Putins leises Lächeln

Die Hamas in Moskau Und das "Große Spiel" geht weiter

"Wenn man die Politik eines Landes verstehen will, sollte man sich die Landkarte ansehen!", riet Napoleon. Er wollte damit sagen: Regime kommen und gehen, Herrscher steigen und fallen, Ideologien blühen und vergehen - aber die Geografie bleibt bestehen.

Und so schaute Wladimir Putin, Erbe der Zaren und Kommissare, auf die Landkarte, nahm den Telefonhörer in die Hand und lud die Hamas-Führer nach Moskau ein.

Vor 100 Jahren war die Region zwischen Indien und der Türkei ein Schlachtfeld zwischen Russland und der wichtigsten westlichen Macht - dem Britischen Empire. Die brachiale Rivalität wurde als das "Große Spiel" bekannt. Mit der Zeit wechselten die Akteure. Die Bolschewiki nahmen den Platz der Zaren ein, das amerikanische Empire folgte dem britischen. Aber das "Große Spiel" ging weiter. Als die UdSSR zusammenbrach, schien es, als wäre ein Endpunkt erreicht. Das Sowjetreich löste sich auf, und was übrig blieb, war zu arm, um sich weiter am "Großen Spiel" zu beteiligen. Man hatte einfach keine Jetons mehr.

Nun jedoch verändert Putin alles - mit einem Schlag. Die Hamas nach Moskau einzuladen, war ein genialer Schachzug: er kostete gar nichts und setzte Russland wieder zurück auf die Karte des Nahen Ostens. Während die ganze Welt vom Hamas-Sieg noch verwirrt schien, benutzte der Präsident die Logik wie ein scharfes Skalpell und tat den ersten Zug eines neuen Spiels, indem er die temporäre Schwäche aller Konkurrenten auskostete: George Bush hat sich selbst in eine trostlose Lage manövriert. Natürlich könnte er die gewählte Hamas-Regierung anerkennen. Nur, dürfte er das? Schließlich hat seine Regierung Hamas auf die Terror-Liste gesetzt, nicht nur ihren militärischen Flügel, die gesamte Bewegung, inklusive Kindergärten und Moscheen. Nun ist Bush gefangen in der apokalyptischen Schlacht zwischen dem Westen und dem Islam. Er wirkt wie ein Schachspieler, der völlig blockiert ist - unfähig, noch einen Zug zu riskieren.

Europa befindet sich in einer ähnlichen Situation. Wie ein psychisch Kranker in einer Zwangsjacke, der seine Arme nicht mehr bewegen kann und sich diese Jacke zu allem Überfluss auch noch selbst angezogen hat. Unter amerikanischem und israelischem Druck setzte die EU Hamas gleichfalls auf die Terroristenliste und verurteilte sich selbst zu völliger Unfähigkeit, mit der neuen Lage umzugehen.

Putin lacht nicht oft. Aber jetzt erlaubt er sich ein leises Lächeln.

Auch die Hamas ist ziemlich verwirrt, sie kann nicht am Tag nach dem Sieg ihre Haut plötzlich wechseln. Was würden die Palästinenser sagen, wenn Hamas auf einmal erklärt: Man sei bereit, Israels Existenzrecht anzuerkennen, sich zu entwaffnen und die eigene Charta abzustoßen? Das hieße, sie hätte ihre Seele dem Teufel verkauft, um die Bequemlichkeiten der Macht zu genießen. Das hieße, sie wäre so korrupt wie die Fatah.

Bliebe noch Israel, wo der Hamas-Sieg kein Anlass zur Klage ist. Im Gegenteil: Die israelischen Führer konnten sich nur schwer zurückhalten, auf der Straße zu tanzen. Endlich ist vollkommen klar, dass es "niemanden gibt, mit dem man verhandeln kann". Wenn Arafat kein Partner war und Abbas auch nicht, so ist Hamas die Mutter aller Nicht-Partner. Keiner kann uns tadeln, wenn wir weiter "gezielt töten", die palästinensische Ökonomie zerstören, Mauern bauen, das Gebiet der Westbank zerteilen, den Jordangraben abschneiden - im Grunde alles tun, was uns gefällt. Und wenn - mit Gottes Hilfe - der palästinensische Terror wieder beginnt, können wir jedem sagen: "Das haben wir euch doch schon immer prophezeit!"

Putins gewagter Schritt, der es für die Hamas-Führung leichter macht, ihre Haltung zu mäßigen, falls sie bereit ist, sich dem politischen Spiel anzuschließen, könnte indes auch der Regierung Israels Wege ebnen, falls sie Dialog und Frieden wünscht. Vor allem aber kündigt er an - Russland beteiligt sich wieder am "Großen Spiel".


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