Obwohl sich der Begriff Biobanken durchgesetzt habe, sei zu fragen, ob sich hierfür nicht eher der Begriff der Biothek anbiete, gab Eve-Marie Engels auf einer Sitzung des Nationalen Sitzung im Februar 2003 zu bedenken. "Bei Biobanken denkt man sofort ans Geld, während man bei Biotheken eher an Information und das denkt, was man damit machen kann." Mit dem Versuch, die Sammlung von menschlichem Gewebe, von DNA oder von Körperzellen positiv zu besetzen, steht Engels nicht allein. Ohne Biobanken, da sind sich viele Biowissenschaftler, Gesundheitspolitiker und die Pharmaindustrie einig, gibt es keinen medizinischen Fortschritt. Erst wirklich große Datenmengen ermöglichen es, so die gängige Darstellung, maßgeschneiderte Medikamente zu e
An der Biotheke
Gewebebanken Das Vereinigte Königreich ist auch beim Aufbau von Biobanken Spitzenreiter - und in Deutschland erwartet man demnächst die Stellungnahme des Nationalen Ethikrats
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u entwickeln und Diagnostik und Prävention zu optimierten.Der Weg in die genetische MedizinEs ist die Zeit der genetischen Epidemiologie. Auf der Grundlage der Gesundheitsdaten großer Bevölkerungsgruppen könne man "Beziehungen zwischen einzelnen Umwelt-, Lebensstil- und genetischen Faktoren und wichtige Interaktionen zwischen diesen Faktoren identifizieren. Das wird es ermöglichen, Krankheitsrisiken für die Bevölkerung vorherzusagen", so John Newton, Geschäftsführer der UK Biobank, in einer Rede vor dem parlamentarischen Wissenschaftsausschuss des Königreichs im April 2002. Den Patienten der Zukunft soll dann nicht nur vorausgesagt werden, wie wahrscheinlich er an Osteoporose erkranken wird, sondern auch, welche Lebensgewohnheiten und Umwelteinflüsse das Risiko verringern und welche der zur Verfügung stehenden Osteoporosepräparate bei Krankheitsausbruch anschlagen.Diese Perspektive einer individualisierten Medizin steht hinter den in den vergangenen Jahren entstandenen großen Biobank-Projekten. Begonnen hatte die bevölkerungsweite Erfassung von Patientendaten in Island. Das dort 1998 verabschiedete Gesetz lieferte das Modell: Errichtung und Betrieb der zentralen Datenbank finanziert ein Unternehmen, das im Gegenzug die Lizenz dafür bekommt, die Daten für die Forschung zu verwenden und zu vermarkten. Der Zugang zu den Gewebeproben und Patientendaten wird im Rahmen des staatlichen Gesundheitssystems - über die niedergelassenen Ärzte und Krankenhäuser - gewährleistet.Während in Island aber neben den Familienstammbäumen lediglich DNA-Proben und klinische Daten gesammelt werden, erfassen die jüngeren Biobanken auch soziale Daten wie etwa Ernährungsgewohnheiten, Bildungsstand oder Arbeitsbedingungen. Ohnehin ist die isländische Biobank mit ihren maximal 250.000 Datensätzen - mehr Einwohner hat die Insel nicht - ein kleiner Fisch. Die weltweit bisher größte Biobank entsteht seit dem Frühsommer 2003 in Estland: Innerhalb der nächsten fünf Jahre sollen dort mehr als zwei Drittel der Bevölkerung, das sind eine Million Menschen, erfasst werden. Die in Großbritannien geplante, von Pharmaunternehmen und aus Steuergeldern finanzierte UK Biobank will 500.000 Menschen im Alter von 40 bis 69 Jahren erfassen. Dort sollen Blutentnahmen und Befragungen zudem über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren in Abständen wiederholt werden.Wem gehören die Proben?Ein Hindernis für die Forschung an so großen Datenmengen gibt es allerdings: Jedwedes Forschungsprojekt bedarf eigentlich einer informierten Zustimmung jedes einzelnen Probanden. Deshalb wird von Ethikgremien neuerdings das Für und Wider einer Blankoeinwilligung diskutiert. In Estland wird sie bereits