Wer ganz genau wissen will, was es mit dem größten Kunstfälscher-Skandal der Nachkriegszeit und dem Fälscher Wolfgang Beltracchi auf sich hat, muss Falsche Bilder. Echtes Geld lesen.
So ausführlich wie noch nie beschreiben die Journalisten Stefan Koldehoff und Tobias Timm, wie die Fälscher enttarnt wurden, welche Wege die Bilder nahmen und wie die Fälschungen für echt erklärt und danach verkauft werden konnten. Sie erzählen, wie die Versteigerung eines Gemäldes von Heinrich Campendonk am 29. September 2006 im Auktionshaus Lempertz in Köln erst zu Nachfragen, dann zu Untersuchungen und schließlich zu Ermittlungen führte. Denn das Bild, das zum Rekordpreis von 2,4 Millionen Euro verkauft wurde, hatte keine ordentliche Exper
e ordentliche Expertise. Die forderte der Käufer nachträglich. Nur deshalb wurden drei maltechnische Untersuchungen durchgeführt, die alle darauf hinwiesen, dass er eine Fälschung ersteigert hatte. Denn in allen drei Untersuchungen wurden Farbpigmente gefunden, die es im vermeintlichen Entstehungsjahr 1914 noch gar nicht gab.Die beste Kennerin des Campendonkschen Werkes, Andrea Firmenich, schrieb zwar zeitgleich aus kunsthistorischer Sicht ein positives Gutachten, aber sie zweifelte auch und forschte weiter. Firmenich fand den entscheidenden Hinweis auf der Rückseite des Bildes. Dort klebt der Galerieaufkleber der Galerie Flechtheim, in der das Bild vor dem zweiten Weltkrieg gekauft sein sollte. Einen solchen Aufkleber hatte der Galerist Alfred Flechtheim nie, wie Flechtheim-Biograf Ralph Jentsch sofort erkannte. Nun begann auch Jentsch zu forschen und fand in Auktionskatalogen immer mehr Bilder mit diesem Aufkleber. Jentsch ging den entscheidenden Schritt in die Öffentlichkeit. Seitdem sind viele Sammlungen um einige Originale ärmer.Die Häme der Autoren, dass selbst Experten auf die Fälschungen hereinfielen, ist gewaltig. Doch man muss sagen: Eine Fälschung als Fälschung zu erkennen, nachdem sie offiziell zur Fälschung erklärt wurde, ist keine Leistung. Zumal auch den Kunstmarktjournalisten niemals aufgefallen ist, was jetzt so klar auf der Hand zu liegen scheint. Deshalb ist Häme wenig angebracht, selbst wenn es um Werner Spies, den Max-Ernst-Experten, geht, der mehrere Fälschungen zweifelsfrei als Originale anerkannte, in den Oeuvrekatalog aufnahm und offenbar Geld für seine Vermittlungsdienste annahm.Mehr Selbstkontrolle wagenMit vielen Beteiligten haben die Autoren für ihr Buch sprechen können, die Hauptpersonen aber haben das Gespräch verweigert: Der Fälscher Wolfgang Beltracchi ebenso wie wichtige Kunsthändler und Galeristen. Da blieb nur, ehemalige Weggefährten und andere Beteiligte zu fragen. Das beherrschen die beiden Autoren hervorragend, doch die Lücken, die das Schweigen der Hauptakteure reißen, bleiben riesig.Deshalb ist das Buch eher die Dokumentation einer auf Polizeiermittlungsakten gestützten Recherche als eine abschließende Darstellung dieses Fälscherskandals. Das dokumentiert auch die angehängte Liste mit Bildern, die Beltracchi gefälscht haben könnte, denn bei allzu vielen steht am Ende: „Fälschung nicht nachgewiesen.“Dieses Manko nimmt dem Text aber weder die Spannung, noch schmälert es den allgemeinen Informationswert. Für eine umfassende Beschreibung hätte es freilich mehr Zeit gebraucht, als ganz offensichtlich für dieses Buch verwendet wurde. Oder es hätte den jahrelangen Prozess geben müssen, den viele Beobachter erwarteten, als am 1. September 2011 das Gerichtsverfahren gegen Wolfgang Beltracchi und seine Helfer vor dem Kölner Landgericht begann. Doch das Gericht handelte überraschend eine Einigung aus. Beltracchi gestand genau die 14 Fälschungen, die ihm nachgewiesen werden konnten und die nicht verjährt waren, seine Frau ihre Mithilfe beim Verkauf der Bilder. Nur neun Verhandlungstage später war der Prozess zu Ende. Wolfgang Beltracchi wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, seine Frau zu vier und ihr langjähriger Helfer Otto Schulte-Kellinghaus zu fünf. Die Beobachter, die auf umfassende Aufklärung gehofft hatten, wurden bitter enttäuscht.Am Ende ihres Buches fordern die Autoren daher mehr Selbstkontrolle des Kunsthandels, mehr Datenbanken mit zweifelhaften Bildern, mehr gemeinsame Forschung von Kunsthistorikern und Naturwissenschaftlern. Diese Forderungen sind nötig, doch an eine Wirkung und Umsetzung scheinen Koldehoff/Timm selbst nicht so recht zu glauben: „Ein kurzer Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Geschichte der Kunstfälschungen so lang ist, wie die Geschichte des Kunsthandels – und stets folgenlos blieb“, schreiben sie an anderer Stelle.Es bleibt daher nur das Fazit: Wenn jemand im System Kunstmarkt etwas ändern kann, dann die Kunstkäufer. Sie müssen auf nachgewiesene Provenienzen bestehen, sie müssen fordern, dass Bilder auch naturwissenschaftlich untersucht werden, wenn ihnen etwas daran liegt, Originale zu besitzen.