Grenzenlose Kontrollen

Kommentar Gen-Datenfluss innerhalb Europas

Es wird mal wieder mobil gemacht in Sachen Gendatei. Kaum hat Bundesinnenminister Otto Schily eine »möglichst umfassende Nutzung« der Datei gefordert, meint der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz, die DNA-Profilanalyse sei nicht mehr aus als ein herkömmlicher Fingerabdruck. Man könne ihre Anordnung getrost der Polizei überlassen und den Richtervorbehalt aus dem Gesetz streichen - nahezu deckungsgleich mit dem Vorstoß einiger unionsgeführter Länder, die den »genetischen Fingerabdruck« zum routinemäßigen Bestandteil der erkennungsdienstlichen Behandlung (ED) machen wollen.

Die Behauptung, eine DNA-Profilanalyse sei nichts anderes als eine ED-Behandlung auf höherem technischen Niveau, ist so alt, wie sie falsch ist. Spätestens seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms fragen sich Wissenschaftler in aller Welt, welche Funktion die nicht-codierenden Bereiche der DNA haben, an denen das individuelle DNA-Profil erhoben wird. Eine vorsichtige Handhabung solcher Daten ist allein deshalb notwendig, um einen minimalen Schutz von Persönlichkeitsrechten über die technologische Gegenwart hinaus zu gewährleisten. Dem steht entgegen, dass Gendateien umso praktikabler für die Strafverfolgung sind, je mehr Datensätze sie enthalten. Ein britischer Polizeifunktionär brachte das 1998 auf den Punkt, als er vorschlug, von jedem Staatsbürger bei der Geburt eine DNA-Analyse vorzunehmen, um maximale Aufklärungsraten von Delikten zu erreichen. Aber so weit ist es - noch - nicht. Aktuell soll die Zahl der Datensätze erhöht werden, indem auch bei minderschweren Straftaten wie zum Beispiel Exhibitionismus eine DNA-Profilanalyse erlaubt wird.

Auch der zweite Vorstoß des Bundesinnenministers ergibt sich aus den der Technologie inhärenten Potenzialen: Schily will die einzelnen Datenbanken Europas stärker miteinander vernetzen. Bereits 1988 wurde ein europäischer Forschungsverbund mit der Begründung ins Leben gerufen, dass ein »Europa mit offenen Grenzen sehr wahrscheinlich mit einer Eskalation grenzüberschreitender Verbrechen konfrontiert sein wird und ein Bedarf besteht, Daten auszutauschen.« Diese Einschätzung teilte die Europäische Kommission, als sie 1997 ein Netzwerk aus 20 rechtsmedizinischen Instituten und Laboren finanzierte. Ziel: Die europaweite Standardisierung der DNA-Profilanalyse.

Worum geht es, wenn vom Kampf gegen »grenzüberschreitende Kriminalität« gesprochen wird? In der Bundesrepublik sehen sich seit dem Inkrafttreten des DNA-Analyse-Gesetzes 1998 linke und antifaschistische Aktivisten gehäuft mit der Anordnung einer DNA-Analyse konfrontiert. In anderen Bundesländern werden schon seit 1997 Flüchtlinge, die keine Pässe vorweisen können, zur DNA-Analyse gezwungen. Die Kontrolle bestimmter Bevölkerungsgruppen zu vereinfachen - das ist das Anliegen hinter der europaweiten Vernetzung genetischer Datenbanken.

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