PRÄVENTIVE DNA-DATEN-ERFASSUNG Nicht nur beim Vormarsch des Fabriksystems spielten Gefängnisse eine besondere Rolle; auch die neue Gentech-Welt bedient sich der Gefangenen als »Versuchsmasse« - wie zum Beispiel in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
Danny S. ist lebenslänglich verurteilt. Er sitzt seit sieben Jahren in der Berliner Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel ein, als er auf dem Anstaltsgelände von sechs Beamten des LKA abgefangen wird. Er müsse zur Blutentnahme zwecks molekulargenetischer Analyse, wird ihm gesagt. Danny S. weigert sich. Die LKA-Beamten berufen sich auf eine richterliche Anordnung, die Danny S. nicht kennt und erst auf Intervention von Beamten der JVA kurz zu sehen bekommt. Der Beschluss besteht aus drei Zeilen - die begangene Tat gehöre zum Straftatenkatalog im DNA-Identitätsfeststellungsgesetz, deshalb sei eine Körperzellentnahme in seinem Fall angezeigt. »Ich habe auf mein Recht auf rechtliches Gehör hingewiesen. Das hat die aber überhaupt nicht interessiert«,
1;, erinnert sich Danny. »Ich habe das Blut dann lieber abgegeben. Ich wollte keinen Ärger.«Keine EinzelfallprüfungSo ist es vielen Häftlingen nicht nur in Berlin in den vergangenen zwei Jahren ergangen. Es wird kräftig gesammelt, seit das im September 1998 in Kraft getretene DNA-Identitätsfeststellungsgesetz den Landeskriminalämtern erlaubt, nicht nur von Zeugen und Beschuldigten in laufenden Verfahren Körperzellen für die DNA-Analyse zu entnehmen, sondern auch von bereits Verurteilten. Aus der den Häftlingen entnommenen Blut- oder Speichelprobe wird im Labor ein DNA-Identifizierungsmuster erstellt - der so genannte Âgenetische Fingerabdruck' - und in der Regel in der bundesweiten Datei des Bundeskriminalamtes (BKA) gespeichert. Voraussetzung ist lediglich, dass »wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren zu führen sind«, heißt es im Gesetz.Im Unterschied zu Danny S. bekommen die Häftlinge in der Regel einen richterlichen Beschluss zugestellt. Um die Erhebung und Speicherung so sensibler Daten, wie es DNA-Identifizierungsmuster sind, nicht allein den Entscheidungskriterien der Exekutive zu überlassen, schreibt das Gesetz vor, dass ein Richter und nicht Staatsanwaltschaften oder Landeskriminalämter prüfen, ob Wiederholungsgefahr gegeben ist. In der Praxis ist dieser Schutz vor polizeilicher Sammelwut aber eine Farce. Als Begründung für die Anordnung der DNA-Analyse zitieren die Richter in den Schreiben an die Strafgefangenen einfach aus dem Gesetz: Lapidar wird von »Art und Ausführung der Tat«, »Ihrer Persönlichkeit« und eventuell noch »sonstigen Erkenntnissen« gesprochen. Eine Einzelfallprüfung findet faktisch nicht statt.Sven P. schätzt, dass mittlerweile etwa 90 Prozent aller in Frage kommenden Insassen der JVA Tegel genetisch erfasst sind. Er gehört der Redaktion der Gefangenenzeitschrift »Lichtblick« an, die eine Vielzahl von Fällen der zwangsweisen ÂKörperzellentnahme' in der JVA Tegel archiviert und dokumentiert hat. »Dabei ist völlig undurchsichtig, nach welchen Kriterien die Gefangenen ausgewählt werden«, erzählt Sven. »Da werden Leute noch ein paar Monate vor ihrer Entlassung zur Abgabe einer Probe gezwungen, und andere, die gerade erst wegen einer Katalogtat verurteilt wurden, bleiben verschont.