Eine Geliebte für Regentage

USA / Pakistan Die Partnerschaft zwischen Washington und Islamabad ist so schwer beschädigt, dass nicht einmal mehr der Chef des US-Generalstabs in Islamabad empfangen wird

Mitte Dezember präsentierte Pakistans Generalstab dem ständigen Verteidigungsausschuss in Islamabad eine Akte von großer Brisanz. Daraus ging hervor, dass es sich beim Luftangriff, dem in der Nacht zum 26. November Grenzposten im Verwaltungsbezirk Mohmand ausgesetzt waren, keineswegs um „freundliches Feuer“ irrender NATO-Einheiten handelte, wie es zunächst offiziell hieß. Vielmehr fand eine von US-Special-Forces geplante Operation statt. Die feuerten 84 Minuten lang – ungeachtet des sofortigen Alarms der beschossenen pakistanischen Posten bei der NATO-Koordinationsstelle – und töteten 24 Soldaten.

Islamabad zog harte Konsequenzen. Die strategische Partnerschaft mit Washington – bereits kräftig abgekühlt durch die Kommando-Aktion gegen Osama bin Laden in Abottabad am 1. Mai 2011 – wurde ohne jedes Zaudern auf Eis gelegt. Längst erwartet niemand mehr, dass bald alles wieder beim Alten sein wird. Das Kapitel der Post-9/11-Allianz scheint für immer geschlossen. Wie es weitergeht, ist noch offen. Pakistan wolle mehr als eine Geliebte für Regentage sein, sagt ein Parlamentarier der Opposition. Ist doch alles nur ein Pokerspiel?

Inzwischen versucht ein verspäteter „vorläufiger“ Untersuchungsbericht einer US-Militärkommission glaubhaft zu machen, dass der Luftangriff doch ein Missverständnis gewesen sei, geschuldet schlechten Kommunikationsstrukturen und menschlichem Versagen. Das Pentagon stellt gar in Aussicht, die Diensthabenden mit der langen Leitung zu bestrafen. Die pakistanische Armeeführung weist alles zurück. Generalstabschef Ashfaq Kayani ist im Moment nicht einmal bereit, seinen US-Kollegen Martin Dempsey in Islamabad zu empfangen. Es sei dort zu gefährlich für Dempsey wegen der anti-amerikanischen Stimmung im Lande.

Das scheint nicht einmal übertrieben. Im Dezember gaben immer wieder Hunderttausende auf den Straßen Lahores, Peshawars und Karatschis ihrem Unmut über die Gebaren der USA Ausdruck, die sich Pakistans Armee wie eines Söldnerheeres bedienten. Die Demonstranten waren ebenso wütend über die korrupte und US-hörige Regierung des kleptokratischen Präsidenten Asif Ali Zardari, über den rapiden Abwärtstrend der Wirtschaft wie die permanenten Stromausfälle, die Fabriken stillstehen lassen.

Mangels Alternativen avancierte über Nacht ein unbelasteter Außenseiter zum beliebtesten Politiker der urbanen Mittelschicht: der ehemalige Cricket-Star Imran Khan, der einst mit Benazir Bhutto in Oxford studierte. Bei Massenprotesten verlangt er das Ende der Allianz mit Washington und verspricht, falls gewählt, in 90 Tagen mit der Korruption aufzuräumen und Frieden mit den pakistanischen Taliban zu schließen. Viele sehen Khan bereits als nächsten Präsidenten und fordern, die 2013 fälligen Wahlen vorzuziehen. Andere verdächtigen Imran Khan, an den Schnüren des militärischen Establishment zu tanzen, spielt er dem doch mit Geschick seine politischen Bälle zu.

Reidels genialer Dreh

Der Stern von Staatschef Zardari ist inzwischen weiter gesunken, der Riss zwischen Zivilregierung und Armeeführung so tief wie selten zuvor. Gerade untersucht der Supreme Court Zardaris Verwicklung in den Memo-Gate-Skandal. Nach der Abottabad-Krise im Mai soll der Präsident die US-Militärführung aufgefordert haben, General Kayani prophylaktisch unschädlich zu machen, angeblich, um einen drohenden Staatsstreich zu verhindern. Das wäre nichts Geringeres als Hochverrat. Insider sind freilich der Ansicht, der hyperängstliche Präsident sei von Washington zur Destabilisierung der pakistanischen Armeeführung benutzt worden. Tatsächlich würde ein herbeigeflüsterter Coup einer Anti-Kayani-Fraktion in der Armee nur allzu gut in Washingtons Game-Plan passen.

Und der folgt einem neuen Konzept. Entwickelt hat es der ehemalige CIA-Offizier Bruce O. Reidel, der 2009 für Barack Obama die AfPak-Politik einer Inventur unterzog. Reidels neuer Pakistan-Kurs setzt auf „Bezwingung“ der Armeeführung, unter anderem durch öffentliche Blamage und inszenierte „Beweise“ groben Unvermögens. Es gilt, „fokussierte Feindschaften“ aufzubauen, die so weit gehen soll, dass US-Dienste in Pakistan Jagd auf unliebsame Armee- und ISI-Offiziere machen. Seit der spektakulären Uraufführung bei der Erschießung bin Ladens in Abottabad, Bestandteil des US-Repertoires, bescherte die neue Reidel-Linie der pakistanischen Armeeführung einen heißen Sommer, als Präsident Obama Tausende von US-Soldaten an die afghanische Grenze beorderte und mit Einmarsch in Pakistan drohte – zur Taliban-Jagd, wie es offiziell hieß.

Reidels Plan hat einen genialen Dreh: Er bringt die in Legitimationsnot geratenen US-Militärbasen in Afghanistan elegant durch die Hintertür wieder ins Spiel. „Wir brauchen diese Stützpunkte, damit wir handeln können, wenn wir eine Bedrohung durch Pakistan sehen“, schreibt Reidel in der New York Times. Das ist eine überraschende Begründung, die plötzlich nichts dringender braucht als ein renitentes, gefährliches Pakistan, das es in Schach zu halten gilt.

Möglichst bald eine Krise mit Pakistan zu provozieren, könnte für Washington schlicht eine geopolitische Notwendigkeit sein. Vielleicht braucht man morgen ein neues Libyen im „Herzen Asiens“.

Ursula Dunckern ist Südasien-Korrespondentin des Freitag

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