Ausgebremste Rebellen

Mindestlohn Eine bittere Enttäuschung der geweckten Erwartungen: Der CDU-Parteitag räumt das Thema Lohnuntergrenze mit einem Formelkompromiss ab - zu Lasten der Niedrigverdiener

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es wieder geschafft: Die zeitweilig ins Wanken geratene Front der CDU gegen einen gesetzlichen Mindestlohn hat sie auf dem Parteitag mit einem Formelkompromiss geschlossen. Der mit einem „sozialen Mäntelchen“ umhüllte Schwarze Peter beim Stopp von Niedrig- und Armutslöhnen liegt nun wieder bei den Tarifparteien. Damit ist der zwischenzeitlich verärgerte CDU-Wirtschaftsflügel besänftigt.

Zwar soll es künftig für tariffreie Bereiche Lohnuntergrenzen geben. Ausgehandelt werden sie jedoch von einer Kommission der Tarifparteien. Nach Regionen und Branchen kann differenziert werden. Die „Mindestlohn-Rebellen“ – allen voran der CDA-Vorsitzende Karl-Josef Laumann und Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen – wurden zurückgepfiffen. Vergeblich hatten sie der Öffentlichkeit unermüdlich erklärt, dass sie für eine verbindliche Lohnuntergrenze wie in der Leiharbeit von rund sieben Euro im Osten und knapp acht Euro im Westen kämpfen wollten. Jetzt sind sie – auch wenn sie selbst das vehement bestreiten – zu Statisten im Mindestlohn-Marionettentheater der Kanzlerin degradiert und sollen die Einzelheiten für das weitere Verfahren aushandeln.

Dabei gibt es wenig Spielräume: Der Beschluss des Parteitages ist nicht viel mehr als eine Bestätigung der bestehenden Rechtslage. Schon heute können tarifliche Mindestlöhne von Arbeitgebern und Gewerkschaften vereinbart und von der Regierung für allgemein verbindlich erklärt werden. Die praktische Durchsetzung ist jedoch ein zähes Unterfangen. Bislang sind noch nicht einmal zehn Prozent der Arbeitnehmer durch derartige tarifliche Mindestlöhne geschützt.

Ein zähes Unterfangen

Zudem gibt es immer mehr weiße Flecken in der Tariflandschaft: Während im Westen noch etwa 70 Prozent der Arbeitnehmer durch Tarifverträge geschützt sind, trifft dies im Osten nur für etwa die Hälfte zu. Der bereits vor fünf Jahren von den DGB-Gewerkschaften ausgehandelte Mindestlohn für die Leiharbeit ist bis heute nicht für die gesamte Branche durchgesetzt. Die Folge: Etwa zwölf Prozent der Leiharbeitnehmer müssen ergänzend Hartz IV beziehen. Die weitere Möglichkeit, für tariffreie Beschäftigte durch Kommissionen aus Arbeitgebern und Gewerkschaften Mindestlöhne einzuführen, ist bisher nicht ein einziges Mal genutzt worden. Der Versuch eines Mindestlohns in den oft miserabel zahlenden Callcentern ist kläglich gescheitert. Das Schicksal der vom CDU-Parteitag jetzt erneut vorgeschlagenen Kommission der Tarifparteien für die Vereinbarung von Lohnuntergrenzen ist somit vorgezeichnet. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nutzt jede Gelegenheit, seine Ablehnung von Mindestlöhnen und die Gefahr der Vernichtung von Arbeitsplätzen darzustellen. Dabei widerlegen dies Untersuchungen im In- und Ausland und verweisen umgekehrt auf die Stabilisierung der Beschäftigung durch Mindestlöhne.

Dass die Kanzlerin ihre Mindestlohn-Kapriolen so ungeniert schlägt, liegt auch am vielstimmigen Chor bei den Gewerkschaften. Wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) versteht Merkel das Prinzip „teile und herrsche“. Sie orientiert sich an denen, die ihr am besten ins wahltaktische Konzept passen. Sowohl die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie als auch die IG Metall haben den Vorrang der Tarifautonomie bei Mindestlöhnen immer wieder betont. Die IG BAU wiederum verhandelt mit den Bauarbeitgebern seit 1995 erfolgreich tarifliche Mindestlöhne, die regelmäßig erhöht werden. Sie muss befürchten, dass generelle Lohnuntergrenzen Druck auf ihre erheblich höheren tariflichen Mindestlöhne ausüben.

Verlierer sind die Gewerkschaften mit schwach organisierten Niedriglohnsektoren – insbesondere Verdi und die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, die, unterstützt vom DGB, für einen gesetzlichen Mindestlohn nicht unter 8,50 Euro streiten. Die Leidtragenden des Mindestlohn-Theaters der CDU sind aber vor allem die vielen Menschen in den Niedriglohnsektoren. Die von der Spitze der CDU zeitweilig geweckten Erwartungen auf eine existenzsichernde faire Entlohnung sind bitter enttäuscht worden.

Ursula Engelen-Kefer war von 1990 bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Heute arbeitet sie als Autorin und Dozentin

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