Ein knappes Jahr vor der Bundestagswahl hat die schwarz-gelbe Koalition nun doch die Bekämpfung der Altersarmut auf die Agenda gesetzt. Zu den kaum mehr durchschaubaren Vorschlägen von CDU und CSU – Zuschussrente sowie Verbesserungen für Geringverdiener oder Frauen – wurde nun mit der „Lebensleistungsrente“ eine weitere Nebelkerze in die politische Arena geworfen. Aus Steuermitteln sollen sehr kleine Altersrenten aufgestockt werden – allerdings nur, wenn man 40 Jahre Beiträge gezahlt und zusätzlich privat vorgesorgt hat. Und auch dann soll die „Lebensleistungsrente“ nur knapp über der Armutsgrenze liegen.
Das Wirrwarr der halbgaren Konzepte böte der SPD eigentlich eine gute Gelegenheit, ihre Kompetenz für die lebenswichtigen Anliegen der Arbeitnehmer und der über 20 Millionen Rentner unter Beweis zu stellen. Denn bei der von Regierungs- und Oppositionsparteien vollmundig propagierten „Bekämpfung der Altersarmut“ geht es ja längst nicht nur um das bittere Schicksal der Geringverdiener im Alter und die drastisch sinkenden Renten, sondern auch um politische Glaubwürdigkeit und um Wählerstimmen.
Steinbrück zu Gefallen
Tatsächlich will die SPD bei ihrem „Renten-Parteitag“ am 24. November nach langen internen Querelen ein eigenes Konzept präsentieren. Allerdings muss sie dabei einen schwierigen Spagat leisten: Mit dem früheren Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat sie einen Kanzlerkandidaten auf den Schild gehoben, der sich bereits deutlich gegen den überfälligen Kurswechsel in der Renten- und Arbeitsmarktpolitik ausgesprochen hat. Keine Änderungen an der Rentenformel, das hat Steinbrück gerade noch einmal bekräftigt. Statt die Weichen neu zu stellen, verstricken sich die Sozialdemokraten in ihrer Rentenpolitik in Nebenkriegsschauplätze. Letztlich gilt: Ob Lebensleistungsrente à la von der Leyen oder Solidarrente von Sigmar Gabriel – beides wird kaum nützen, denn die Zugangshürden sind bei weitem zu hoch.
Während die Regierungskoalition durch die Verknüpfung ihrer Rentenaufstockung mit der privaten Zusatzversicherung die Finanzbranche päppelt, verneigt sich die SPD mit der Verbesserung der Tarif- und Betriebsrenten vor den „Mächtigen“ unter den Gewerkschaften. Profitieren werden nur wenige. Doch bezahlen muss die große Mehrheit der Arbeitnehmer und vor allem Arbeitnehmerinnen mit ihren Beiträgen und Steuern sowie weiteren Rentenausfällen.
Ob Zuschuss- oder Lebensleistungs- oder Solidarrente – die Modelle beschränken sich auf ein Kurieren an den Symptomen der wachsenden Altersarmut. Weder mit den Rentenvorschlägen der Regierungskoalition noch mit denen der SPD wird Altersarmut nachhaltig bekämpft oder verhindert. Der Lebensstandard wird nicht gesichert. Das gefährdet die Akzeptanz und damit die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung mit Pflichtbeiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Eckpfeiler unseres Sozialstaates.
Die Kaufkraft sinkt
Wenig überzeugend ist auch die im vorliegenden Entwurf des Alterssicherungsberichts der Bundesregierung verabreichte Beruhigungspille: Die Haushaltseinkommen der Rentner seien insgesamt erheblich höher, als aus der Rentenhöhe ablesbar sei. Dagegen betont das Statistische Bundesamt: „So viele Rentner wie nie brauchen Grundsicherung“. In den kommenden Jahren wird sich dies verschlimmern, es ist mit einem erheblichen Anstieg der Altersarmut zu rechnen. So belegen selbst Veröffentlichungen aus dem Bundesarbeitsministerium, dass man – nach heutigem Maßstab – auf Dauer mindestens 2.500 Euro brutto im Monat verdienen muss, um im Ruhestand nach 2030 eine gesetzliche Rente über der Armutsgrenze zu erhalten. Denn bis dahin – so steht es seit 2005 im Gesetz – wird das Rentenniveau auf 43 Prozent gesenkt. Niedriglöhner – rund ein Viertel der abhängig Beschäftigten – und 400-Euro-Jobber – rund 7,4 Millionen Menschen – können da kaum der Armut im Alter entrinnen. Die gerade von der schwarz-gelben Regierungskoalition beschlossene Ausweitung der 400- auf 450-Euro-Jobs wird die Armut bei Arbeit und im Alter weiter ausdehnen.
Schon seit dem Jahr 2000 sank die Kaufkraft der Rentner um ein Fünftel. Grund sind die Mehrbelastungen für die Gesundheitsversorgung und Pflege und die mehrjährigen Nullrunden bei den Rentensteigerungen.
