Differenz ist normal

WOCHE DER AUSLÄNDISCHEN MITBÜRGER Frankfurt am Main, die Stadt mit dem »höchsten Ausländeranteil«, versucht, allen Bürgern Angebote zu machen. Die CDU ist dabei, das zu ändern

Der Frankfurter Akzent ist unüberhörbar. Manuel Parrondo erzählt gern, wie er als kleiner Junge 1963 zusammen mit dem Vater zum ersten Ostermarsch in Deutschland ging, wie er als Gymnasiast im Stadtschülerrat mitmischte, dann in den spanischen Vereinen aktiv wurde. Manuel Parrondo - »Gastarbeiterkind« oder besser: Frankfurter ohne deutschen Pass, integriert, weil engagiert. Inzwischen ist er Vorsitzender der Kommunalen Ausländervertretung (KAV) in der Mainmetropole und bewegt sich selbstbewusst auf dem örtlichen politischen Parkett. In der Stadt ist er kein Unbekannter. Aber auch keiner, der sich bis zur Unkenntlichkeit assimiliert hat: Er sagt »sie«, wenn er von den deutschen Pass besitzern spricht, und »wir«, wenn er die über 180.000 Nichtdeutschen meint. »Vielleicht«, sagt er außerdem, »vertragen sich die Deutschen und Nichtdeutschen hier so gut, weil sie nebeneinander leben?« Ist das ein Rezept?

Drei von zehn Einwohnern Frankfurts sind Nichtdeutsche; damit hat die Stadt den bundesweit höchsten Ausländeranteil. Bei den Kindern und Jugendlichen liegt er sogar bei 40 Prozent. In manchen Stadtteilen sind die Deutschen inzwischen in der Minderheit: Im Bahnhofsviertel etwa machen sie noch ein Fünftel aus. Kann so was gutgehen? Es kann, allerdings nicht ohne Reibungen und nur mit viel politischem Gestaltungswillen.

Konflikte sind keineswegs selten. Rund zehnmal am Tag klingelt im städtischen Amt für multikulturelle Angelegenheiten (AmkA) das Telefon, weil zum Beispiel Zuwanderer sich über Behörden beschweren. Ein Problem, das vielleicht bald schrumpfen wird: Seit langem fordern die Migranten in der KAV eine Anti diskriminierungsrichtlinie für Frankfurt. Eine Ombudsstelle müsse geschaffen werden, die Beschwerden überprüft. Und Parrondo ist zuversichtlich, »dass die Richtlinie jetzt bald kommt. Fast alle in der Stadtverordnetenversammlung stehen inzwischen hinter unserer Forderung«.

Problem Nummer zwei: teils schwere Nachbarschaftskonflikte. Da lieferten sich 1996 türkische Jugendliche und junge Spätaussiedler im westlichen Ortsteil Griesheim regelrechte Straßenschlachten. Was auf den ersten Blick wie ein »ethnischer« Konflikt aussah, war in Wahrheit ein sozialer: Beide Gruppen litten gleichermaßen unter hoher Arbeitslosigkeit und der Ghettoisierung in dem Sozialwohnungsviertel. Die Situation entspannte sich erst, als städtische Hilfseinrichtungen, Vereine, Polizei und Sozialarbeiter verstärkt Hand in Hand arbeiteten, zwischen den Gruppen vermittelten und Beschäftigungsprojekte installierten.

Mediation heißt das Zauberwort: »Ordnungs- und polizeirechtlich ist vielen Nachbarschaftskonflikten nicht mehr beizukommen«, heißt es beim AmkA. Deshalb beschäftigt das Amt inzwischen etwa 50 Mediatoren, die vor Ort vermitteln. Sie kommen zum Einsatz, wenn eine Wohnungsbaugesellschaft um Hilfe bittet, weil in einem ihrer Häuser der Streit zwischen zwei Familien die Nachbarschaft ängstigt. In solchen Lagen zu moderieren, ist schwierig, aber es birgt Chancen: Eskalationen können verhindert werden, die nachbarschaftliche Selbsthilfe bei der Konfliktschlichtung wird gefördert, und die Behörden können Bürgernähe auch in sozialen Randlagen demonstrieren.

Weiteres Problemfeld: der Schulbereich. Zwei von drei Hauptschülern in Frankfurt stammen aus zugewanderten Familien, aber nur jeder vierte Gymnasiast. Den Migrantenkindern fehlen häufig Deutschkenntnisse und Eltern, die sie fördern können. »Genau hier entscheidet sich«, sagt Irene Khateeb, Referentin im städtischen Dezernat für Schule und Multikulturelles, »ob die Jugendlichen Zugang zur Gesellschaft finden oder draußen bleiben.« Ein Beispiel ist die Salzmannschule in Niederrad: Zwei Drittel ausländische Schüler aus 28 Nationalitäten lernen dort. Sie bekommen Zusatzunterricht in Deutsch, durchlaufen zwei oder drei Betriebspraktika und werden ab der 9. Klasse einmal wöchentlich in den Werkstätten von Berufsschulen unterrichtet. Diese Kooperation hat laut Direktor Klaus Röhrig dazu geführt, dass inzwischen immerhin 35 Prozent der Abgänger eine Lehrstelle finden. Die Quote liegt trotz des verschlechterten Ausbildungsplatzangebotes höher als vor Beginn der Maßnahme.

