Nah am Underground

Kunst Für die "Staatsgalerie Prenzlauer Berg" hat Macher Henryk Gericke kein klares Konzept. Es geht ihm mehr um das Gefühl für gute Kunst

Den Wenderoman schreiben oder eine Galerie eröffnen. In die Uckermark ziehen oder in Berlin, Prenzlauer Berg, bleiben. Das sind so Entscheidungen, wie sie Künstler manchmal treffen müssen. Henryk Gericke, 46, Schriftsteller, Ex-Punk, Plattenladenbetreiber und DJ, hat sich für die Galeristenlaufbahn entschieden. Vor einem halben Jahr eröffnete er die „Staatsgalerie Prenzlauer Berg“. Eine Ladengalerie, nur durch eine Tür von seinen Wohnräumen getrennt. Zusammen 110 Quadratmeter in einem Haus, das von den DDR-Stuckabschlagorgien nicht verschont blieb und heute drei Wienern – Arzt, Anwältin, Architektin – gehört, die es sanieren ließen und vermieten. Zwei Räume hinter großen Schaufenstern für die Kunst, die meist realistisch, gern surreal ist. Abstraktes liegt dem Galeristen Henryk Gericke, Bewunderer von italienischer Frührenaissance, Manierismus, Surrealismus und Werner Tübke, nicht so.

Die jüngeren Künstler, oft Fotografen, bringt Martin Frese mit. Auch ein Freund, auch ein Künstler, auch einer, der von der Bildenden Kunst allein nicht leben kann.

Seit der Eröffnung hat die „Staatsgalerie Prenzlauer Berg“ in jeder ihrer Ausstellungen etwas verkauft. Ein „Traumstart“, sagt Gericke. Fürs Überleben reicht der Traumstart nicht, für die Miete schon. Das erste Jahr ist mit Ausstellungen verplant, wie es im nächsten weiter geht, ist noch ungewiss. Der Mietvertrag läuft über fünf Jahre. „Staatsgalerie Prenzlauer Berg“ ist ein hübscher Name und auf dem goldenen Schild auf der Hauswand neben reichlich Graffiti natürlich ironisch gemeint. Denn Staatsgalerie ist hier nichts. Prenzlauer Berg viel. Eben diese Mischung aus Thälmanndenkmal und Bio Company, schickem Frischsanierten und Übriggebliebenem, Anmaßung und trotzigem Beharren, Selbstüberschätzung und Machertum.

Das Gefühl, etwas ist gut

Wie man Ausstellungen macht, weiß Henryk Gericke, denn er hat zwei große, viel beachtete in den vergangenen Jahren mitorganisiert: Poesie des Untergrunds, über die Ostberliner Literatur- und Künstlerszene und too much future über Ostpunks und über die eigene Geschichte als Punk und als einer, der illegale Zeitungen in kleinsten Auflagen in Ostberlin, Stadtteil Prenzlauer Berg, herausgegeben hat. Von den Ausstellungsjobs hat er so viel gespart, dass er die Galerie aufmachen konnte – als kunstinteressierter Laie. Es gibt kein klar umrissenes oder gar kunsthistorisch fundiertes Galerieprogramm – nur das Gefühl des Jung-Galeristen, dass etwas so gut ist, dass er es ausstellen möchte. Und es gibt viele, die wollen, dass es gelingt. Nicht nur Gerickes Mutter, die mithilft, nicht nur die Künstler, die ausstellen wollen, nicht nur die Freunde: Es ist die alle verbindende Sehnsucht nach einem Ort, der mehr Raum für Künstler lässt als die vielen, standardisierten Räume der etablierten Galerien. Vielleicht ist es aber auch nur die Lust auf ein Stück vom Kunstmarktkuchen. Und warum auch nicht, selbst wenn es ohne Sammlerkontakte und nur mit der Hoffnung auf Käufer, die fasziniert vorm Galeriefenster stehen bleiben und dann etwas kaufen, wohl nicht gehen wird. Aber da ist er wieder, der viel bestaunte Aufbruch, von damals vor bald 20 Jahren, als so viele etwas mit Kunst machen wollten und Galerien eröffneten und Berlin zur Kunststadt werden ließen.

