Schrieben dies hier Echsen?

Buchmesse Spezial Kaum ein US-Präsident, der nicht an Verschwörungstheorien glaubte, denn: „Nichts ist, wie es scheint“
Ausgabe 11/2018

Es wird wieder mehr gelesen in Deutschland! Eine gute Nachricht, würde es sich nicht um Bücher handeln mit so aufgeregten Titeln wie Deutschland außer Rand und Band oder Kontrollverlust. Parallel zum Boom solcher Angstseller haben populistische Verschwörungstheorien Konjunktur: Die große Umvolkung sei im Gange, der Austausch ganzer Bevölkerungsschichten geplant, alles orchestriert von mysteriösen Drahtziehern.

So hat die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman im rechtspopulistischen Magazin Compact einen Essay publiziert, in dem sie raunend vor „einer bestimmten Gruppe von Machtmenschen des globalen Finanzsystems“ warnt, die „sich die Welt aus ihrem Kapitalsammelbecken heraus untertan machen will“. Das Gefährliche daran: „Der Feind arbeitet in subtiler Form an bislang für die meisten Leute unbekannten Nahtstellen“, mit dem Ziel, „die Hirne der Menschen“ zu verwirren, um „das Volk in den Untergang zu führen“.

Uff. Zeit also für eine Intervention von wissenschaftlicher Seite, um Licht ins konspiratorische Dunkel zu bringen, warum es viele Menschen gibt, die dergleichen Unfug glauben. Michael Butter hat sich 2014 über amerikanische Verschwörungstheorien von den Puritanern bis zur Gegenwart habilitiert. Sein akademisches Wissen dient nun als Grundlage von „Nichts ist, wie es scheint“, seiner aufklärerischen Intervention in den rechtspopulistischen Verschwörungstheoriediskurs.

Butter vermag mit erstaunlichen Erkenntnissen aufzuwarten: Verschwörungstheorien waren vom 16. bis ins 20. Jahrhundert ein anerkannter Teil des politischen Diskurses; von Washington bis Eisenhower gab es vermutlich keinen US-Präsidenten, der nicht an sie glaubte. Gesellschaftlich delegitimiert wurden sie erst nach 1945. Die Behandlung des Kennedy-Attentats durch die CIA war ein erster Prüfstein für die Konspirationstheoretiker. Die Vorgänge um 9/11 setzten dann die erste große Welle an Verschwörungstheorien in Gang, die im Hallraum des Internets florierten. Dieses wiederum erzeugt dank der sozialen Medien jene „Echokammern“ und „Filterblasen“ fixer Überzeugungen, die Butter zu Recht als Gefahr für die Demokratie beklagt.

Geheimbotschaft in Zeile 23!

Das Problem an seinem Buch ist, dass er sich leider nicht von der akademischen Schreibweise zu lösen versteht, um sein Wissen in ein mit intellektuellem Vergnügen wie Wissensgewinn zu lesendes Buch zu „übersetzen“. Man kommt sich als Leser vielmehr vor wie ein Professor, der eine überlange, streberhafte Magisterarbeit durchzuarbeiten hat: „Danach diskutiere ich ...“, „Insbesondere unterscheide ich ...“, „Ich werde zeigen, dass ...“ – und so weiter. Bedauerlich auch, dass Butter nie über den akademischen Tellerrand hinausschaut: Die erstaunlich langlebigen Alien-Theorien des Erich von Däniken finden keine Erwähnung, ebenso wenig wie die erstaunliche popkulturelle Karriere der Illuminatus!-Trilogie von Robert Shea und Robert Anton Wilson, in der mit Verve unterschiedlichste Verschwörungstheorien in die Welt gesetzt werden, um konspiratorische Denkmuster ironisch zu entlarven.

Man muss nicht auch an Verschwörungstheorien glauben, um Zweifel an den offiziellen Darstellungen der Morde von Rohwedder und Herrhausen durch die dritte RAF-Generation zu haben, beispielsweise nach den Enthüllungen der letzten Jahre über V-Männer in der gewaltbereiten rechten Szene. Weiter als dass Verschwörungstheorien den Religionen vergleichbar sind, da beide „einem adäquaten Verständnis der Wirklichkeit im Wege stehen“, will Butter sich nicht hinauslehnen. Aber das ist ja immerhin schon etwas.

Info

„Nichts ist, wie es scheint“ – Über Verschwörungstheorien Michael Butter Edition Suhrkamp 2018. 274 S., 18 €

Die Bilder des Spezials

Noroc heißt Glück und Gesundheit und ist ein rumänischer Ausdruck, den man verwendet, wenn man jemandem zuprostet oder sich verabschiedet. „Noroc!“, viel mehr Kommunikation fand manchmal nicht statt zwischen dem 1984 in Brüssel geborenen Fotografen Cedric Van Turtelboom und seinen Protagonisten. Noroc ist der Titel seiner Fotoserie aus Rumänien. Das Motto: sich immer bei einem Einheimischen einzuquartieren. Van Turtelboom nähert sich mit absurdem Humor einem bizarren Land und lässt uns irgendwo zwischen Dokumentation und Wintermärchen zurück, besser gesagt: mitreisen.

Der Bildband ist in limitierter Auflage erschienen und kann über cedricvanturtelboom.com bezogen werden. Noroc, 86 Seiten, 170 x 224 mm, 30 €

Dr. Uwe Schütte ist Literatur- und Kulturwissenschaftler. Er lehrt an der Aston University in Birmingham

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