Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum und Wohlstand hatte die isländische Regierung versprochen, als sie 1998 gegen den Widerstand in Parlament, Gesundheitssystem und von Bürgerinitiativen und trotz internationaler Proteste ein Datenbank-Gesetz verabschiedete. Die Firma deCODE Genetics, die im Januar offiziell die Lizenz für den Betrieb der Datenbank erhielt und demnächst an die Börse geht, sieht Therapien für unheilbare Krankheiten in greifbare Nähe gerückt.
Das im Dezember 1998 vom isländischen Parlament verabschiedete Gesetz erlaubt es privaten Firmen, sämtliche Gesundheitsdaten der Bevölkerung zusammen mit allen verfügbaren Informationen über Abstammungslinien und Krankengeschichten zentral zu speichern und diese Daten - wesentlich sind dabei die genetischen Informationen - kommerziell zu verwerten. Die Lizenz wurde am 22.1.2000 für zwölf Jahre erwartungsgemäß dem US-amerikanischen Joint-Venture-Unternehmen deCODE Genetics übertragen. Die 1996 gegründete Firma mit ihrer isländischen Niederlassung Islensk Erfdagreining war am Datenbank-Gesetz beteiligt. Nachdem medienwirksam ein millionenschwerer Deal zwischen dem Pharmakonzern Hoffmann La Roche und deCODE, der die Verteilung von Genpatenten und die Vermarktung von Gentherapien regelte, abgeschlossen worden war, versprach Islands Premier David Oddsson, beide Firmen "darin zu unterstützen, die Ziele ihrer Zusammenarbeit zu erreichen."
Einen Monat später, im März 1998, wurde der erste Entwurf des Datenbank-Gesetzes vorgelegt, für den deCODE schon im September 1997 einen Vorschlag an das Gesundheitsministerium gefaxt hatte. Fortan spielten deCODE und Regierung sich wechselseitig die Bälle zu, wenn es galt, für das Gesetz zu werben.
Geschmiert und verbandelt
Eine neue Qualität erreichte die Kooperation zwischen Regierung und Unternehmen, als im März diesen Jahres das Gerücht auftauchte, die Regierungsparteien seien 1998 von deCODE finanziell unterstützt worden. "Das sind Spekulationen", sagt Pétur Hauksson, Vorsitzender von Mannvernd, einer Organisation, die sich gegen die Datenbank zur Wehr setzt. "Man kann das glauben oder nicht. Tatsache ist, dass die Regierungsparteien einen im Parlament eingebrachten Gesetzentwurf, der die Offenlegung der Parteienfinanzierung vorschreiben sollte, mit ihrer Mehrheit zu Fall gebracht haben."
Auch der Vertrag zwischen deCODE und Hoffmann La Roche ist pikant. 1998 wurde In der Diskussion um das Datenbank-Gesetz das Interesse des Schweizer Pharmariesen ins Feld geführt, um mit Konjunktur- und Arbeitsplatzargumenten die Stimmung in der Bevölkerung zu beeinflussen, allerdings nur kurzfristig. Waren laut Umfragen im August 1998 noch 82 Prozent der Isländer für das Projekt, so ging die Zustimmung im November desselben Jahres auf 58 Prozent zurück. Als deCODE nun im März 2000 das Initial Public Offering (IPO), die Börsenzulassung, für den Nasdaq-Index beantragte, musste das Unternehmen unter anderem ihre Kapitalquellen und Finanzstrukturen offen legen. Dabei stellte sich heraus, dass ausgerechnet Hoffmann La Roche größter Anteilseigner von deCODE ist.
Schwindende Gewinnaussichten
Nach einer Frist, während der die ökonomische Potenz der Firma überprüft wurde, geht deCODE nun Mitte Juni an die Börse. Zumindest bis dahin ist ihre Außendarstellung auf Hochglanz poliert. So finden sich auf den Internetseiten von deCODE muntere Kurzbeschreibungen zum "Firmenprofil", zur "Marketingstrategie" oder zur "Mission" des Unternehmens. Die klingenden Werbeslogans können allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass deCODE bislang wenig konkrete Erfolge vorzuweisen hat. Für einige Krankheiten wurden Bereiche auf dem Genom geortet, auf denen die entsprechenden Gene vermutet werden. Damit ist das Unternehmen weit entfernt von seinen vollmundigen Versprechungen; nichtsdestotrotz oder gerade deshalb werden solche "Erfolgsmeldungen" hochstilisiert. Die Schwammigkeit dieser Mitteilungen lässt vermuten, dass sie vor allem in die Welt gesetzt werden, um die Spekulationserwartungen auf dem Kapitalmarkt zu füttern.