Die, die es geschafft haben, fahren jetzt zur Art Basel. Henryk Gericke ist zu den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern ins Gutshaus Knöfel eingeladen worden, seinen Künstler Ronald Lippock zu zeigen. „Meine Art Basel“, sagt Gericke und klingt durchaus ein wenig stolz. Lippock, vor allem als Musiker der ersten DDR-Punkband Rosa Extra bekannt geworden und heute erfolgreich mit den Bands Tarwater und To rococo rot, studierte einst Malerei, und Gericke eröffnete die Galerie mit seinen Bildern. Die Bekanntschaften von einst werden nun zu Künstlern der Galerie. Christoph Tannert, Chef des Künstlerhauses Bethanien, gefällt dieses Wiederentdecken, „die Erinnerungsarbeit“. Gericke dagegen hält nichts von Nostalgie und dem Ausstellen der alten DDR-Szenen, auch wenn er jetzt mit Igor Tatschke wieder einen alten Berliner Freund zeigt, dessen Farben und surreale Szenerien allerdings sehr an Neo Rauchs Bilder erinnern. Doch Gericke rechnet vor: „Nur 20 Prozent sind alte Freunde. 80 Prozent sind junge Berliner Künstler.“ Und so kommt es zu dieser spannenden Mischung von wiedergefundenen Freunden aus Undergroundtagen und jungen Künstlern aus der ganzen Welt, die ihre Geschichte erst noch leben müssen.

Die Lust am Subversiven

Der Prenzlauer Berg ernährt seine Bewohner, obwohl Gericke viele Läden aufzählen kann, die schon zugemacht haben oder demnächst zumachen müssen. Rausgeklagt. Von Mieterhöhungen vertrieben. Gentrifizierung nennen das die, die bleiben wollen, wo sie immer waren, während sich um sie herum gern alles verändern darf. Gericke gibt nicht den Kämpfer gegen die neue „Sauberkeit der neuen schwäbischen Bewohner vom Prenzlauer Berg“, wie das Tannert nennt. Vielmehr will sich Gericke „in engagierter Weise arrangieren“, um in der Heimat zu bleiben. Denn er könne sich gar nicht vorstellen, in Kreuzberg zu leben. Vor Provinzialismus haben richtige Berliner keine Scheu.

Und wenn es nicht klappt? Wenn das Geld irgendwann alle ist? Keine Antwort kommt so rasch wie diese. „Dann feiern wir. Das habe ich mir schon gedacht, als ich den Mietvertrag unterschrieben habe. Wegschleichen werde ich mich nicht.“ Scheitern als Chance ist nichts Neues. Gericke könnte dann immer noch sein Buch über die Bohème- und Undergroundszenen in Berlin schreiben. Aber momentan läuft alles prima. Auch mit dem Schreiben. „Ich schreibe mehr als früher, obwohl ich viel weniger Zeit habe.“ Denn immer noch werden Anthologien zusammengestellt, in ­denen sich die Protagonisten der DDR-Subkultur, besonders der Berliner, äußern sollen. Die Lust am Subversiven, am Gehei­men, Verbotenen, vom Staat Observierten hat nicht aufgehört, obwohl alles schon mal gesagt wurde. Doch Zeiten, in denen alles erlaubt ist, brauchen solche Geschichten und sie brauchen sie immer wieder. Gericke wird den hunderttausendsten Text über die DDR-Punk-Szene und die illegalen Zeitungen, die er in der DDR heraus gab, nicht schreiben. Die Anfrage für eine Anthologie über die 90er Jahre, die Nachwendejahre in Berlin, interessiert ihn viel mehr. Darüber wird er schreiben – und weiter Sätze für den großen Roman sammeln.

Aktuelle Ausstellung: Drei Menschen können an einem Tag nicht alles hier verderben Igor Tatschke bis 23. April

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