Einen so herzlichen Empfang in Indien hatte der US-Sonderbeauftragte Richard Holbrooke gewiss kaum erwartet, sind doch die Beziehungen zwischen Delhi und Washington seit Präsident Obamas Amtsantritt merklich abgekühlt. Doch Holbrooke wird gerühmt, bei seinem vorangegangenen Besuch in Pakistan nichts weniger als ein Wunder vollbracht zu haben. Während sein Flugzeug in Islamabad abhob, überraschte Präsident Zardari mit einer Erklärung, die wie Musik in indischen Ohren klang. Er räumte ein, die Terroranschläge von Mumbai seien in Pakistan geplant worden. Angesichts der Beweislage sicher keine besonders sensationelle Erkenntnis, doch wenn sie der Präsident ausspricht, wirkt das wie ein Friedensgeläut, das man bis Delhi hören soll.
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Doch Vorsicht ist geboten. Schließlich hat Asif Ali Zardari bereits mehrfach allzu kühne Eingebungen hastig zurücknehmen müssen, wenn sie dem militärischen Establishment nicht passten. Erst im Januar verlor Mahmud Durrani seinen Posten als Nationaler Sicherheitsberater Pakistans, nur weil er in einem Interview eingeräumt hatte, es sei durchaus möglich, dass Ajmal Amir Kasab, der einzige Überlebende der Anschläge von Mumbai (er wird seit zwei Monaten von indischen, amerikanischen, britischen und israelischen Geheimdienstlern verhört) aus Pakistan komme. Trotzdem ist offensichtlich, dass Richard Holbrookes Mission, Pakistan auf eine neue Strategie für die große Schlacht um Afghanistan einzuschwören, eine dramatische Wende in der pakistanischen Politik bewirkt hat. Ob die von Dauer ist, bleibt freilich offen.
Neben der überraschenden Äußerung über die Anschläge von Mumbai gab es im Sog des Holbrooke-Besuchs ein weiteres sensationelles Statement des pakistanischen Staatschefs. In einem Interview für den US-Kanal CBS sprach Zardari erstmals von einer drohenden Machtübernahme durch die Taliban und vom Kampf um das Überleben Pakistans, bei dem die Armee und die Geheimdienste (!) sein volles Vertrauen genießen würden. Holbrooke revanchierte sich, indem er den Versuch unternahm, den ehemaligen Premierminister Nawaz Sharif von seinem Vorhaben abzubringen, im März mit der vereinten Opposition gegen die Regierung zu marschieren.
Unmittelbar vor der Holbrooke-Visite hatte Präsident Zardari überraschend den Atomwissenschaftler Abdul Qadeer Khan aus dem Hausarrest entlassen – unter Auflage einer absoluten Schweigepflicht. Offenbar war auch dies Teil eines in Washington entwickelten Planes zur Stabilisierung Pakistans. Abdul Qadeer Khan – er hatte im Dezember 2003 gestanden, Nukleartechnologie an Iran, Nordkorea und Libyen verkauft zu haben – galt bisher als Sündenbock für eine tief in Proliferationsgeschäfte verstrickte Generalität. Um so mehr wurde der Nationalist und Sympathisant der radikal-islamischen Lashkar-e-Toiba (LeT), der als Vater der pakistanischen Bombe gilt, stets als Held gefeiert. Ihn gerade jetzt auf freien Fuß zu setzen, das beschwichtigt eine islamistische Opposition, der Zardaris Regierung viel zu konziliant gegenüber Amerika ist.
Geköpft oder erschossen
Während sich die Obama-Administration unter Hochdruck bemüht, Pakistan zu stabilisieren und Indien unter die Fittiche einer strategischen Partnerschaft zu bringen, lassen sich die militanten Islamisten weniger denn je beirren. Ein Angriff der Taliban, vor dem Präsident Zardari warnt, ist nicht auszuschließen. Große Teile des Landes sind der Armee längst entglitten, im Swat-Tal und in der Nordwestfrontier-Provinz verfügen die Gotteskrieger bereits über eine absolute Herrschaft. Sämtliche Schulen – nicht nur für Mädchen – wurden geschlossen. Wer den vorerst noch an die Wände geschriebenen Gesetzen nicht gehorcht – Musik ist verboten, jeder Mann trägt einen Bart – riskiert sein Leben. An allen Dorfeingängen kann man sich die Bewohner ansehen, die sich widersetzt haben. Sie wurden geköpft oder erschossen. Mittlerweile sind die Taliban keine Eindringlinge mehr, sondern Bauern aus der Region. Fast jeder will dazugehören, fast jeder hofft auf eine Kapitulation der Armee, die doch nichts mehr retten kann und alles nur verschlimmert.
Auch als Transitland für die Versorgung der alliierten Truppen in Afghanistan ist Pakistan nicht mehr sicher. Konvois werden überfallen, Brücken gesprengt oder Zufahrten zu den Grenzübergängen blockiert. Und obwohl lokale Taliban-Kommandeure enorme Gelder für den Schutz dieses Nachschubs kassieren, fällt trotzdem fast die Hälfte der Güter in die Hände von Räubern und Plünderern. Die Basare der Grenzstadt Peschawar sind voll von amerikanischen Waren und Waffen - ganz wie zu Zeiten des Dschihad, des Heiligen Krieges gegen die Sowjetunion, der vor genau 20 Jahren mit dem Abzug der Sowjetarmee zu Ende ging.
Der Plan Washingtons, durch den Abschluss bilateraler Abkommen mit zentralasiatischen Staaten wie Georgien, Aserbaidschan und Kirgisien eine neue kaspische Transitroute auszubauen – die sich übrigens bei Bedarf auch in entgegengesetzter Richtung als Energie-Trasse nutzen ließe – ist vorerst gescheitert. Moskau schob den unwillkommenen Versuchen der Amerikaner einige Riegel vor und verhinderte so eine stärkere Präsenz der USA in der zentralasiatischen Region. Unter anderem gelang es Washington bisher nicht, die Geschlossenheit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) – ihr gehören China, Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan an aufzubrechen, um auf diese Weise eine russische Afghanistan-Initiative zu neutralisieren. Die zielt darauf ab, das Monopol der USA in der Region zu brechen und Moskau wieder eine Rolle in Kabul zu verschaffen. Neben China sind auch Indien und Iran davon überzeugt, damit eine Alternative anzubieten.
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