Natürlich vermisst man in England deutsches Essen am meisten. Dass es bei den Briten mit der Kulinarik nicht weit her ist, geben selbst notorisch Anglophile zu. Da die allermeisten deutschen Englandliebhaber ihr idyllisches Bild der Insel aus Städtetourismus in London und romantischen BBC-Verfilmungen von Jane-Austen-Romanen beziehen, vermögen sie freilich nicht wirklich zu ermessen, wie es jenen Landsleuten ergeht, die fast das ganze Jahr über im Pub sitzen müssen, wo es etwa „lasagne with chips or pork pies“ gibt. Zumindest Expats in London haben es in letzter Zeit leichter dank der Herman-ze-German-Geschäfte, in denen man aus dem Schwarzwald importierte Grillwürste kaufen kann.
Von Birmingham aus, wo ich seit 15 Jahren arbeite, wäre die Anfahrt freilich zu aufwendig. Schade eigentlich. Dafür gibt es seit einiger Zeit mein bayrisches Lieblingsbier in einem Pub in der Stadtmitte zu trinken. Dafür bin ich, trotz des horrenden Preises, schon dankbar genug. Überhaupt ist es dank Aldi und Lidl in den vergangenen Jahren leichter geworden, an Viktualien aus deutscher Produktion ranzukommen. Dies vor allem in der Adventszeit. Dann gibt es auch auf Albion leckere Spekulatius und marmeladengefüllte Lebkuchenherzen sowie einen allerdings untrinkbaren Glühwein.
Ein Geruch
Seit ich kein Auto mehr habe, muss ich öfter im Lokalbereich „einholen“ gehen, wie meine Oma immer sagte. Gleich um die Ecke gibt es einen pakistanischen Laden, durch den allerdings ein für mich gewöhnungsbedürftiger Geruch weht – vielleicht deshalb, weil hinter der Fleischtheke die Fliegen umherschwirren, während die ungekühlte Ware auf nicht gerade hygienisch aussehenden Plastikschalen ausliegt. Seit ich zwischen den Zehn-Kilogramm-Reissäcken, die dort auf dem Boden stehen, zum ersten Mal eine mir zuvor nur aus Film und Fernsehen bekannte Kakerlake hervorkommen sah, die in aller Kakerlakenruhe durch den Laden kroch, finde ich mich dort als Kunde nur noch in absoluten Notfällen ein.
Ein paar Türen weiter hat aufgrund der nicht unbeträchtlichen Immigration von Polen in die Gegend ein polnischer Tante-Emma-Laden eröffnet. Dort gibt es eine appetitliche Wursttheke sowie viele essenzielle Lebensmittel wie Salzstangen in Familienpackungen, Aprikosenjogurts mit den Logos bayrischer Hersteller oder Puddingpulver einer Bielefelder Firma – Waren, die man, trotz polnischer Aufschriften, einwandfrei als heimatlich identifizieren kann. Außerdem hält man dort jenes Getränk bereit, das in meinem Viertel ansonsten nur als Mangelware vorhanden ist, nämlich Mineralwasser mit Kohlensäure. Nichtpolnische Kunden scheint man in dem Laden grundsätzlich nicht gern zu bedienen, aber das braucht einen ja nicht weiter zu stören. Vielleicht sollte ich mich beim nächsten Besuch probeweise als Deutscher zu erkennen geben. (Und auf Englisch sagen: Das ist eh alles deutsch!)
Nicht wenig erstaunt war ich jedenfalls vor ein paar Tagen, in der Innenstadt, gegenüber einem dieser geschmacklosen Großraum-Ketten-Pubs, einen Restaurationsbetrieb namens German Doner Kebab zu entdecken. Zwei Kollegen waren schnell gefunden, dem Etablissement probeweise einen Besuch abzustatten. Abgesehen von einem riesigen Poster des Brandenburger Tors im Eingangsbereich sieht der Kebab-Laden zunächst kaum anders aus als die üblichen Fast-Food-Abfütterungsstätten im trostlosen City Centre. Abgesehen davon, dass landesüblicher Sitte folgend alle Umlaute aus der Speisekarte exorziert wurden, kam uns das Angebot vertraut vor: Leider keine Köfte, doch dafür Dürüm und Lahmacun sind neben Standard-Döner verzeichnet. Sogar „Kartoffelsalat (Potato Salad)“ ist als kulinarischer Wink an die deutsche Küche vertreten, allerdings mit dem meinen Kollegen enttäuschenden Zusatz „coming soon“.
Dafür ist wenigstens alles „halal“-zertifiziert, und so entscheiden wir uns jeweils für die „Doner Kebab Meal“-Option, weil darin auch frittierte Kartoffelstäbe nach französischer Art und ein kalter US-Softdrink enthalten sind. Mit 7,49 Pfund, also knapp zehn Euro, liegt der German Doner Kebab preislich klar über dem Niveau anderer Junk-Food-Restaurationen, doch mit der Kreditkarte ist das schnell bezahlt.
Wie in Kreuzberg
Ohne lange Wartezeit erreicht uns das inklusive Reinigungstuch auf einem Plastiktablett servierte Essen. Bereits auf den ersten Blick sieht tatsächlich alles wie in Kreuzberg aus: Das getoastete Viertel dünnen Fladenbrots, der übliche Salatmix „mit allem“ (wenngleich, moniert die Kollegin, etwas mehr Zwiebel drin sein sollte) und, nicht zu vergessen, das Fleisch – es schmeckt exakt wie von daheim gewohnt!
Ein durchaus abstruses Erlebnis mithin, in England unter Fotos von Berliner Sehenswürdigkeiten zu sitzen und einen den Briten per Wandaufschrift als quality German food angepriesenen Döner zu essen. Aber zu einem erst recht bizarren Beispiel hybrider Gastrokultur wird das Mahl erst, als wir uns über den Hintergrund des Unternehmens informieren. Dessen Ursprünge, verrät die Website, liegen in einem 1989 von Farshad Abbaszadeh in Berlin eröffneten Döner-Laden. Ab der Jahrtausendwende wurde German Doner Kebab dann im arabischsprachigen Raum zu einer Franchise-Kette ausgebaut, die an Standorten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, Dubai, Kuwait, Oman, Jordanien und Bahrain mittlerweile mehr als 40 Lokale betreibt oder in Kürze eröffnet.
Als Nächstes stehen Indien, Nigeria, Russland und Kanada auf der Liste. Pegida-Freunde und Konsorten dürfen jubeln: So vollzieht ein Kerngericht deutscher Leitkultur seinen kulinarischen Siegeszug durch die ganze Welt, die auf diese Weise am gesunden germanischen Döner genesen soll, wie die Kette sich erhofft. Die Kollegen und ich gehen nächste Woche auf jeden Fall wieder hin. Vielleicht gibt’s dann auch den Kartoffelsalat.
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