Der König sitzt und surft

Nepal Der maoistische Wahlsieger ist auf einem Hochseil über dem Abgrund unterwegs

Er bekennt sich zum maoistischen Volkstaat und zur bürgerlichen Demokratie. Kamerad Prachanda - mit seiner Partei demnächst in Regierungsverantwortung in Nepal - hat sich auf eine Gratwanderung begeben, die nicht ohne Risiken ist.

Der unerwartete Wahlsieg der Maoisten hallte wie ein Donnerschlag wider - in der Hauptstadt Kathmandu krachte die Börse. Aristokratie und Intelligenz erschraken fast zu Tode. Der greise Premier Girija Prasad Koirala sah das Gebäude seiner Macht zusammenbrechen, das er so lange mit Geheimgesprächen und Intrigen hatte aufrechterhalten können. Sein Nepal Congress (NC) leckte sich die Wunden und stöhnte über die schmähliche Niederlage.

Das andere Nepal aber brach in ekstatischen Jubel aus. Die anstehende Verwandlung des letzten hinduistischen Königreiches in eine demokratische Republik sorgt für Hoffnung und Erwartung. Für die Unterschichten, die junge Generation und die Frauen, deren überwältigende Wahlteilnahme für den Sieg der Maoisten sorgte - sie alle empfanden das Fest zum nepalesischen Neujahr wie den Anbruch eines neuen Zeitalters.

Prachanda, designierter Führer einer ersten republikanischen Regierung, kann mit Recht triumphieren - nie war der Mann, der als Kamal Dahal eine Karriere als Agrarwissenschaftler aufgab, um Dorflehrer zu werden und später eine Armee von Revolutionären zu rekrutieren, seinen Zielen so nah. Nun allerdings stehen ihm ein riskanter Balanceakt auf dem Hochseil der nepalesischen Politik und stürmische Zeiten bevor. Mit seiner Siegesrede hielt Prachanda - "der Furchteinflössende", so der Nom de Guerre - denn auch ein ganzes Bündel von Ölzweigen in der Hand: für Premier Koirala und die noch amtierende Interimsregierung, auf deren Loyalität die Maoisten angewiesen sind, für die Bürokratie und die Armee - für eine nervöse Wirtschaft, die nun fürchtet, sie werde fortan durch staatliche Autorität reglementiert und diszipliniert.

Schließlich beschwichtigte Prachanda auch das Ausland, zuvörderst China und Indien, die beiden riesigen Nachbarn, die sich Nepal in der Vergangenheit als nützlichen Pufferstaat zurechtpressten und die Maschinerie seiner monarchischen Ordnung perfekt bedienten. Sie alle lud Prachanda, der Staatsmann, bei einer vollständigen Abkehr von der scharfen Sprache des Revolutionärs dazu ein, sich mit ihm und seiner charismatischen Mission zu versöhnen und beim Aufbau einer neuen Republik auf jede Sabotage zu verzichten.

Ein ehemaliger US-Präsident hat die Wahlen mit den 62 Beobachtern seines Carter-Centers begleitet und danach erklärt, die USA sollten die Maoisten nicht nur politisch anerkennen, sondern auch in deren Republik investieren. Zwar stehen Nepals Maoisten in Washington auf der Schurken-Liste des Anti-Terror-Kampfes gleich hinter Hamas und Hisbollah, doch ist das "Dach der Welt" geopolitisch ein viel zu verlockendes Terrain, um abgeschrieben oder gar boykottiert zu werden.

Nur in einem Punkt gibt es keinen versöhnlichen Zungenschlag: Die "NGOs", die im alten Nepal des Königs Gyanendra teilweise als Ableger obskurer Stiftungen zu Hunderten ihr Unwesen trieben und Geheimdiensten aus aller Welt dienten, will Prachanda mit harter Hand ausweisen.

Französisches Vorbild, indisches Muster

Schon in wenigen Wochen dürfte nun die erste Verfassunggebende Versammlung in der Geschichte dieses Staates zusammentreten, um das bereits von der Interimsregierung beschlossene Ende der Monarchie zu besiegeln, die Republik auszurufen und ein neues Grundgesetz vorzulegen. Die Maoisten werden darauf als stärkste Partei großen Einfluss haben, auch wenn ihnen die absolute Mehrheit fehlt, um eine überkommene Gesellschaft vollends aus den Angeln zu heben. So winkt vorerst ein All-Parteien-Kabinett, was bedeuten könnte, dass Prachanda seine Macht teilen muss, aber nicht verschenken wird. Seine Partei will einen mächtigen Präsidenten und einen ihm zugeordneten Premier, nach französischem Vorbild. Als gesetzter Ministerpräsident gilt Baburam Bhattarai, Prachandas engster Vertrauten seit den frühen Jahren der Revolution. Das Amt des Staatschefs behält sich der Supremo selbst vor.