« Katalogtaten werden die »Straftaten von erheblicher Bedeutung« genannt, bei denen das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz es erlaubt, auch gegen den Willen von Verurteilten Körperzellen für die DNA-Analyse zu entnehmen und die Muster in der BKA-Datei zu speichern. Neben den Kapitalverbrechen (Mord, Freiheitsberaubung, Sexualstraftaten etc.) gehören dazu unter anderem Wohnungseinbruchdiebstahl und Vollrausch.Die Erfassung hat noch gar nicht begonnen»Die Kriterien für eine DNA-Analyse bei Verurteilten und für die Speicherung in der zentralen Datei beim Bundeskriminalamt sind vom Gesetz eindeutig festgelegt«, sagt Michael Budde von der Pressestelle der Berliner Polizei. Auch sei es unwahrscheinlich, dass in Berliner Haftanstalten der Grossteil der Häftlinge bereits eine Blutprobe hat abgeben müssen. »In Berlin haben die zuständigen Staatsanwaltschaften ja noch gar nicht damit angefangen, die Altfälle systematisch abzuarbeiten«, sagt er. Andere Bundesländer seien bei der Anwendung des Gesetzes schon viel weiter, so dass bisher DNA-Analysen hauptsächlich im Rahmen der Amtshilfe durchgeführt würden. Die Anzahl der erfassten Häftlinge geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Berliner PDS-Fraktion hervor. Danach stammen in Berlin knapp drei Viertel der 850 Personenmuster, die vom 1.1.1999 bis Ende Juni 2000 gespeichert wurden, von Verurteilten.Über Art und Umfang der bundesweit durchgeführten DNA-Analysen und Speicherungen lässt sich wenig Konkretes in Erfahrung bringen. Neben Berlin liegen nur für Sachsen-Anhalt und Thüringen einige Zahlen vor, weil auch dort von den PDS-Fraktionen Anfragen gestellt wurden. Eine gesonderte Statistik über die genetische Erfassung von Häftlingen wird in diesen Ländern nicht geführt. Registriert wird bundesweit allerdings, wie viele Straftaten mit Hilfe der BKA-Datei aufgeklärt werden. Denn in der Datei werden nicht nur DNA-Muster von Verurteilten und Beschuldigten gespeichert, sondern auch von Tatortspuren aus nicht aufgeklärten Straftaten. Ein Computerprogramm gleicht sie mit den Personenmustern ab und filtert Übereinstimmungen heraus. Bisher wurde auf diese Weise laut Lagebericht des BKA von 1999 fast jede 25. eingegebene Spur einer Person zugeordnet, das entspricht einer Aufklärungsquote von 3,8 Prozent.Potentiell verdächtige Personen»Ich verstehe ja durchaus, welche Vorteile so eine Datei für Ermittler hat«, sagt Sven von der Redaktion Lichtblick. »Aus unserer Perspektive, der Perspektive von Gefangenen, ist die Speicherung aber in mehrfacher Hinsicht eine Katastrophe.« Das beginne schon mit der extremen Abhängigkeit von Häftlingen: Kaum jemand wolle Hafterleichterungen aufs Spiel setzen. »Bei mir war die Blutentnahme ohne vorherigen Bescheid eindeutig rechtswidrig«, sagt Danny S., »aber ich sollte bald in den offenen Vollzug, da wollte ich nichts riskieren.« Vor allem aber würden sämtliche Bemühungen zur Resozialisierung sowohl der sozialen und therapeutischen Einrichtungen in den Vollzugsanstalten als auch des einzelnen Gefangenen ad absurdum geführt. »Mir hat die ganze Aktion einen richtigen Dämpfer verpasst«, sagt Danny S., »als ob es die Jahre seit meiner Verurteilung gar nicht gegeben hätte.« Als Danny eine Blutprobe abgeben musste, war seine ÂSozialprognose' positiv.»Ob eine positive Sozialprognose in der Haft gleich zu setzen ist mit einer negativen Kriminalprognose, ist umstritten«, hält Polizeisprecher Budde dagegen. »Man muss bedenken, dass es sich in der Regel um schwerste Straftaten handelt.« Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz sei sinnvoll, weil es die Möglichkeit böte, unbekannte Spuren zu vergleichen mit »Personen, die potentiell verdächtig sind.«Einmal Verbrecher, immer Verbrecher? Ob die DNA-Muster in der Datei gespeichert bleiben, muss spätestens zehn Jahre nach der Haftentlassung überprüft werden. Es gelten die selben Kriterien wie für die Speicherung. Ob »Art und Ausführung der Tat«, die »Täterpersönlichkeit« oder »sonstige Gründe« für oder gegen die Löschung der Daten sprechen, entscheidet die Polizei.
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