Am 20. August sandte Pakistans Premier Yusuf Raza Gilani fünf Kistchen saftige Mangos nach Delhi – eine süße Erfrischung für seinen indischen Amtskollegen Manmohan Singh. Nach einer Woche eisigen Schweigens und kategorischer Ablehnung akzeptierte die Regierung in Islamabad die von Delhi angebotenen fünf Millionen Dollar Fluthilfe. Dunkler Kontrapunkt der schönen Gesten: An der indisch-pakistanischen Grenze wird seit Wochen wieder scharf geschossen, der Kaschmir-Konflikt meldet sich zurück.
Während Gilani Mangos verschickt, beschwört Abdul Basit, Sprecher des pakistanischen Außenministers, ein altbewährtes Menetekel: Es sei höchste Zeit, die Schrift an der Wand zu lesen. Der gerechte Freiheitskampf der Menschen in Kaschmir lasse sich nicht länger durch brutale Gewalt der indischen Armee unterdrücken! Klingt so ein Fanal der Versöhnung?
Der Beschluss, Fluthilfe aus Indien anzunehmen, wurde von Außenminister Shah Mehmood Qureshi während seines Besuches in New York verkündet – ganz offensichtlich unter dem Druck der Obama-Regierung. Pakistans Militär-Establishment und Teile der Medien verdammen die Entscheidung aufs Schärfste. Sie streue „Salz in offene Wunden“. Dieses Gebaren erinnert an die siebziger Jahre, als Indien während einer Hungersnot in Pakistan Weizenüberschüsse verschenken wollte und mit dem Hinweis abgewiesen wurde, man ziehe es vor zu verhungern. Während des Erdbebens von 2005 hingegen, das 73.000 Menschenleben forderte, ließ Präsident Musharraf indische Trucks mit Versorgungsgütern ins besetzte Kaschmir fahren.
Starke Ressentiments gegen Indien beherrschen besonders die Provinz Punjab, kaum jedoch Khyber Pakhtunkhwa (die einstige Nordwest-Frontier-Provinz), Belochistan und Sindh. Politiker aus dieser Region, die am schwersten von den Fluten verwüstet wurde und eine Million Menschen ohne Obdach zählt, öffnen sich Indiens Vorschlag, 400 Ärzte zu schicken.
Doppelter Salto
In Sindh werden freilich Rettungsaktionen schwer behindert. Wie sich durch Aussagen von Gesundheitsminister Khushnood Lashari vor dem Oberhaus herausgestellt hat, steht die Air Base Shahbaz, Depot für die amerikanischen F16-Bomber, nicht als Einsatzzentrale für Notmaßnahmen zur Verfügung. Der Grund: die US-Militärs schirmen den Stützpunkt ab. Wegen der F 16 und weil von dort Drohnen für den Anti-Terror-Kampf starten. Was die Obama-Administration verlegen bestreitet und nicht daran hindert, als großherziger Retter Nr. 1 eine historische Chance zu nutzen. Es geht ihr nicht darum, unter der chronisch anti-amerikanischen Bevölkerung Hearts Minds zu gewinnen. Dazu reicht Katastrophenhilfe in der Regel nicht aus. Obamas Chance in Pakistan besteht vielmehr darin, dem widerspenstigen, doch unersetzlichen strategischen Partner einen maßgeschneiderten Rettungsring anzulegen, aus dem er sich lange nicht mehr herauswinden kann. Indiens Präsenz in der multilateralen Rettungsgesellschaft ist dabei von spezifischem Gewicht.
Wenige Tage bevor Gilani seine Mangos aufgab, verkündete Hillary Clinton in Pakistans GEO TV eine Sensation. Nach US-Geheimdienst-Erkenntnissen habe der pakistanische Militärgeheimdienst ISI einen doppelten Salto zustande gebracht. In jüngsten internen Dossiers werde nicht mehr Indien als Feind Nr. 1 betrachtet, sondern die eigene Terror-Szene.
Diese „große Wende“ könnte simple PR-Taktik sein, um Wirkungen der WikiLeaks-Enthüllungen zu verwischen und die internationale Vertrauens- wie Spendenwürdigkeit zu heben. Wann, wenn nicht jetzt? Die erzwungene Annahme indischer Spenden gehört da ins Bild, soll sie doch ein Gegengewicht zum Konkurrenten China sein, den die Amerikaner bei der Katastrophenhilfe nicht unbedingt zu treffen wünschen. Sonderemissär Richard Holbrooke fiel zuletzt die Rolle des Spötters zu, der sich über die „bescheidenen Gaben“ Pekings lustig machte. Zu früh, wie sich herausstellte.
Dicker Strich
Wo Indien und Pakistan kooperieren – und sei es zur Rettung von Katastrophenopfern – tickt die Kaschmir-Bombe. So laut und gefährlich, dass sie Washingtons Krieg in Afghanistan aus den Angeln heben könnte. Gegenwärtig scheint das Weiße Haus zu hoffen, in einer recht guten Position zu sein, um diese Bombe ein für allemal zu entschärfen – dank wachsender militärischer und ökonomischer Bindungen mit Indien nach Abschluss des Nuklearvertrages und dank einer existenziellen ökonomischen Not (sprich: Abhängigkeit) Pakistans nach der Flutkatastrophe.
Allerdings werden die schönen Hoffnungen durch einen unerwarteten Schachzug Islamabads gestört, der die Wärme zwischen den strategischen Partnern gründlich abkühlte. Unbemerkt von den Argusaugen westlicher Geheimdienste hat das mächtige pakistanische Oberkommando das befreunde China in eine Schlüsselposition auf dem geopolitischen Schachbrett katapultiert und Indern wie Amerikanern einen dicken Strich durch jede Kaschmir-Rechnung gemacht.
Denn diese Konfliktzone wird ab sofort enger an die Volksrepublik gebunden. Islamabad hat Peking de facto die Kontrolle über das Gebiet von Gilgit und Baltisan überlassen, den nördlichsten Zipfel Pakistans, der die Provinz Khyber Pukhtunkhwa, Afghanistans Wakkan-Korridor, China und den indischen sowie pakistanischen Teil Kaschmirs verbindet. In der unzugänglichen Hochlagengegend – sie verfügt über den höchsten Grenzübergang der Welt – arbeiten momentan 11.000 Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee an einem System von Schnellstraßen und Schienen-Trassen, so dass China bald via Pakistan Zugang zum Arabischen Golf haben dürfte. Während chinesische Öltanker bisher noch bis zu 20 Tage auf ihrer Golfroute brauchen, könnten Transporte durch den Transit über Gilgit und Baltisar in 48 Stunden zum pakistanischen Tiefseehafen Gwadar gelangen. Die ökonomische und strategische Bedeutung dieser Abkürzung ist kaum zu überschätzen.
Ursula Dunckern schreibt im Freitag regelmäßig über Indien, Pakistan und Afghanistan
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