Projekte des AmkA kommen hinzu: An rund einem Dutzend Grundschulen wird unter dem Titel »Mama lernt deutsch - Papa auch« während der Unterrichtszeit der Kinder Deutsch für Eltern angeboten. Ziel: die Schwellenängste der ausländischen Eltern gegenüber den Schulen abbauen, die Isolierung vor allem der Mütter aufbrechen. Das Projekt »ist der Hit«, sagt Khateeb, es werde inzwischen bundesweit nachgefragt. In Frankfurt soll Ende des Jahres jede dritte Grundschule einbezogen sein, ebenso wie Kindertagesstätten. Begleitprogramme für Eltern von Vorschulkindern und Schulabgängern kommen hinzu. Zum Beispiel das soeben begonnene Projekt »Hippy«, mit dem die Stadt auf ein wachsendes Problem reagiert: die »nicht linearen Integrationsverläufe«, wie Khateeb es formuliert. Nicht selten gründen hier aufgewachsene junge Türken mit jungen Frauen aus der Türkei eine Familie. Die Frauen ziehen nach Deutschland nach, leben hier fast ohne Kontakt zum Alltag und zur Sprache - und so kommen immer mehr hier geborene Migrantenkinder in den Kindergarten und die Schule, ohne annähernd genug gefördert worden zu sein oder deutsch zu sprechen. »Hippy« will das verhindern und geht deshalb auf die Betroffenen zu: Türkischstämmige Beraterinnen, die bereits in der zweiten Generation in Deutschland leben, helfen den Müttern bei der Sprachvermittlung und informieren über das Schulsystem, vermitteln weitere Förderangebote. Je früher die Förderung einsetzt, desto größer der Erfolg, was sich in der Mainmetropole zeigt: Mit 12,9 Prozent Schulabbrechern schneiden die Zuwanderer in Frankfurt deutlich besser ab als hessenweit, wo 16,1 Prozent der Migrantenkinder keinen Schulabschluss machen.

Bessere Berufschancen sind das eine, das Verständnis der Schüler untereinander das andere. Je mehr Ausländer, desto mehr Fremdenfeindlichkeit? Schulleiter Röhrig findet das nicht: »Ob Konflikte überhaupt auftreten, hängt eher von der Größe einer Schule ab. Je anonymer, desto schlimmer.« Das entspricht den Untersuchungen der Frankfurter Politologin Ursula Apitzsch an weiterführende Schulen mit hohem Ausländeranteil: Je mehr Ausländer, desto ausgeprägter die gegenseitige Akzeptanz. Apitzsch: »Es herrscht die Auffassung vor: Wir haben alle gleiche Rechte, auch wenn wir verschieden sind. Differenz wurde als normal zugelassen.« Ein wichtiger Faktor sei dabei die soziale Mischung: »Da waren Kinder von Bankmanagern ebenso vertreten wie solche von Gastarbeitern, und alle hatten den gleichen Zugang zu Bildung. Deshalb konnte die Ethnie nicht als Makel identifiziert werden.«

Also vielleicht umgekehrt: Je weniger Fremde, desto mehr Fremdenangst? Zumindest Indizien dafür bieten Ergebnisse der Landtagswahlen von Anfang Februar. Im bürgerlichen Ortsteil Harheim im Frankfurter Norden wohnen gerade mal elf Prozent Ausländer; trotzdem kam die CDU mit einer Rechtsaußen-Kandidatin hier auf 51 Prozent. Die REPs legten in Harheim entgegen dem Landestrend sogar leicht zu. Im Bahnhofsviertel dagegen, wo fast 80 Prozent Ausländer leben, konnte die CDU mit ihrer Unterschriftenaktion keine Stimmen gewinnen. Hier finden sich vielmehr Spuren selbstverständlichen Miteinanders. Nachbarn arrangieren sich: Da pflegt eine kroatische Familie ihre deutsche Nachbarin, eine Rentnerin ohne Verwandte; da sind die guten Kontakte zwischen der türkisch-islamischen Zentrumsmoschee und der evangelischen Kirchengemeinde nebenan, die längst zum Alltag gehören.

Fazit für eine Stadt wie Frankfurt? Integrationsarbeit hört nie auf und muss immer wieder neu buchstabiert werden, meint die städtische Referentin Irene Khateeb: »aber das ist normal, das kennen wir hier seit Jahrzehnten.« Die Jugendarbeitslosigkeit sei eine akute Herausforderung; der Umgang mit den vielen, untereinander uneinigen islamischen Gruppierungen die andere, und die sei »schwieriger als wir es erwartet haben«.

Die neue, CDU-geführte Landesregierung hat zwar Integrationspolitik zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit erklärt - was sie damit meint, bleibt aber vorerst offen. Derzeit jedenfalls schmiedet Wiesbaden heftig umstrittene Streichpläne: Der muttersprachliche Unterricht an Grundschulen soll zugunsten verstärkten Deutschunterrichts (und zum Wohl der Landeskassen) heruntergefahren werden, was die Zuwandererkinder ihrer Chance auf natürliche Zweisprachigkeit beraubt - der Vorteil in einer globalisierten Wirtschaft. »Die junge Zuwanderergeneration«, so die Politologin Apitzsch, »könnte durch solche Signale das Interesse an politischer Teilhabe verlieren.« Damit wäre auf Dauer »die demokratische Legitimation unseres Gemeinwesens in Frage gestellt.«

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