Für die SPD wäre der einzige überzeugende Schritt, den für Millionen Menschen verheerenden Paradigmenwechsel mit der Riester- Reform von 2001 rückgängig zu machen. Danach muss sie die willkürlichen Manipulationen der Rentenleistungen nach unten beenden und wieder zur dynamischen lohnbezogenen Altersrente zurückkehren. Die Rente mit 67 muss zumindest ausgesetzt werden. Sie bedeutet in der Praxis einfach höhere Abschläge, wenn Arbeitnehmer vorzeitig in Rente gehen. Trotz aller Jubelmeldungen über erhöhte Beschäftigung unter Älteren: Die Erwerbschancen von Menschen über 60 sind völlig unzureichend, vielfach sind Löhne und Arbeitsbedingungen inakzeptabel.
Spirale der Armut
Die SPD aber verfolgt nun einen Scheinkompromiss auf Vorschlag ihres nordrhein-westfälischen Landesverbands, Heimat des Kanzlerkandidaten Steinbrück. Vorgesehen ist, an den Rentengesetzen zunächst nichts zu ändern, nach denen das Rentenniveau bis 2020 auf 46 Prozent des Durchschnittseinkommens sinkt. Stattdessen hofft man auf Reformen am Arbeitsmarkt wie die Einführung eines Mindestlohns. Erst 2020 will die SPD entscheiden, ob diese ausreichen, das Rentenniveau zu stabilisieren oder ob ein gesetzlicher Eingriff erforderlich ist. Begründung: Höhere Löhne führen zu höheren Rentenansprüchen. Damit sind diejenigen in der SPD ausmanövriert, die das derzeitige Rentenniveau von etwa 50 Prozent in jedem Fall sichern wollen.
Doch auch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von 8,50 Euro – wenn er denn politisch durchzusetzen ist – kann die Spirale in die Altersarmut kaum aufhalten. Selbst die Bundesregierung muss zugeben, dass erst bei einem Stundenlohn über zehn Euro und Vollzeitarbeit über 45 Jahre die Armutsgrenze überwunden wird. Will man Niedriglöhne und Altersarmut wirklich bekämpfen, müssen einige der Hartz-Reformen rückgängig gemacht werden, vor allem die gesetzliche Ausweitung der Leiharbeit, der befristeten Beschäftigung und der Minijobs.
In Wirtschaft und Politik wird kräftig Stimmung gegen die Wiederherstellung der dynamischen lohnbezogenen Altersrente gemacht. Sie sei nicht zu bezahlen und würde die jüngere Generation übermäßig belasten, heißt es. Doch ist das eine Irreführung der Öffentlichkeit. Derzeit werden vor allem die Arbeitnehmer durch ihre zusätzlichen alleinigen Beiträge für die Riester-Renten belastet. Diese kosten sie bis zu vier Prozent des Bruttoeinkommens. Sie bezahlen alleine dafür, die Verschlechterung ihrer gesetzlichen Renten einigermaßen auszugleichen. Entlastet wurden die Arbeitgeber, die den normalen Rentenbeitrag zur Hälfte mitbezahlen. Der Beitragssatz ist bis 2020 auf 20 Prozent und bis 2030 auf 22 Prozent festgeschrieben; die Arbeitgeber übernehmen also höchstens zehn Prozent 2020 und elf Prozent 2030. Die finanzielle Belastung der Arbeitnehmer ist jeweils um bis zu vier Prozent höher, sofern sie eine Riester-Rente abschließen.
Finanziellen Spielraum gibt es
Deren staatliche Förderung durch Zuschüsse und Steuererleichterungen kommt vor allem Menschen mit besserem Einkommen zugute. Die hohen Provisionen für die privaten Riester-Versicherer, die unübersehbaren Risiken auf den Finanzmärkten sowie die Anrechnung der Riester-Renten auf die Grundsicherung verringern verständlicherweise das Interesse vieler Geringverdiener am „Riestern”. Zudem können sie sich häufig eine derartige zusätzliche private Altersversorgung gar nicht leisten. Für die große Mehrzahl der Arbeitnehmer wäre es als Beitragszahler und als Rentner erheblich günstiger, wenn die hälftig von den Arbeitgebern mitfinanzierte gesetzliche Rentenversicherung wieder zu einer auskömmlichen Altersrente führen würde.
Genügend finanzielle Spielräume wären vorhanden, wenn die inzwischen auf 24 Milliarden Euro angewachsenen Überschüsse der Rentenversicherung nicht – wie von der Bundesregierung beschlossen – zur Absenkung der Beiträge auf 18,9 Prozent des Bruttolohns verwendet würden. Die Entlastung um etwa acht Euro im Monat nützt Versicherten wenig, wenn sie dafür gravierende Verschlechterungen ihrer Altersrenten befürchten müssen. Mit gutem Grund haben sich in Umfragen bis zu 80 Prozent der Teilnehmer gegen die Senkung der Rentenbeiträge ausgesprochen.
Überfällig ist zudem die Einbeziehung von Selbstständigen, Beamten und Politikern in die gesetzliche Rentenversicherung. Die Diskrepanz zwischen den erheblich höheren Beamtenpensionen und den gesetzlichen Altersrenten ist in den letzten vier Jahren weiter gewachsen. Mit der Einführung einer Erwerbstätigenversicherung wird nicht nur die finanzielle Basis der gesetzlichen Rentenversicherung verbessert. Auch Raubbau und Flickschusterei bei den Rentengesetzen zu Lasten der großen Mehrheit der Arbeiter und Angestellten wären beendet.
Ursula Engelen-Kefer, jahrelang für den Deutschen Gewerkschaftsbund im Vorstand der Deutschen Rentenversicherung, arbeitet heute als Publizistin
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