Nacht der tiefen Taschen

Indien Die Linksfront wollte Premier Singh stürzen und unterlag der Korruption

Rote Rosen, strahlende Gesichter - in "10 Janpath", der offiziellen Residenz Sonia Gandhis, wird ein Sieg gefeiert, der am seidenen Faden hing. Kein glänzender Triumph, mehr eine Gewähr für das nackte politische Überleben. Um das zu sichern, waren Mittel recht, die es verdienen, korrupt genannt zu werden. Doch nun sind die Würfel gefallen, und die Überlebenden schreiten in Siebenmeilenstiefeln voran.

Seit die Regierung des Kongresspolitikers Manmohan Singh Ende Juli in einer turbulenten Parlamentssitzung ein Vertrauensvotum gewann, dem sie sich stellen musste, nachdem ihr die Linke Front (LK) weiteren Beistand versagt hatte, ist in Delhi nichts mehr, wie es war. Der bereits tot geglaubte Atomvertrag mit Washington - zuständig für Monate der politischen Lähmung - sprang zurück ins Gleis und fährt nun seiner Unterzeichnung entgegen: die Verhandlungen mit der IAEA, der Wiener Atomenergiebehörde, sind weit fortgeschritten, Emissäre werben emsig um das von dort nötige Plazet, die Bush-Regierung reibt sich die Hände.

Der Vertrag verspricht Indien Zugang zu US-Nukleartechnologie und könnte helfen, einen rapide steigenden Energiebedarf zu decken. Auf der anderen Seite verpflichtet er dazu, alle indischen Atomprogramme von den zuständigen UN-Gremien kontrollieren zu lassen, und die nationale Sicherheitspolitik an die globalen Bedürfnisse der USA anzupassen. Die Linksfront, geführt von den Kommunisten der CPI (M), war dagegen und vermochte den Vertrag lange in der Schwebe zu halten - bis es zu spät war. Nun muss sich ihr Führer Prakash Karat vorwerfen lassen, durch Donquichotterie eine definitive Entscheidung mutwillig heraufbeschworen - und verloren zu haben. Er glaubte, den "Deal" mit Washington durch den Sturz der Regierung vereiteln zu können. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Mit ihrem Ausstieg gibt die Linksfront Premier Singh freie Hand, seine gesamte Agenda durchzudrücken - nicht nur den Atomvertrag, ebenso festgefahrene Gesetze im Finanzsektor wie seine Privatisierungsziele, denen sich die LF bisher gleichfalls widersetzte. Dem ehemaligen Weltbank-Residenten und Vater der "Manmohanomix" bleibt zwar nicht viel Zeit, den unter seinem Patronat begonnenen großen ökonomischen Kurswechsel zu vollenden, doch es könnte reichen.

Die von der LF erzwungene Vertrauensfrage im Unterhaus wurde weniger mit Argumenten als durch harten Machtpoker und millionenschwere Bestechungen entschieden. Die Regierung in Not ließ drei wegen Mordes verurteilte Parlamentarier zur Abstimmung aus dem Gefängnis holen und scheute sich nicht, kleine Fische zu honorieren, die als "Unabhängige" ihre Stimmen zu Höchstpreisen anboten. Als zwei Tage vor dem Votum noch 16 Stimmen fehlten, stiegen die öffentlich diskutierten Kopfpreise ins Phantastische. Es folgte eine Nacht der tiefen Taschen, in der Abgeordnete ihren Bonus für die Flucht aus dem Fraktionszwang oder für eine Stimmenthaltung kassierten. Drei Parlamentarier der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) warfen im Unterhaus dicke Geldbündel auf den Tisch, mit denen sie angeblich bestochen worden waren - der daraufhin beschlossene Untersuchungsausschuss wird lange tagen und wenig finden.

Die Linksfront hat ein Beben in der politischen Landschaft ausgelöst, das Indien weit über den Zwang der Stunde hinaus verändern dürfte. Der Regierung fand überraschend einen neuen Alliierten: die regionale Samajwadi Party (SP) Mulayam Singh Yadavs, die lange Zeit Indiens größten Staat Uttar Pradesh regierte. Die SP galt bislang eher als möglicher Partner einer Dritten Front, die aber gegen den Koloss Kongresspartei und das Schwergewichte BJP wenig auf die Waage brachte. Nun wurde Parteichef Mulayam zum Joker, der Premier Singh seine Agenda ausreizen lässt. Irgendwann allerdings wird sich der hartgesottene Machtbroker an der SP-Spitze sein Pfund Fleisch abschneiden wollen. Er soll vor der Vertrauensfrage schon über Forderungen verhandelt haben. Das Raunen über einen möglichen Premier Mulayam Singh ist jedoch wieder verstummt.

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