Mancher hat gebetet für den Sieg von McCain

Unbehagen Das offizielle Israel tut sich schwer, seine Angst vor dem kommenden US-Präsidenten zu verbergen

Hundertdreiundvierzig Jahre nach dem Mord an Abraham Lincoln, der die Sklaven befreite, und 40 Jahre nach dem Mord an Martin Luther King wird eine schwarze Familie ins Weiße Haus einziehen. Das wird enorme Auswirkungen in die verschiedensten Richtungen haben. Eine davon besteht in einer elektrisierenden Botschaft an einen weltweiten Orden, dem ich angehöre - dem der Optimisten.

Wodurch unterscheiden sich die Optimisten von den Realisten? Der Realist sieht die Realität, wie sie ist. Der Optimist sieht die Realität, wie sie sein könnte.

Antonio Gramsci, der kommunistische italienische Denker, sprach vom "Optimismus des Willens und Pessimismus des Intel-lekts". Damit bin ich nicht einverstanden. Es stimmt schon, wer die Weltgeschichte kennt, wird leicht zum Pessimisten. Zu jeder pessimistischen Lektion gehört aber auch eine optimistische (und zu meinem Leidwesen, auch umgekehrt).

Allen Optimisten der Welt muss daher die Wahl Barack Obamas Folgendes sagen: Alles ist möglich. Das Gute wie das Schlechte liegen in unserer Hand. Und wenn ihr wollt, wie einst Theodor Herzl sagte, ist es kein Märchen.

Das erinnert mich an die Geschichte von dem Deutschen, dem Franzosen, dem Engländer und dem Juden, die gemeinsam beschließen, sich des Themas "Elefanten" anzunehmen. Der Deutsche fährt nach Afrika, kehrt nach Jahren zurück und schreibt ein fünfbändiges Werk: Vorrede zu einer allgemeinen Einführung in die Ursprünge der afrikanischen Elefanten. Der Franzose kehrt nach einem halben Jahr zurück und bringt ein nettes kleines Brevier mit dem Titel Das Liebesleben der Elefanten heraus. Der Engländer braucht eine Woche, um die Broschüre: Wie jagt man Elefanten? zu veröffentlichen. Der Jude bleibt zu Hause und beginnt einen Essay mit dem Thema: Der Elefant und die jüdische Frage.

Seit Wochen schon fragen sich Juden in den USA und in Israel: Ist Obama gut für die Juden? Das offizielle Israel tut sich schwer damit, seine Angst vor dem kommenden US-Präsidenten zu verbergen. Ein Schwarzer. Ein Mann, dessen Großvater Muslim war, dessen mittlerer Name Hussein ist, eine unbekannte Größe: furchterregend.

Obama seinerseits hat alles in Bewegung gesetzt, um zu beweisen, er werde genau wie seine Vorgänger die israelische Regierung unterstützen. Er lag vor dem American-Israel-Public-Affairs-Committee (AIPAC) im Staub, umgab sich mit den jüdischen Beratern Bill Clintons und ließ durchblicken, sie würden in seiner Regierung die gleichen Positionen erhalten. Aber wer glaubt denn schon einem Wahlversprechen? Manche tun es, ich erhielt beispielsweise eine Mail aus Großbritannien: "Also sollen in Washington anstatt der jüdischen Neocons der Clintons nun jüdische Neo-Zionisten herrschen. Wo zum Teufel ist der Unterschied?"

Aber das offizielle Israel bleibt furchtsam. Ein höherer Regierungsbeamter ließ die (richtige oder falsche) Information an die Zeitung Haaretz durchsickern, Nicolas Sarkozy habe sich über die schreckliche Unerfahrenheit Obamas geäußert. Und Salai Meridor, der israelische Botschafter in Washington, verstieg sich zu einer wahrhaft skandalösen Geste. Er fuhr in eine entfernte Stadt, um dort ausgerechnet Sarah Palin zu treffen.

Ist Obama "gut für Israel"? Das muss man wohl auf jüdische Art mit einer Gegenfrage beantworten: "Für welches Israel?" Es gibt mehr als ein Israel, so wie es mehr als ein Amerika gibt.

