"Will Natwar Sing?" - "Wird Natwar singen?" Das fragt sich in Delhi nicht nur der prominente Kolumnist M. J. Akbar, sondern auch mancher Politiker. Viele hegen in diesen Tagen den Verdacht, der gerade zurückgetretene Außenminister Natwar Singh wisse etwas, das der Öffentlichkeit bisher verborgen blieb - und der Regierung von Premierminister Manmohan Singh immens schaden könnte.
Der 74-jährige Kongressmann aus der alten Garde scheint bislang weltweit das einzige politische Opfer des "Volcker-Reportes" der Vereinten Nationen zu sein, der seinen Namen auf einer langen Liste der illegal Begünstigten des Oil-for-Food-Programms verzeichnet, das die Vereinten Nationen in den neunziger Jahren für den Irak aufgelegt hatten. Dadurch unter schweren Beschuss geraten, gibt sich der demissionierte Minister ostentativ selbstbewusst. Er bedauere außerordentlich, dass es ihm die laufende richterliche Untersuchung derzeit verbiete, öffentlich Erklärungen zur Sache abzugeben. Auf der Liste stehe schließlich nicht nur sein Name.
In der Tat findet sich in besagtem UN-Report neben DaimlerChrysler, Siemens oder Volvo, neben insgesamt rund 2.000 mehr oder weniger renommierten Firmen, der Orthodoxen Kirche Russlands und diversen Einzelpersonen auch die indische Kongresspartei platziert. Die Opposition spricht bereits von "Con-Gate" und freut sich händereibend auf einen heißen Winter im Unterhaus. Sie wird nicht mit Natwar Singhs Kopf zufrieden sein, sie will auch den von Sonia Gandhi. Seit der Amtsübernahme im Juli 2004 hat die Regierung nicht derart unter Druck gestanden. Nach einer Phase des bleiernen Schweigens und der Hinterzimmer-Debatten gibt sich Sonia Gandhi wild entschlossen, die Schuldigen - falls es die geben sollte - auf keinen Fall zu schonen. Doch darf Natwar Singh seinen Ministerrang vorerst behalten, ohne Portfolio allerdings - bis auf weiteres wird das Außenressort vom Premierminister übernommen.
Kaum überraschend gewinnt Natwar Singh in einer solchen Situation unter bisherigen politischen Gegnern gute Freunde. Die linken Parteien wie die inzwischen aus vier kommunistischen Gruppierungen bestehende Left-Front, ohne deren parlamentarischen Beistand die kongressgeführte Koalitionsregierung nicht existieren könnte, haben in ihm einen nützlichen Partner entdeckt. Einst ein enger Vertrauter der 1984 ermordeten Ministerpräsidentin Indira Gandhi und ein überzeugter Anwalt einer Politik der Blockfreiheit bürgt Singhs Name seit jeher für gute Beziehungen zum Iran wie auch zum Irak.
Nach den Volcker-Enthüllungen verlangte er prompt, Indien müsse sich nun erst recht jeglichem amerikanischen Druck widersetzen und am 24. November im Verwaltungsrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien gegen die Resolution der EU-3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) stimmen, die darauf zielen werde, das iranische Atomprogramm vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen. Die Linksparteien haben Singhs Anregung gern aufgegriffen und zum Schlachtruf gegen die kongressgeführte Regierung erkoren. Sie drohen mit einer Unterhaussaison der harten Schläge, sollte in Wien erneut der Opportunismus triumphieren. Bei einem vergleichbaren Votum im Verwaltungsrat der IAEA am 23. September hatte Indien bereits eine gegen Teheran gerichtete Resolution abgesegnet, was in Delhi zu scharfer Kritik und dem Vorwurf führte, man habe im Dienste der neuen Freunde in Washington nicht nur den Iran, sondern auch die traditionelle Politik der Blockfreiheit verraten.
Während sich Premier Manmohan Singh für kommende Schlachten rüstet - es heißt, er habe für den bevorstehenden Auftakt der Parlamentssaison sämtliche Termine außerhalb Delhis abgesagt -, erntet er Applaus von anderer Seite. Ein Bericht der US-Agentur Strategic Forecast (Stratfor) stellt befriedigt fest, die Demission Natwar Singhs stehe ganz und gar im Einklang mit Bestrebungen des indischen Regierungschefs, das in der Vergangenheit belastete Verhältnis zur US-Administration einer Inventur zu unterziehen. Indiens Absicht sei unverkennbar, die Beziehungen mit den USA "so warm wie frisches Naan-Brot aus dem Tandoor-Ofen" werden zu lassen. Natwars Abgang als Außenminister erfolge in Übereinstimmung mit den Interessen der USA rechtzeitig vor dem IAEA-Befund über Irans Nuklearaktivitäten.
Natwar Singh galt in Washington zuletzt als "gefährlicher Mann" - unberechenbar in seinem politischen Vorgehen wie "eine von ihrer Flugbahn abgekommene Rakete". Dem Verdacht, dass der Name Natwar Singh durch Manipulation in den Volcker-Report geraten sein könnte, um einen missliebigen Politiker kalt zu stellen, begegnet der Kommissionsvorsitzende Paul Volcker, einst Chef der US Federal Reserve, mit demonstrativer Arglosigkeit: Natwar Singh? Indiens Außenminister? Das habe er nicht gewusst! "Natwar war einfach ein Name auf meinem Tisch!"
Premierminister Manmohan Singh - in Washington als "Architekt der neuen indisch-amerikanischen Beziehungen" gefeiert - stehen etliche Zerreißproben bevor, und der Schulterschluss mit den USA und der EU gegen Teheran dürfte dabei erst der Anfang sein. Immerhin steht der Abschluss des heiß umstrittenen indisch-amerikanischen Atomvertrages bevor, der - sofern es nach den Wünschen der US-Regierung geht - während des Indien-Besuches von George Bush Mitte Januar unterzeichnet werden soll.
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