praktiziert: "Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass meine Gewebeprobe einen kommerziellen Wert haben kann", heißt es in der Einwilligungserklärung, die die Probanden unterschreiben. "Das Eigentumsrecht an der Gewebeprobe und an der Beschreibung meines Gesundheitszustandes, der Abstammung und anderen persönlichen Angaben wird der Stiftung Estnisches Genomprojekt übertragen." Zwar untersteht die Stiftung formal der estnischen Regierung; ihr Kapital, das den Betrieb des Mammutprojektes ermöglicht, kommt aber ausschließlich von US-amerikanischen Biotech-Firmen.Zugriffsrechte waren auch Thema auf der erwähnten Sitzung des Nationalen Ethikrates Anfang 2003. Dessen Vorsitzender Spiros Simitis wies darauf hin, dass nicht nur Wissenschaftler oder Unternehmen an den Daten interessiert sind. "Es gibt auch andere Institutionen, etwa die Sicherheitsbehörden und die Polizei." Dieses Problem sehen auch die Kritiker der UK Biobank. "Das Gesetz erlaubt es der Polizei, gerichtlich die Herausgabe von Daten zu erwirken, wenn es im öffentlichen Interesse liegt", so Helen Wallace von der britischen Nichtregierungsorganisation Gene Watch U.K.Mit solchen Problemen halten sich die Betreiber der Biobank-Projekte in Estland und Großbritannien nicht auf. Sie planen bereits den nächsten Schritt. Im letzten Jahr gründeten sie das Public Population Project in Genomics (P3G). Ziel ist es, die beteiligten Biobanken zu koordinieren, methodische Standards zu entwickeln und die Forschung an den Daten zusammenzuführen. Dabei soll auch festgestellt werden, ob es einer zusätzlichen, europaweiten Biobank bedarf. P3G steht in direktem Austausch mit der EU-Kommission, und die Ende 2003 beantragte dreijährige Förderung wird sicher bewilligt werden, heißt es in der betreffenden Ausschreibung der Abteilung Forschung der Kommission doch unter anderem: "Aktionen zur Harmonisierung und zum Management von wichtigen Human-Biobanken werden ebenfalls berücksichtigt".Genprofile zur ProduktentwicklungDer Trend zu Datensammlungen ganzer Bevölkerungen findet nicht im luftleeren Raum statt. Er wird bestärkt durch die Forschungspolitik. Forschungsförderung ist Standortpolitik, und sie orientiert sich nicht nur in den Biowissenschaften an dem, was Konjunktur hat. Konjunktur haben Biobanken vor allem, weil sie für Pharmaunternehmen sehr interessant sind. Das hat viele Gründe: Vor allem bieten Biobanken einen reichen Fundus an Gensequenzen oder auch Zelllinien, um Therapien, Tests und Präparate zu entwickeln. Große Datensammlungen ermöglichen es, weit verbreitete Genprofile zu erfassen und die Produktentwicklung da zu forcieren, wo der Markt es lohnt.Auch die Gesundheitspolitik setzt auf eine individualisierte Medizin. "Komplexe Krankheitsprozesse besser zu verstehen, besser zu vermeiden und besser zu behandeln", sei "von höchster gesundheitspolitischer und ökonomischer Bedeutung, heißt es unmissverständlich in einer Broschüre des deutschen Forschungsministeriums (BMBF) zum Nationalen Genomforschungsnetz (NGFN), "auch und gerade für Industrienationen, die trotz einer alternden Bevölkerung mehr Gesundheit zu vertretbaren Kosten für das Sozial- und Gesundheitssystem erreichen wollen."Das NGFN wurde von Bundesforschungsministerin Edelgard Buhlmahn im Jahr 2000 ins Leben gerufen. Die Förderung des mit 60 Millionen Euro jährlich ausgestatteten Forschungsverbundes ist gerade für drei Jahre verlängert worden. In fünf bundesweiten so genannten Krankheitsnetzen kooperieren Ärzte und klinische Forscher. Hier geht es um die interessanten, weil kostenintensiven so genannten "Volkskrankheiten wie etwa Herz-Kreislauf- oder Darmerkrankungen. Aus Mitteln des NGFN wird auch die