Bislang erfolglos, wenn man den Zahlen vertraut. Wurden die in Island auf dem grauen Markt kursierenden Aktien des Unternehmens im April noch mit 65 US-Dollar pro Stück bewertet, lag der Einzelpreis Anfang Juni bei 20 US-Dollar. "deCODE war sehr erfolgreich darin, Hoffnungen zu wecken. Jetzt sehen die Investoren, dass es doch deutlich länger dauern wird, bis die Datenbank in irgendeiner Form Gewinne abwirft", sagt Pétur Hauksson von Mannvernd.
Massive Schwierigkeiten bereiten insbesondere Aufbau und Betrieb der Datenbank. Mit der Lizenz zur Bewirtschaftung der isländischen Gesundheitsdaten ist der konkrete Datentransfer noch nicht geregelt. deCODE muss laut Gesetz mit jeder Praxis beziehungsweise Institution Einzelverträge abschließen. Deren konkrete Ausformung gestaltet sich schon allein deshalb schwierig, weil viele Ärzte gegen die Datenbank opponieren. Bis März 1999 hatten 180 der etwa 900 isländischen Ärzte öffentlich erklärt, dass sie Daten nur auf ausdrücklichen, schriftlichen Wunsch weitergeben werden.
Ein anderes Problem ist die wachsende Zahl an Abmeldungen. Bis Mai 2000 hatten bereits über 18.000 Isländer die bürokratischen Hürden genommen, die das Gesetz vorsieht, wenn isländische Bürger ihre Daten nicht der kommerziellen Verwertung zur Verfügung stellen wollen. Das ist ein für die genetische Forschung signifikanter Prozentsatz von gut 6,5 Prozent. "Schon allein deshalb ist die Datenbank kein sehr gutes wissenschaftliches Instrument" sagt Hauksson. "Je mehr Daten fehlen, desto unwägbarer werden die Ergebnisse, gerade in der genetischen Forschung."
Besser steht es mit der Speicherung der Daten über die Vorfahren der heute lebenden Isländer. Zu Beginn des Jahres enthielt diese genealogische Datenbank nach Angaben von Kári Stefánsson, dem Gründer von deCode, 620.000 Namen. Damals kündigte das Unternehmen an, im Juni diesen Jahres die gesamte Datenbank kostenlos im Internet zu veröffentlichen. deCODE setzte sich gemeinsam mit Frisk Software, der isländischen Firma, die das Computerprogramm entwickelt hat, auf einer eigens veranstalteten Pressekonferenz damit in Szene, die genealogische Datenbank "der isländischen Nation zu übergeben."
Gesundheits-Datenbanken weltweit
Fraglich ist allerdings noch, ob die beiden Firmen dazu überhaupt berechtigt waren. Isländische Genealogen bestreiten die Eigentumsrechte an den Abstammungs-Daten, und Gen.is, ein Konkurrenzunternehmen, hat deshalb gegen Frisk Software geklagt. Ob deCODE genealogische Daten überhaupt für die Forschung nutzen darf, muss erst noch vor Gericht geklärt werden.
Trotz dieser für das Unternehmen insgesamt wenig erbaulichen Zwischenbilanz macht das Beispiel Schule. "Ich sehe Island als einen Präzedenzfall für einen neuen Stil in der medizinischen Forschung, der nicht nur die Isländer betrifft, sondern Menschen auf der ganzen Welt", gab Hank Greely von der Universität Stanford Anfang 1999 gegenüber der New York Times zu bedenken. Die Realität ein gutes Jahr später bestätigt den Rechtsprofessor: Auch in Schweden ist eine Datenbank eingerichtet worden, in Großbritannien ist sie in Planung. Und in Estland hat eine Genome Research Foundation der Regierung den Vorschlag unterbreitet, die Erfassung der Bevölkerung in einer Gen-Datenbank gesetzlich zu regeln - als Kooperationspartner beim Aufbau der Datenbank vorgesehen ist das Konsortium deCODE -Hoffmann La Roche.
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