Aus den Puschen

Soll doch einer sagen, was er will, Hausschuhe sind eine heikle Sache. Neulich zum Beispiel, bei diesem Abendessen, trat der Gastgeber den Geladenen ...

Soll doch einer sagen, was er will, Hausschuhe sind eine heikle Sache. Neulich zum Beispiel, bei diesem Abendessen, trat der Gastgeber den Geladenen in wollenen blau-grauen Hüttenschuhen gegenüber. Und obwohl ich ihn anderenorts auch schon in knappen Badehosen erlebt hatte - und mich dabei völlig entspannt fühlte -, durchlief mich nun angesichts seiner Puschen ein Schauer der Peinlichkeit. Nicht dass sie unansehnlich gewesen wären, nein, gar nicht. Es waren ganz normale, gepflegte und sogar recht geschmackvolle Hüttenschuhe der Firma Gieswein, die sich farblich tadellos zu Hemd und Hose fügten. An sich war dem Träger in puncto Stilsicherheit wirklich nichts vorzuwerfen: lässig, gediegen, rustikal und sportlich, alles in allem. Und wir waren ja auch ausnahmslos seine Freunde, denen die legere Fußbekleidung Auszeichnung behaglicher Vertrautheit hätte sein können.

Aber voll daneben! Nicht nur ich, die Abendgesellschaft insgesamt zeigte sich von den Hausschuhen sichtlich irritiert. Wie sonst waren die vielen verstohlenen Blicke auf des Gastgebers unterste Körperendungen zu deuten und diese allseitige Befangenheit? Er hatte mit seinen Hüttenschuhen schlicht die Schamgrenzen seiner Gäste übertreten. Hausschuhe nämlich gehören - das sollte einem eigentlich das natürliche Empfinden schon sagen - zu den intimsten Dingen überhaupt. Wo doch jeder von sich diese Augenblicke höchster Verwirrung kennt, wenn es überraschend an der Tür klingelt und man panisch vor der Frage steht, ob die Pantoffeln diesmal vielleicht anbleiben dürfen. Um den Besuch dann doch lieber in Strümpfen oder Straßenschuhen zu empfangen. Sogar die nackten Füße sind unverfänglicher als Hausschuhe. Sigmund Freud - der vermutlich auch kein ganz unproblematisches Verhältnis zu seiner häuslichen Fußbekleidung besaß - sprach von »verschämten Füßen«, und dass Füße, Schuhe und in ihrer Zwischenposition besonders die Puschen sexuelle Symbole par excellence und bevorzugte Objekte des Fetischisten sind, das gehört inzwischen ja wohl zur psychologischen Allgemeinbildung.

Das Prekäre am Hausschuh ist nun mal seine Anzüglichkeit. Indem er das Private, Intime, Körperliche verdeckt, verweist er gerade darauf, rückt es erst in den Blick. Ja, eigentlich sind Puschen eine Art Reizwäsche - der verschämten, verklemmten Sorte. Für Gäste jedenfalls sind sie eine echte Zudringlichkeit, ein Übergriff. Was hatte den Gastgeber da nur geritten? Wo es sich bei ihm doch ansonsten um einen sensiblen, reflektierten und taktvollen Menschen handelt, bei dem Es und Über-Ich in harmonischem Einvernehmen zu stehen scheinen. Fast könnte man denken, er wollte an diesem Abend mit seinen Hüttenschuhen einen mutigen Schritt zur Enttabuisierung des Hausschuhs, zu dessen Befreiung aus seiner beschämenden häuslichen Verklemmung tun. Nicht anders letztlich als jene jugendlichen Rebellen, die ganze Pantoffel-Partys zelebrieren. Es ist ja auch wirklich ein Ärgernis, dass ein überwiegender Teil der Bevölkerung heimlich Hausschuhe trägt, aber aus tiefenpsychologischen Gründen nicht öffentlich dazu stehen kann. Und das, obwohl doch mittlerweile alle Welt davon spricht, die Grenzen zwischen privater und öffentlicher Sphäre würden sich zunehmend auflösen.

Die Schuhindustrie - das muss man bei aller Kapitalismuskritik anerkennen - ist an dieser dilemmatischen Situation am allerwenigsten schuld. Sie müht sich nach Kräften, den Hausschuh gesellschaftsfähig zu machen. Man denke nur an den öffentlichen Siegeszug der Badelatschen, an die für die Straße erdachten fersenlose Turnschuhe - eine Hommage an die gute, alte Romika-Pantoffel -, an die federbesetzten Promenier-Damenschläppchen, die einst die Schwelle des Boudoirs nicht überschreiten durften, oder an die unverwüstlichen Birkenstöckle, die schon lange selbstbewusst die Demarkationslinie zwischen Innen- und Außenraum niedertrampeln. Auch die Diversifizierung des Hausschuh-Angebots zeugt von dem gleichen Durchsetzungswillen: Straßenschuhen abgeschaute Schnür-Halbschuhe oder Slipper, Filzpantoffeln auf altertümlich oder kissenartige Gebilde in Tiergestalt, dicke Strümpfe mit ABS-Bremsbelag oder eben jene von Strümpfen inspirierten Hüttenschuhe - die Auswahl ist groß, alles erlaubt.

Doch der Schein trügt, wie es so seine Art ist. Bei allem Hausschuh-Pluralismus, zu Leibe gerückt wird dem Tabu so noch lange nicht. Es wird nur ironisch-schamvoll umkreist und damit, brav dialektisch, noch verfestigt. Es gibt kein richtiges Hausschuh-Tragen im falschen. Seine Verschämung kann der Hausschuh nicht ablegen, genauso wenig wie sein Träger. Das ist der Preis der Zivilisation. Daran sollte man denken, bevor man seine Gäste das nächste Mal in Puschen empfängt.

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