Heldin hinter Stacheldraht

Ausnahmezustand auf Zeit Noch ist der Deal zur Machtteilung zwischen Pervez Musharraf und Benazir Bhutto nicht vollends gescheitert

General Musharraf ist - so beschrieb es US-Vizeaußenminister John Negroponte gerade in CNN - unsere Option Nummer eins, Nummer zwei und Nummer drei. Was freilich nicht heiße, dass die USA keine anderen Optionen hätten, beeilte sich Außenministerin Condoleezza Rice klarzustellen.

Unbestreitbar ist die Pakistanpolitik der Bush-Regierung in eine Sackgasse geraten. Musharrafs Notstand - vor der Verkündung mit Washington und London besprochen - erlaubt einen Einblick in das komplexe Verhältnis zwischen Pakistan und den USA. Besonders aufschlussreich ist dabei, dass Admiral William Fallon, Chef des US Central Command, am 3. November zu Besuch im Hauptquartier der pakistanischen Armee in Rawalpindi war, während Musharraf seinen Vorkehrungen für das Ausnahmerecht den letzten Schliff gab. Fallon soll versucht haben, ihn zu überreden, den Plan fallen zu lassen, und mit Kürzung der Finanzhilfen gedroht haben, falls der US-Kongress das Roll Back der Bürgerrechte beanstandet. Wenn das korrekt ist, konnte er offenbar die pakistanische Führung nicht sonderlich beeindrucken.

Musharraf weiß, George Bush hat keine andere Wahl, als seine Regierung weiterhin zu unterstützen. Die Misere in Afghanistan sowie ein heraufziehender Militärschlag gegen Iran binden die USA eher noch fester an ihn als zuvor. Außerdem haben Pro-Taleban-Kräfte inzwischen die Kontrolle über das nördliche Grenzgebiet ausgedehnt und vier Fünftel des Swat-Tals einschließlich Polizeiposten und vieler Regierungsgebäude unter ihre Kontrolle gebracht haben. Washington ist um so mehr bemüht, die Kontakte mit potenziellen Nachfolgern Musharrafs zu pflegen, etwa zu Generalleutnant Kayani und andere hochrangige Militärs. Ein systematisch verbreitetes Gerücht behauptet, Musharraf sei längst entmachtet und Kayani der neue starke Mann.

Zu Beginn der Woche ließ das Oberste Gericht in Islamabad unter seinem neuen Chefrichter Abdul Hameed Dogar mehrere Petitionen gegen die Verhängung des Notstandes zu und eröffnete ein Verfahren gegen Musharraf, den Generalstaatsanwalt und die Medienzensurbehörde. Hameed Dogar - von Mushrraf mit Bedacht als Nachfolger des entlassenen Chefrichters Iftikhar Chaudry ausgewählt - kann die Petitionen kaum vom Tisch wischen. Sein Amt verlangt von ihm, dass er die Autokratie verurteilt und die Wiedereinsetzung von Verfassung und Grundrechten juristisch erzwingt. Und genau das wird er voraussichtlich tun und damit durchaus in Musharrafs Interesse handeln: Der Oberste Richter wird eine praktikable Rückkehr zur Demokratie vorschlagen und unter Beweis stellen, wie integer und unabhängig die höchste juristische Instanz des Landes ist. Das wiederum wird ihn qualifizieren, in den für kommende Woche angesetzten erneuten Verhandlungen über die Legitimität der Präsidentenwahl vom 6. Oktober ein Urteil zugunsten Musharrafs zu sprechen.

Falls das geschieht, kann der General wie versprochen seine Uniform an den Nagel hängen und seinen designierten Nachfolger Generalleutnant Kayani zum Armeechef machen. Die Übergangsregierung unter Premier Irshad Ullah Khan, einem Minenbesitzer, wäre damit gleichfalls gestärkt und könnte bis zu den nun doch für Januar angekündigten Parlamentswahlen ihr Mandat behalten. Zwischenzeitlich haben einige private Fernsehsender wieder befristete Sendelizenzen erhalten - ganz langsam könnte es Frühling werden in Pakistan, wären da nicht die anderen Szenen: Polizeigewalt gegen Benazir Bhutto und den großen Protestzug von Lahore nach Islamabad, Stacheldrahtbarrikaden gegen die "Heldin der Demokratie". Im Schatten des Notstandes gelingt es des Ex-Premierministerin sich zur Ikone des Widerstandes zu stilisieren. Bhutto erblüht im déjà vu ihrer eigenen Vita als gefangene Tochter des hingerichteten Vaters, als gefeiertes erstes weibliches Regierungsoberhaupt der muslimischen Welt vor 17 Jahren.

Tatsächlich hat der in Washington und London choreographierte Musharraf-Bhutto-Machtteilungs- und Kompromissplan ihre Aussichten auf ein glanzvolles Comeback bisher eher untergraben. Nachdem Musharrafs "Versöhnungserlass" der "Kleptomanin" nicht nur Straffreiheit, sondern nach Berechnungen pakistanischer Zeitungen auch satte 1,5 Milliarden Dollar aus ihren eingefrorenen Auslandskonten bescherte, könnten sie nun die Geschäfte mit dem Militärdiktator sowie ihre Vertraulichkeiten mit Washington und London politisch teuer zu stehen kommen.

Wenn sie aber als heroische Gegnerin des Ausnahmezustandes auftritt und - hinter Stacheldraht verbannt - aller Hoffnung auf eine dritte Amtszeit als Regierungschefin scheinbar beraubt ist, könnte sich das Blatt eindrucksvoll wenden lassen. Durch Polizeigewalt verhinderte Volkskundgebungen wirken schließlich viel emotionaler als unbehelligt stattfindende und lassen die zwielichtigen Geschäfte von gestern vergessen. Stacheldraht und Tränengas helfen, einen Mythos zu begründen. Musharraf gewinnt unterdessen Zeit, bis der neue Oberste Gerichtshof seinen Wahlsieg bestätigt. So ist nicht auszuschließen, dass die Geschichte doch noch endet, wie es die Drehbuchschreiber in Washington und London ursprünglich vorsahen.

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