Lukrativer als eine Goldgrube

Umsetzung der EU-Biopatentrichtlinie Ohne weitere Diskussionen versucht die Bundesregierung ihren industriefreundlichen Gesetzentwurf durchzuwinken

Der Verband forschender Arzneimittelhersteller begrüßt den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Biopatentrichtlinie", heißt es in einer jüngst veröffentlichten Stellungnahme des Unternehmenszusammenschlusses. Er sei "ein wichtiges Signal für die Zukunft der Biotechnologie und die Erforschung und Produktion innovativer Medikamente am Standort Deutschland." Die Zufriedenheit der Pharmaunternehmen ist verständlich: Mit dem im Juni 2003 vorgelegten und im März diesen Jahres erstmals im Bundestag verhandelten Gesetzentwurf begünstigt die rot-grüne Regierung ausschließlich die Industrie. Der Entwurf ignoriert konsequent vorhandene Spielräume bei der Umsetzung der so genannten EU-Biopatentrichtlinie und erlaubt die Patentierung ganzer Gene, Proteine oder anderer Bestandteile des menschlichen Körpers, sobald auch nur eine Funktion oder Anwendung der Substanz beschrieben werden kann. Lediglich für Embryonen, für Verfahren des Klonens und der Keimbahnveränderung dürfen Patente nicht erteilt werden.

Unbezahlbare Medikamente

Wird der rot-grüne Entwurf in der vorliegenden Form verabschiedet, ist ein Genpatent künftig mehr wert als jede Goldgrube. Es macht nicht nur die in der Patentschrift beschriebene Funktion der Gensequenz zum geistigen Eigentum des Patentinhabers, sondern auch alle künftig möglichen Anwendungen. Für einen solchen Freibrief sind vor allem große Pharmaunternehmen dankbar; indem sie Eigentumsrechte an Genabschnitten erwerben, sichern sie sich im Zeitalter einer individualisierten und molekularisierten Medizin das Monopol auf die Entwicklung bestimmter Medikamente.

Nicht nur ausgewiesen kritischen Organisationen wie etwa Greenpeace geht das zu weit. "Ohne Biopatente ist Forschung für die Industrie nicht lukrativ", so etwa Tanja Börner vom Verband der Angestellten-Krankenkassen, "aber mit den Stoffpatenten und den daraus entstehenden Monopolen werden Medikamente für das öffentliche Gesundheitssystem unbezahlbar", so ihr Argument. Auch die Bundesärztekammer wendet sich gegen den vorliegenden Entwurf. Ihr stellvertretender Geschäftsführer Otmar Kloiber warnt in einer Stellungnahme vom Juni 2003 davor, dass viele Beobachtungen und Ideen aufgrund ihres Patentierungspotenzials nicht mehr kommuniziert, Genpatente mithin medizinischen Fortschritt behindern würden. Er plädiert deshalb dafür, lediglich Verfahren zur Herstellung von Medikamenten unter Patentschutz zu stellen. "Menschliche Gene oder Gensequenzen dagegen sind keine Erfindungen, sondern Erkenntnisse über natürliche Gegebenheiten, die sich einer Patentierung entziehen sollten", heißt es weiter. "Genau dies aber lässt die EU-Richtlinie zum Schutz biotechnologischer Erfindungen zu."

Mit dieser Interpretation steht Kloiber nicht allein. Unter Berufung auf ihre Tradition, Patente auf Leben grundsätzlich nicht zuzulassen, hatten mehrere EU-Staaten gegen die 1998 erlassene EU-Biopatentrichtlinie geklagt. Die Klage wurde 2001 abgewiesen, und die EU-Kommission reichte ihrerseits Säumnisklage gegen die acht Vertragsstaaten ein, die die Richtlinie noch nicht umgesetzt hatten. Neben Italien, den Benelux-Ländern, Schweden, Österreich und der Bundesrepublik gehört auch Frankreich zu diesen Staaten. Dort hat man in einem mittlerweile kurz vor der Verabschiedung stehenden Gesetz versucht, die Richtlinie weit auszulegen und möglichst enge Voraussetzungen für Biopatente zu schaffen. Herausgekommen ist dabei, dass geistige Eigentums- beziehungsweise Verwertungsrechte nur für die in der Patentschrift beschriebene Funktion eines Gens oder eines DNA-Abschnitts gewährt werden, nicht aber für die Substanz an sich.

Politische Spielräume

Die Bundesregierung dagegen zeigt wenig Ambitionen, den Stoffschutz für Bestandteile des menschlichen Körpers zu umgehen. Bereits im Oktober 2000 hatte sie einen ersten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Biopatentrichtlinie vorgelegt, der auf großes öffentliches Interesse stieß. Trotz mehrerer Anhörungen und relativ breiter Diskussion konnte damals in der Frage des Stoffschutzes keine Einigung erzielt werden, und der Entwurf verschwand in der Schublade. Nun geht die Umsetzung der Richtlinie in eine neue Runde - diesmal allerdings mit wesentlich weniger Aufwand. Eine einzige Anhörung am Mittwoch vergangener Woche vor allen fünf beteiligten Ausschüssen (Landwirtschaft, Umwelt, Gesundheit, Recht und Wirtschaft) des Bundestages, ein gutes halbes Jahr nach der ersten Lesung - allein die zeitliche Vertaktung deutet auf den Wunsch nach einem Gesetzgebungsverfahren in aller Stille hin. "Bundesjustizministerium und Kabinett wollen die Kuh jetzt vom Eis haben", beschreibt ein Mitarbeiter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Situation. "Aber die Fraktionen werden den Gesetzentwurf nicht so durchwinken wie er ist. Da gibt es noch Spielräume."

Das ist zu hoffen. Denn der Entwurf der Bundesregierung zeichnet sich nicht nur im Zusammenhang mit der Reichweite von Biopatenten durch ausgesprochene Industriefreundlichkeit aus. Gänzlich außer Acht gelassen wird die Frage, wie Unternehmen das biologische Material gewinnen, für das sie Patente beantragen. Die grüne Fraktion will deshalb im Gesetz die Auflage verankern, im Patentantrag die geografische Herkunft der Substanz nachzuweisen, für die das Patent beantragt wird. Damit soll der illegalen Aneignung von Substanzen, Pflanzen und Wirkstoffen, der so genannten Biopiraterie, entgegen gewirkt werden. Würde der rot-grüne Gesetzentwurf tatsächlich so verabschiedet, bräuchten Patienten vor der Entnahme von Körpersubstanzen außerdem weder darüber informiert noch um ihre Zustimmung gebeten werden, wenn ihre Gensequenzen oder Gewebeproben kommerziell verwertet werden sollen.


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