bisher größte deutsche Biobank POPGEN finanziert: Im Norden Schleswig-Holsteins sollen in den nächsten Jahren von 25.000 Probanden Blut- oder Gewebeproben entnommen und eine Vielzahl sonstiger Daten erhoben werden. Die Daten werden allen fünf Forschungsnetzen zur Verfügung gestellt.RekrutierungsnetzeNeben den großen, bevölkerungsweiten Biobanken existiert eine Vielzahl kleinerer, krankheitsbezogener Gewebe-, Zell- und DNA-Banken. Auch sie verfolgen das Ziel, einen möglichst großen Anteil aller Erkrankten zu erfassen. Die Teilnahme ist freiwillig, aber es wird viel versprochen: Neben der von der Forschung mit Nachdruck genährten Hoffnung vieler PatientInnen auf Therapien und Medikamente für bisher unheilbare Erkrankungen winken den Probanden oft auch ganz handfeste "Belohnungen" für die Abgabe ihrer Proben. So beispielsweise im Förderprogramm "Seltene Erkrankungen" des BMBF: Bei GeNeMove, einem Projekt, das Bewegungsstörungen untersucht, wird der Aufbau einer zentralen Bank für DNA und Zelllinien von einem "horizontalen Rekrutierungsnetz" begleitet. 12 neurologische Kliniken haben die Aufgabe, "Patienten zur Teilnahme an klinischen Studien zu bewegen. Allen teilnehmenden Patienten wird eine kostenlose genetische Untersuchung angeboten."Ein anderes Projekt im Netzwerk "Seltene Erkrankungen" forscht an erblichen Muskeldystrophien. "Die Erfassung und standardisierte Auswertung sowie entsprechende molekularbiologische Aufbereitung von Gewebeproben von Patienten mit Muskeldystrophien und deren Familien ist vorrangiges Ziel des Projektes. Dafür sei die Einbindung niedergelassener Ärzte und Selbsthilfeorganisationen erforderlich. Die Initiatoren gehen davon aus, auf diese Weise pro Jahr etwa 1.000 Proben einlagern zu können.Die Gewebebank ist Teil eines EU-geförderten Forschungsverbundes zu seltenen Erkrankungen, der EuroBioBank(r). Hier sind zwölf europäische Banken mit Gewebe, Zellen und DNA von Menschen mit seltenen Krankheiten vernetzt. Eine Pilotfunktion hat das Projekt vor allem deshalb, weil es an der Standardisierung von Methoden der Probenentnahme, der Präparierung, des Transportes, der Aufbewahrung und der Verteilung arbeitet. Die Initiatoren geben als wichtigstes Ziel an, der Forschung den Zugang zu dem seltenen biologischen Material zu erleichtern. Denn die EuroBioBank(r) geht auf die Initiative eines europaweiten Zusammenschlusses von Selbsthilfegruppen zurück.Solche Patienteninitiativen sind mittlerweile die Regel, und sie haben auch keine Berührungsängste mit Forschungslobby und Industrie. Heute arbeiten Patientenvertreter unter dem Label von Selbstverantwortung und Eigeninitiative den Forschungsabteilungen der Pharmaunternehmen gern direkt zu - entlohnt durch das "Sponsoring" und die soziale Anerkennung ihrer Kompetenz. Ein Beispiel ist die von Brustkrebspatientinnen gegründete Stiftung P.A.T.H.; in der "Patienteneigenen Tumorbank der Hoffnung" können an Brustkrebs erkrankte Frauen gegen Zahlung von 500 Euro und eine jährliche Gebühr von 100 Euro Tumorgewebe aufbewahren lassen. Das Argument: Wenn es in der Zukunft auf individuelle Genprofile zugeschnittene Medikamente gibt, kann auf lebende Zellen des eigenen Tumors zurückgegriffen werden, um den passenden Wirkstoff zu finden. Die Proben werden alternativ in den Brustkrebszentren Augsburg und Kassel oder bei der Hannoveraner Pharmafirma LipoNova eingefroren. Die Patientin kann per schriftlicher Zustimmung einen Teil ihres Gewebes der Brustkrebsforschung überlassen. Die Auswahl der Forschungsprojekte trifft der Vorstand in enger Beratung mit dem Kuratorium. Zu dessen Mitgliedern gehört die Bayer HealthCare AG.
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