George Bush, unser ergebener Freund, erlaubte Ariel Sharon, die Siedlungsblöcke umfassend zu erweitern, deren jeder einzelne eine tödliche Tretmine auf dem Weg zum Frieden darstellt. Er hinderte Israel daran, Frieden mit Syrien zu machen, das er zur "Achse des Bösen" zählte. Seine Invasionen in Afghanistan und im Irak, aber auch seine kriegerische Einstellung zu Iran verhalfen dem anti-israelischen, islamischen Fundamentalismus zu neuem Schwung und führten zur fortschreitenden Beherrschung des Libanon durch die Hisbollah. Am Erstarken von Hamas in Palästina hatte Bush gleichfalls seinen Anteil. Kein Wunder, dass Osama Bin Laden zu Allah für den Sieg McCains gebetet hat.

Es gibt auch Leute, die in Jerusalem jeden beruhigen, der Obama fürchtet, und sagen: Auch wenn er etwas ändern will, er kann´s nicht. Die Gönner des offiziellen Israel beherrschen die Demokratische Partei, die bei der Wahlkampagne vor dem 4. November auf großzügige Spenden der jüdischen Community in den USA zurückgreifen konnte. Es gilt weiterhin: Wer statt zu 110 nur zu 100 Prozent die israelische Politik unterstützt, hat schon politischen Selbstmord begangen.

All das ist natürlich richtig. Trotzdem wage ich zu hoffen, dass Obama sich als Freund des anderen Israel zeigt, des Israel, das den Frieden sucht. Er hat den Wandel versprochen. Ich glaube, das ist für ihn keine leere Parole, sondern etwas Wesentliches.

Vom nationalen Interesse der USA her ist der "erweiterte Mittlere Osten" kein zweitrangiger Schauplatz, sondern einer der wichtigsten, mit dem sich die neue Regierung von Anfang an befassen muss. In dieser Region sind die katastrophalen Fehlschläge der Bush-Regierung am sichtbarsten.

Wenn Obama und seine Leute - und ich hoffe, er wird mit neuen Leuten arbeiten und nicht mit dem abgetakelten Clinton-Team - sich mit dem Mittleren Osten befassen, müssten sie zu dem Schluss kommen, dass der Hass gegenüber den Amerikanern, der von Marokko bis Pakistan wächst und gedeiht, untrennbar mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt verbunden ist. Damit werden die Brunnen vergiftet, mit dieser Karte trumpfen der sunnitische Bin Laden und der schiitische Ahmadinedschad auf. Daraus folgt, es liegt im amerikanischen Interesse, das Blatt zu wenden und tatsächlich nach israelisch-palästinensischem, israelisch-syrischem und vielleicht sogar israelisch-iranischem Frieden zu streben.

Dieser Schluss drängte sich schon am Tag nach dem 11. September 2001 auf. Damals glaubte ich, das stehe bevor - als unweigerliche Konsequenz des Geschehenen. Doch George Bush ging genau den umgekehrten Weg und verschlimmerte die Situation um ein Vielfaches. Ich hoffe, jetzt passiert es.

Mit anderen Worten: Ich hoffe von ganzem Herzen, dass Barack Obama Israel weiter unterstützt, aber nicht das Israel der Betrüger und Scheinheiligen, die so tun, als fänden hier Friedensverhandlungen statt, während sie gleichzeitig die Siedlungen erweitern, die Unterdrückung in den besetzten Gebieten verschlimmern und von der Bombardierung Teherans schwafeln. Nicht diesem Israel sollte der neue Präsident beistehen, sondern einem Israel, das bereit ist, Frieden zu schließen, den Preis des Friedens zu bezahlen, das nach einer amerikanischen Initiative hungert, die der Friedensinitiative die entscheidende Zündung beschert. Obamas Berater könnten uns bald fragen: Aber wo ist die israelische Führung, die sich auf solch eine Initiative einlässt? Wo ist der israelische Obama?

Darauf könnten wir nur mit peinlichem Schweigen antworten. Für solch eine Aufgabe haben wir keinen einzigen Kandidaten aufzuweisen.

Übersetzung: Gudrun Weichenhan-Mer, Anneliese Butterweck

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