Prasad Koiralas Kongress-Partei reagiert auf derartige Ambitionen mit der erklärten Vorliebe für das indische Muster - ein mit exekutiven Vollmachten ausgestatteter Premier, symbolisch überwölbt von einem als Dekoration gedachten Präsidenten. Letzteres wäre als Entschädigung für den entthronten König Gyanendra reserviert (die Königstreuen hatten das der Kongress-Partei bei der Wahl mit einem saftigen Stimmenpaket vergolten).

Die indische Kongress-Regierung hat den glänzende Wahlsieg der Maoisten mit kühler Distanz quittiert, aber Prachanda als erste ausländische Macht gratuliert. Bei seinem flinken Höflichkeitsbesuch vergaß es der Botschafter aus Delhi nicht, seine tiefe Sorge über das Schicksal des Königs zu bekunden, den Indien über all die Jahre des blutigen Konflikts zwischen Monarchisten und Maoisten stramm unterstützt hat - mit Geld, Geheimdienstinformationen und hochmodernen Waffen. Mit diesem Beistand, so das Kalkül, sollten die "Roten Kanäle" geflutet werden, die von Nepals Guerilla zu den indischen Peoples War Groups führten und einen langen porösen Grenzstreifen durchzogen.

Die Angst vor diesem Kampfbund der Desperados führte indischen Diplomaten und Geheimdienstlern die Hand, als sie eine verdeckte und entscheidende Rolle beim Abschluss des Friedensvertrages von 2006 übernahmen, der den nepalesischen Bürgerkrieg eindämmen und beenden sollte. Man hatte seinerzeit gehofft, die Rebellen in den nepalesischen Obrigkeitsstaat zu integrieren und damit unter Kontrolle zu bringen. Einmal aus ihren Positionen und Refugien gelockt und entwaffnet, sollte es für sie keinen Weg zurück mehr geben. Die stolzen Väter dieses Kalküls reiben sich noch heute die Hände, denn neutralisiert werden, das könnten die Wahlsieger ja noch immer. Das genau ist der Abgrund, über dem der designierte Staatschef sein Hochseil gespannt hat.

Als Prachanda 1986 in die winzige CPN(M) eintrat, um ihr Generalsekretär zu werden, stand das "M" noch nicht für "Maoistisch", sondern für "Marshal", zu Ehren des verstorbenen Gründers der revolutionären Splittergruppe. Erst als Prachanda die zunächst zwölfköpfige Blechbüchsenarmee unter seinem Kommando in eine schlagkräftige Volksbefreiungsarmee verwandelt hatte, änderte er den Namen so, dass daraus ein Bekenntnis zum Maoismus herausgelesen werden konnte. Auf den roten Plakaten in den befreiten Dörfern hieß es jetzt: "Maoismus, Marxismus, Leninismus und Prachanda-Path!". Letzteres meinte einen "Prachanda-Pfad" und wurde zum programmatischen Markenzeichen. Da es beim Marsch auf diesem Pfad an Gewalt nicht fehlte, wurde Prachandas Vorgehen gelegentlich mit dem des Leuchtenden Pfads ("Sendero Luminoso") im Peru der achtziger und neunziger Jahre verglichen.

Doch die bürgerliche Demokratie einer nepalesischen Republik wird alles andere als ein "Leuchtender Pfad" sein. Wie viel wird Prachanda von seinen Zielen aufgeben, aufgeben müssen? Was wird aus seinen Kadern und Guerilla-Kämpfern, die zur Zeit noch in von der UNO gehüteten Enklaven leben und darauf warten, in die Royal Nepali Army einzutreten. Werden sie es Prachanda erlauben, seine so oft beschworene Mission zu vergessen?

Der einzige, der offenbar seelenruhig der Dinge hart, die da unvermeidlich kommen werden, ist König Gyanendra. Er sitzt in seinem Palast und surft im Internet. Den Strom hat man ihm noch nicht abgestellt, obwohl er sich weigert, seine Rechnungen zu bezahlen. Der Palast konsumiert knapp die Hälfte aller in Nepal verbrauchten Elektrizität. Sollte er ihn demnächst räumen müssen, will sich Gyanendra auf eines seiner milliardenschweren Besitztümer in Indien zurückziehen, vermutlich im ehemaligen hinduistischen Königreich Rajastan.

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