Pop hat einen Preis

Popularisierung Im Exil schrieb Anna Seghers ihr Werk „Das siebte Kreuz“. Jetzt erscheint die Erstausgabe – mit amerikanischen Zeichnungen aus den 40er Jahren
Ausgabe 17/2015

Ein internationaler Bestseller und Klassiker des 20. Jahrhunderts, das erfolgreichste Werk der Exilliteratur sowie unverwüstliche Schullektüre und, natürlich, ein Basisbuch der antifaschistischen Literatur: Das siebte Kreuz. Zugleich ist das Buch zwangsläufig überbewertet, mit seinen Längen und seiner literarisch vergleichsweise simplen Struktur.

Beigetragen zum Ruhm des Romans hat unzweifelhaft dessen kuriose Geschichte: Entstanden 1937/38 im Pariser Exil, kam das Buch 1942 über verschlungene Wege sowohl in einem Exilverlag auf Deutsch als auch in den USA heraus und avancierte sofort zu einem Buchclubbestseller. Bereits 1944 erfolgte die Hollywood-Verfilmung mit Spencer Tracy. Als literarischer Weltstar kehrte die sozialistische Schriftstellerin 1947 in ihre Heimat zurück und erhielt dort noch im selben Jahr den Büchner-Preis.

Soziologischer Querschnitt

Drei Jahre später übersiedelte sie, mittlerweile Mitglied der SED, nach Ostberlin. In der DDR wurde Das siebte Kreuz zur Pflichtlektüre, während man das Buch, das ausdrücklich „den toten und lebenden Antifaschisten Deutschlands“ gewidmet ist, in der BRD boykottierte. Die jetzt erschienene Neuausgabe des Romans, begleitet von der illustrierten Kurzfassung, die um 1942/43 als Fortsetzungsdruck in amerikanischen Zeitungen erschien und ein Millionenpublikum fand, bietet eine Gelegenheit, sich das Buch noch mal vorzunehmen – und zwar als literarisches Werk anstatt als Politikum.

Das siebte Kreuz erzählt von der Flucht des kommunistischen Schutzhäftlings Georg Heisler aus dem (fiktiven) Konzentrationslager Westhofen im Herbst 1937. Das Happy End ist politisch programmiert: Die anderen Flüchtlinge scheitern, aber Heisler kommt durch. Allerdings nur deshalb, weil andere Menschen viel riskieren, um ihm zu helfen. Zumal dann, wenn sie ihn gar nicht kennen. „Ein entkommener Flüchtling“, wissen die Nazigegner, „das ist immer ein Zweifel an ihrer Allmacht. Eine Bresche.“

In der Tat ist die große Stärke des Romans, den Ausnahmezustand, der durch das unerhörte Ereignis der Flucht hergestellt wird, nachvollziehbar zu machen. Der vogelfreie Heisler ist ein Homo sacer, der in permanenter Angst lebt, weil ihn jede Fehlentscheidung das Leben kosten wird. Man begreift, was es bedeutet, politischer Verfolgung ausgesetzt zu sein; heute sollte das Buch insofern Zwangslektüre sein für alle, die gegen Flüchtlingsheime demonstrieren.

Auch gelingt es Seghers meisterlich, einen soziologischen Querschnitt durch das Deutschland im Jahr vier unter dem Hakenkreuz zu ziehen: ein Volk nämlich aus Aufrechten und Verrätern, Mitläufern und Blockwarten, Couragierten und Feiglingen. Durch Heislers Flucht entpuppt sich nicht nur die allgegenwärtige Fratze des Unmenschen, ebenso entdecken manche zuvor unbekannte Seiten an sich oder anderen.

Heute gelesen, lässt das Buch begreifen, was aufrechte Gesinnung oder Zivilcourage bedeutet, mehr nämlich als „Ein Bett für Snowden“-Aufkleber an der gutbürgerlichen Wohnungstür. Insofern ist ein Roman wie Das siebte Kreuz jederzeit jenen verlogenen Büchern der westdeutschen Nachkriegsliteratur vorzuziehen, in denen sich frühere Opportunisten nachträglich als Widerständler zu gerieren suchten, wie exemplarisch der Fall in Sansibar oder der letzte Grund von Alfred Andersch. Die jüdische Exilschriftstellerin Seghers schreibt von einer ganz anderen Position als die ehemaligen Landser der Gruppe 47, allerdings zeigt sich bei einer kritischen Relektüre, dass die literarische Form den verdienstvollen politischen Gehalt der Geschichte leider nicht unbedingt zu tragen vermag. So wird in den Lobeshymnen auf den Roman die eher simplistische Verwendung der mythologischen und religiösen Motive beziehungsweise der Zahl sieben als Strukturprinzip doch reichlich überbewertet. Dass der kommunistische Widerstand ausgerechnet an die christliche Symbolik des Kreuzes gekoppelt wird, ist auch nicht gerade unproblematisch.

Ein Marketingkonzept

Die eigentliche Krux des über 400 Seiten langen Romans aber liegt in seiner simultanen Erzählweise mit (allzu) vielen Nebenfiguren; 100 Seiten weniger hätten es vielleicht auch getan. Was allerdings passiert, wenn man den Text gleich um fast 90 Prozent kürzt, zeigt sich in der illustrierten Version des Romans, die das Buch während des Kriegs einer US-Leserschaft nahebrachte. Auf dem Werbeplakat für die „pictorial version of The Seventh Cross“, dominiert von einem zombieartigen SS-Mann, heißt es: „Millions of people don’t like to or haven’t the time to read books. But they do want to know what the best books are about and to be able to discuss them intelligently.“

Das freilich ist ein Marketingkonzept, das auch heute noch zugkräftig sein dürfte. Rund zwei Millionen Leser, schätzt Thomas von Steinaecker in seinem kenntnisreichen Nachwort, kannten die von dem jüdischen Emigranten Leon Schleifer a.k.a. William Sharp bebilderte Fassung des Romans. Zwangsläufig wird dabei das zur US-amerikanischen Propaganda dienende Buch auf die Kriminalgeschichte von Heislers Flucht reduziert, unter entpolitisierender Auslassung der sozialistischen Ausrichtung der Handlung.

Popularisierung durch Bebilderung hat eben immer einen Preis. Insofern bildet die illustrierte Schrumpfversion von Das siebte Kreuz den Revers zum unlängst im Fernsehen gezeigten KZ-Drama, das man aus Bruno Apitz’ Nackt unter Wölfen, dem anderen Klassiker der DDR-Literatur, gemacht hat. Grobe Schwarzweißtafeln einerseits und farbenprächtig-melodramatischer KZ-Naturalismus andererseits – besser wäre da doch, wir blieben bei den Romanen.

Info

Das siebte Kreuz Anna Seghers Illustriert von William Sharp, Aufbau-Verlag 2015, 92 S., 18 €

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