Das "Zentrum für Kulturelle Dekontamination", CZKD, wurde vor fünf Jahren von der renommierten Dramaturgin und Veteranin des jugoslawischen Avantgardetheaters, Borka Pavicevic, gegründet. Es kombiniert ein engagiertes experimentelles Theater mit einem kleinen, festen Ensemble und einem Bürgerzentrum, das durchaus als eine der Drehscheiben zivilen Widerstandes in Belgrad bezeichnet werden kann. Das CZKD liegt in der Belgrader Altstadt gleich neben dem deutschen Konsulat in der Bircanin-Straße in einem eher heruntergekommenen alten Villenkomplex, dem Pavillion Veljkovic. Vor dem zweiten Weltkrieg gehörte das Anwesen einer wohlhabenden Belgrader Bürgerfamilie, die ihren Kapitalüberschuss in Werke von Picasso und anderer weltbekannter Maler investierte und dann vor den neuen kommunistischen Machthabern fliehen musste. Seither war die einst stattliche Villa dem Verfall preisgegeben, bis sie 1994 dem CZKD zur Nutzung überlassen wurde unter der Auflage, sie zu sanieren. Die Soros-Stiftung steuerte Mittel bei; heute wird das Zentrum vom "Fond für eine offene Gesellschaft" und vom Schwedischen Helsinki-Komitee unterstützt, was der jugoslawischen Regierung Grund genug ist, es als "Fünfte Kolonne", also als Handlanger westlicher Interessen zu diffamieren. Auf dem Spielplan steht als letzte Neuinszenierung seit dem vergangenen August ein Stück von Ana Miljanic, O Nemackoj, "Über Deutschland": eine Collage aus Texten von Hannah Arendt und einem Briefwechsel zwischen Hermann Broch und Volkmar von Zülsdorff in den Jahren 1945 bis '49. Thematisiert wird die Frage der Kollektivschuld des deutschen Volkes an den Naziverbrechen, mit unprätentiös paradigmatischem Anspruch. Andere noch immer aktuelle Stücke sind Macbeth, Der Prozess und Mittsommernachtsalptraum - choreografische Parabeln zu den herrschenden Verhältnissen in Jugoslawien, erarbeitet und in der Hauptrolle dargestellt von Sonja Vukicevic. Sie datieren aus den letzten Jahren und wurden verschiedene Male auch auf deutschen Bühnen aufgeführt.
Während Borka Pavicevic das CZKD als ihre (professionelle) Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen ihrer Gesellschaft versteht, entschied sich Ljubisa Ristic für die Fortschreibung eines alten Projekts, unter dem selben Namen, mit dem alten Logo: KPGT. Seit 1993 baut Ristic die Ruine einer stillgelegten Zuckerfabrik in einem unwirtlichen Industriegelände am Belgrader Stadtrand zum "Internationalen Kunstzentrum", KPGT, um. Im letzten Jahr war die offizielle Eröffnung mit Stücken von Peter Handke und in dessen Beisein. K-P-G-T sind die Anfangsbuchstaben für "Theater" auf Kroatisch, Serbisch, Slowenisch und Mazedonisch. Es ist, jedenfalls in seiner besten Zeit, Ende der siebziger bis Anfang der neunziger Jahre, ein gesamtjugoslawisches Theaterprojekt gewesen, mit ästhetisch und politisch provokanten Inszenierungen. Ein Avantgardetheater, das nicht nur beim Publikum landesweit zwischen Ljubljana und Skopje Furore machte, sondern bis in die jugoslawische Staats- und Parteispitze Aufmerksamkeit erregte und - wegen seines radikal kritischen Geistes - nicht selten aneckte. Mit seinem mitunter über hundert Mitglieder zählenden multiethnischen Ensemble war dieses Theater auch eine Probebühne für ein gemeinschaftliches, selbstbestimmtes Lebensprojekt. Eine Hommage an das utopische Modell des Vielvölkerstaats Jugoslawien im besten, produktivsten und kreativsten Sinne. Viele Jahre wirkte unter anderen erstklassigen jugoslawischen Theaterkünstlern auch Borka Pavicevic als Dramaturgin in diesem Projekt mit oder auch Sonja Vukicevic als Tänzerin. Bis auf die Managerin Danka Lengyel und die Schauspielerin Ana Kostovska musste Ristic indes neue Mitstreiter für die Neuauflage des alten Projekts finden: ein sehr junges Ensemble, dessen Mitglieder Jugoslawien fast nur noch aus den Erzählungen der Alten kennen und die groß geworden sind in einem Land, das wegen der Kriege und der Sanktionen von der Außenwelt abgeschlossen ist. Spektakuläre Inszenierungen wie früher hat es bislang noch nicht gegeben. Viele seiner alten Freunde und Fans haben sich aber aus anderen Gründen von ihm losgesagt, auch Borka Pavicevic. Der einst weit über Jugoslawiens Grenzen hinaus angesehene Regisseur und KPGT-Leiter Ljubisa Ristic hat heute nämlich einen provozierenden "Nebenjob". Er ist Präsident einer an der jugoslawischen Regierung beteiligten Partei namens Vereinigte Jugoslawische Linke, JUL, deren Vorsitzende und ideologische Führerin Mira Markovic ist, die Ehefrau des jugoslawischen Staatspräsidenten MilosÂevic´.
Grund genug diesmal für das westliche Staatenbündnis, neben anderen jugoslawischen Regierungsmitgliedern, Militärs und Wirtschaftvertretern, auch den Namen von Ljubisa Ristic auf die sogenannte Schwarze Liste zu setzen, was ihm Reisen nach Westeuropa und Nordamerika und mithin auch Gastspiele mit seinem Theater unmöglich macht. Durch diese politische Anbindung ist Ristic mit seinem glaubwürdigen Partisanennaturell und seiner ebenfalls glaubwürdigen linken Überzeugung eine äußerst problematische Persönlichkeit. Seine ehemalige Weggefährtin Borka Pavicevic bringt das Problem auf den Punkt. Es ist nicht nur das Problem mit Ljubisa Ristic, es ist, ihrer Meinung nach, das Hauptproblem der gespaltenen jugoslawischen Gesellschaft.
