte, wurde ein Bürgerkrieg nur dank einer Person verhindert: Menachem Begin, damals Kommandeur des Irgun, eines Verbandes von Untergrundkämpfern. Er war entschlossen, unter allen Umständen einen Bruderkrieg zu verhindern. David Ben Gurion wollte seinerzeit den Irgun eliminieren, weil der seine Führung ablehnte. In der so genannten "Saison" befahl er der ihm loyalen Haganah-Organisation, Irgun-Mitglieder zu kidnappen und der britischen Polizei auszuliefern, die sie folterte und ins Ausland deportierte. Begin aber verbot seinen Leuten, ihre Waffen gegen Juden zu richten.
Gipfel der Torheit
Warum nun ist die Einheitsregierung gut für Israel? Ich will etwas sagen, was viele Israelis und ihre Freunde in der Welt schockieren dürfte: Wenn es die Hamas nicht gäbe, müsste sie erfunden werden. Wenn eine Palästinenser-Regierung ohne die Hamas gebildet worden wäre, hätten wir sie solange boykottieren müssen, bis die Hamas gleichfalls am Kabinettstisch säße.
Und wenn es dank Verhandlungen ein historisches Abkommen mit der palästinensischen Führung geben sollte, wäre für Israel eine Bedingung unverzichtbar: die Hamas muss unterzeichnen.
Klingt das verrückt? Natürlich. Aber das ist die Lektion, die uns die Geschichte anderer Befreiungskriege lehrt. Die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten ist fast gleichmäßig zwischen Fatah und Hamas geteilt. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, ein Abkommen nur mit der einen Hälfte zu unterschreiben und Krieg gegen die andere zu führen. Sollte sich Israel zu ernsthaften Konzessionen bereit finden - den Rückzug hinter enger gezogene Grenzen und die Rückgabe Ost-Jerusalems an seine Besitzer, sollte es dies für ein Abkommen tun, das von der Hälfte des palästinensischen Volkes nicht akzeptiert wird und dem diese Hälfte nicht verpflichtet ist? Für mich wäre das der Gipfel der Torheit.
Ich will noch weitergehen: Hamas und Fatah vertreten nur einen Teil der Palästinenser, die in der Westbank, im Gazastreifen und in Ost-Jerusalem. Millionen palästinensischer Flüchtlinge leben außerhalb dieser Gebiete.
Wenn Israel tatsächlich für ein definitives Ende des historischen Konfliktes kämpft, muss es sich um eine Lösung bemühen, die diese Menschen einbezieht. Daher zweifle ich an der Weisheit von Außenministerin Zipi Livni, wenn sie verlangt: die Saudis sollten bei ihrem Friedensplan jede Erwähnung der Flüchtlinge fallen lassen. - Der gesunde Menschenverstand rät zum Gegenteil: Verlangen, dass die saudische Initiative, die zu einem offiziellen panarabischen Friedensplan geworden ist, die Flüchtlingsfrage integriert, damit ein Schlussabkommen auch einen Schlusspunkt für dieses Problem setzt.
Das wird gewiss nicht einfach sein, berührt es doch das Schicksal von Millionen Menschen. Aber wenn der arabische Friedensplan besagt, eine Lösung in "Übereinstimmung" mit Israel" zu suchen - dann heißt das, aus dem Reich unvereinbarer Ideologien in die Realität vereinbarer Kompromisse zu wechseln. Ich habe dies oft genug mit arabischen Persönlichkeiten diskutiert und bin davon überzeugt - ein solcher Schritt ist möglich. Schließlich wäre die neue palästinensische Regierung ohne die so energische wie realpolitische Intervention des saudischen Königs Abdullah nicht zustande gekommen.
Der internationale Hintergrund muss auch berücksichtigt werden. Der Präsident der USA ist verzweifelt bemüht, sein Irak-Abenteuer so zu beenden, dass es nicht als totale Katastrophe in die Geschichte eingeht. Also versucht er, eine sunnitische Front zu zimmern, die den Iran blockiert und ihm hilft, die sunnitische Gewalt im Irak einzudämmen. Da ist es nicht ohne Bedeutung, dass Georg Bush immer wieder versucht hat, das sunnitische Syrien zu isolieren - und die Hamas natürlich eine fromme sunnitische Organisation ist.
In scha Allah
Aber das amerikanische Staatsschiff hat ohne Zweifel mit einem Wendemanöver begonnen, was bei einem riesigen Frachter freilich nur langsam vonstatten geht. Unter dem Druck aus Washington fand sich der saudische König - vermutlich sehr ungern - bereit, die Führung der arabischen Welt auf sich zu nehmen, nachdem Ägypten dieser Aufgabe nicht gerecht wurde. Der König wiederum hat Bush überzeugt, dass er mit Syrien reden müsse. Nun versucht er, ihn noch davon zu überzeugen, dass er die Hamas akzeptieren sollte.
Bei solchem Kalkül ist Israel ein Hindernis. Vor ein paar Tagen flog Ehud Olmert in die USA, um der AIPAC, der Konferenz jüdischer Lobbyisten, mitzuteilen, dass ein US-Rückzug aus dem Irak eine Katastrophe wäre. Olmert musste dabei in Kauf nehmen, dass er etwa 80 Prozent der amerikanischen Juden widerspricht, die einen baldigen Rückzug befürworten. Gleichzeitig gab der US-Botschafter in Tel Aviv zu verstehen, es sei der israelischen Regierung nun erlaubt, Verhandlungen mit Syrien zu führen - man kann vermuten, dass dieser Wink sich bald in eine Order verwandelt. Vorläufig ist in den Positionen der israelischen Regierung noch kein Wandel zu bemerken.
Leider wird gerade jetzt, da eine palästinensische Regierung die Chance hat, sich zu stabilisieren, die israelische Regierung immer schwächer. Die Unterstützungsquote für Olmert nähert sich nach Umfragen zuverlässig dem Nullpunkt. Praktisch jeder spricht über seinen möglichen Abgang innerhalb der nächsten Wochen, vielleicht nach der Veröffentlichung der zeitweiligen Untersuchungsergebnisse der Winigrad-Kommission über den zweiten Libanonkrieg. Aber selbst wenn es Olmert gelingen sollte, politisch zu überleben, würde er eine Lame-Duck-Regierung führen, die nicht in der Lage ist, so etwas wie eine couragierte Initiative gegenüber der neuen Palästinenser-Regierung zu starten.
Vielleicht kann Israel dennoch ein paar Schritte vorwärts gehen, wenn es von Bush auf der einen und vom saudischen König auf der anderen Seite gestützt wird: In scha Allah, wenn Gott will.
Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs
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