Es steht halt nicht für Utopie

Europa Wie stellt man die Staatengemeinschaft im Museum aus? Ein Autorentrio kennt viele Beispiele, aber scheut sich davor, Vorschläge zu machen

Während die europäischen Regierungen um ihre Union ringen, erscheint ein Buch, dass sich mit der elektrisierenden Möglichkeit beschäftigt, Europa auszustellen. Nicht nur die Geschichtsschreibung hat nationale Grenzen längst übertreten. Auch Museen und Ausstellungen vermitteln den Europäern das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein und Anteil an dessen Entstehung und Konsolidierung zu haben. Egal ob es um historische Themen wie die Romanik geht oder um reisende Künstler – jede Ausstellung ist Teil europäischer Identitätsbildung.

Wenn zu diesen Beispielen nun systematische Beobachtungen kämen, wäre das prima. Aber so einfach wollen es sich Wolfram Kaiser, Stefan Krankenhagen und Kerstin Poehls nicht machen. „Wir wollen in unserem Buch die Wechselwirkungen zwischen der diskursiven Praxis der Europäisierung sowie ihrer Materialisierung in Museen, Ausstellungen und Sammlungen in Europa behandeln“, schreiben sie. Das hätte sogar zu einem guten Ende führen können, denn die Autoren haben für ihr Buch nicht nur 92 Museen und Ausstellungen in 20 europäischen Ländern besucht, sondern auch 63 Interviews mit Museumsdirektoren und Kuratoren geführt. Keines dieser Interviews wird allerdings abgedruckt, es wird nur der eine oder andere Satz zitiert. Und gerade diese Zitate lassen auf interessante Ansichten, Einsichten und Erfahrungen der Praktiker schließen.

So wird zum Beispiel Tom Devine von der University of Edinburgh über die Dauerausstellung des National Museum of Scotland mit den Worten zitiert, sie ziele darauf ab „nationale Mythen, deren Wurzeln, die in diesem Fall in der Zeit der Romantik liegen, zu attackieren“. Da wüsste der Leser doch gern, was Devine weiter erklärt hat. Aber immer, wenn es spannend wird, folgen Verallgemeinerungen in wissenschaftlichen Kategorien. Dabei kennen die Autoren viele Initiativen, die nie der breiten Öffentlichkeit und über nationale Grenzen hinweg bekannt wurden. Etwa das Projekt eines „Musée de l‘Europe“ in Brüssel, das seit 1997 vorbereitet wird.

Klingt gut, hilft aber nicht

Dessen Initiatoren verfolgen das schöne Ziel, „ein identitätsstiftendes Museum zu schaffen“. Zurück geht es auf einen Verein, der privat, von der Stadt Brüssel und dem belgischen Staat finanziert wird. Das Europäische Parlament verfolgt ein Konkurrenz-Projekt. Es will ein „House of European History“ bauen, das 2014 in Brüssel eröffnen soll. Vorbild ist das Haus der Geschichte in Bonn, Ziel ist eine europäisch-zeitgeschichtliche Ausstellung. Das Autorentrio gibt keine Hinweise, was man sich darunter vorstellen darf. Lieber wird vage zitiert, was sich in die eigenen vagen Sätze nahtlos einfügen lässt. „Das Museum ist also nicht einfach ein Ort, der für die Utopie steht, sondern vielmehr einer, an der sie als Vorstellungsweise praktiziert wird.“ Klingt gut, hilft aber auch nicht weiter.

Trotzdem lohnt es, sich durch die 230 Seiten Wissenschaftlersprache zu ackern. Immer wieder findet man Vorbildliches. Zukunftsweisendes. Etwa das Projekt „Entrepreneurial Cultures in European Cities“, das sich mit dem Beitrag mittelständischer Unternehmen zu einer europäischen Gesellschaft beschäftigt. Museen aus acht Ländern verbinden das Thema der Entwicklung einer europäischen Bürgerschaft mit dem Thema Migration. Um das darstellen zu können, sammelten sie Geschichten, Alltagsgegenstände, Produkte und Fotos. „Die gemeinsam gesammelten Objekte sind die materiellen Beweise dafür, dass sich das soziale Band von angeblich getrennten Welten – hier Kuratoren, dort Unternehmer, hier Einheimische, dort Migranten, hier deutsche, dort kroatische Museumsmitarbeiter – auch europaweit neu knüpfen lässt“, heißt es hoffnungsvoll.

Am Ende überwiegt aber die Skepsis. Die Autoren stellen fest, dass Europa als Museumsthema noch nicht in allen Ländern vorkommt, und sie wagen es nicht, Vorschläge zu machen oder zumindest Empfehlungen zu geben. Die Fragilität, die das relativ junge Konstrukt Europäische Union dieser Tage zeigt, findet ihren Niederschlag so auch in der Unsicherheit, wie seine Geschichte dargestellt werden könnte.

Europa ausstellen. Das Museum als Praxisfeld der Europäisierung Wolfram Kaiser, Stefan Krankenhagen, Kerstin Poehls, Böhlau, 278 S., 24,90 €

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