BORKA PAVICEVIC: Ich kann mich sehr wohl immer noch als Ljubisas Anhängerin bezeichnen, nicht nur in bezug auf sein Theaterprojekt, sondern auch wegen dieses eindeutigen jugoslawischen Votums. Wir gehören zu dieser Generation, die strikt gegen jeglichen Nationalismus ist. Ich hatte immer erwartet, dass er und das KPGT die Guerilla-Partei in den Bergen von Bosnien werden würden, und ich bin überzeugt, das wäre ein Weg gewesen. Damit komme ich zu unserem Hauptproblem: nicht das getan zu haben, was wir hätten tun sollen. Ich meine, schon am Beginn des Krieges mit Kroatien und in Bosnien hätten wir alle in die Berge gehen und eine Partisanenbewegung wiederbeleben sollen. Ljubisa war für mich immer die richtige Person für so etwas. Ich bin sicher, dass einige von uns einer solchen Lösung zustimmen würden, eben für dieses Land zu kämpfen und nicht irgendeine nationale Bewegung hier zu unterstützen. "
LJUBISA RISTIC: Als ich mich vor ein paar Jahren entschied, in die Politik einzutreten, widersprach das weder meiner Theaterarbeit noch meinen politischen Überzeugungen. Es war wieder einmal die Entscheidung, einer sehr kleinen Gruppe von sehr isolierten Leuten beizutreten in diesem Ozean von Nationalismus, Konservatismus, in einer Situation, wo nicht nur in diesem Land, sondern in ganz Europa Worte wie "links" oder "Antinationalisten" oder "Kommunisten", diese ganze Bandbreite von Kategorien einfach tabu waren. Im Moment gehöre ich allerdings zu denjenigen, die die Sanktionen zu spüren bekommen. Mein ganzes Leben ist zerstört. Mein Name und meine Arbeit wurden eliminiert in allen namhaften Theaterlexika und Enzyklopädien. Ich habe keine Verbindungen mehr ins Ausland. Alle meine alten Freunde reden von mir nur noch als von einem Politiker, von einem Mitglied dieser Regierung. Da kann ich nur lachen. Ich arbeite jetzt mit meinem Theater mehr als je zuvor in meinem Leben.
PAVICEVIC: Ein Problem ist, dass er dieses Land anders versteht als ich. Durch die Gründung dieses Zentrums haben wir gewissermaßen eine Fortschreibung unseres früheren Landes verfolgen wollen und davon, was wir als die einzige moderne Erfahrung dieses Landes erinnern, den Selbstverwaltungs-Sozialismus. Dafür habe ich den Belgrader Kreis mitbegründet und andere Dinge getan, um nichtnationalistische Positionen zu unterstreichen. Ich weiß ebenso gut, dass Ljubisa kein Nationalist ist, aber er schloss sich einer Partei an, die für die kriegerische Entwicklung mitverantwortlich ist.
RISTIC: Warum will uns die westliche Staatengemeinschaft, warum wollen uns auch so viele unserer eigenen Leute isolieren? Wir werden nie akzeptieren, eine Bananenrepublik im Herzen Europas zu werden. Wir fühlen uns als Jugoslawische Linke für einen Kurs der Souveränität verantwortlich, und wir werden mit jedem zusammenarbeiten, der diese Entwicklung unterstützt. Da gibt es keine ideologischen Vorurteile oder einen Dogmatismus, der uns davon abhält, unsere souveräne und unabhängige Zukunft zu verteidigen. Nichts weiter. Politik machen oder Theater machen, egal. Wir wollen unser bestes geben, um als freie Menschen weiterzuleben.
PAVICEVIC: Was letzten Endes links bedeutet in diesem Land, das wollen wir noch sehen. Ich halte mir nur diese Blasphemie vor Augen, zum Beispiel weiterhin diese jugoslawische Hymne zu spielen. Jedes Mal wenn ich heute die jugoslawische Hymne höre, sage ich mir, um Gottes willen, was machen diese Leute! Sie tun nichts anderes, als sich einen Vaterersatz zu suchen: Sie sind ganz fett davon, etwas zu fressen, was es nicht mehr gibt. Wer hat dazu das Recht? Wer hat in diesem Land das Recht, "Hej, Slawen" zu spielen? Etwa das Zentrum für Kulturelle Dekontamination und die Antikriegsbewegung in Jugoslawien oder die Jugoslawische Linke? Dies ist das Problem, wenn in einem bestimmten historischen Moment der Staat, die Nation und die Kultur zusammenkommen: Indem sie alle seine Symbole an sich reißen, wollen sie ihr Recht darauf reklamieren, aber sie haben dieses Recht auf diesen Staat nicht. Das ist für mich die größte moralische Blasphemie. Das führt zu dieser totalen gesellschaftlichen Schizophrenie, in die Spaltung der Menschen zwischen Patrioten und Betrügern. ... Nicht zuletzt ist die Aufgabe unseres Zentrums, über dieses Problem aufzuklären. Wir wollen die Dekontamination dieses falschen Patriotismus. Die Dekontaminierung setzt an dieser pseudopatriotischen Kraft an, die den eigentlichen Patriotismus auffrisst und missbraucht, den unser Land für die Gestaltung seiner Zukunft sehr wohl nötig hat.
Rede und Gegenrede aufgezeichnet in getrennten Interviews von Ursula Rütten
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