Erneut befasste sich der Nationale Ethikrat mit dem Thema Biobanken. Dass sich auf diesem Feld einiges tut, zeigt das Projekt "Helmholtz-Kohorte". Ab 2012 sollen medizinische Daten und Proben von 200.000 Freiwilligen aus ganz Deutschland zentral gesammelt und gespeichert werden.
Der Name für die projektierte Biobank klingt eher unspektakulär: "Helmholtz-Kohorte" (HK). In dem epidemiologischen Großprojekt, initiiert von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, sollen über Jahrzehnte mindestens 200.000 Menschen beobachtet werden. Was dabei ermittelt werden soll, skizzieren die Organisatoren in einer Pressemitteilung: "Chronische Erkrankungsrisiken in Bezug auf den Lebensstil, psychosoziale Faktoren, umweltbedingte Belastungen und Stoffwechselmarker - alleine oder im Zusammenspiel mit individuellen genetischen Risikofaktoren". Die Kosten für den Aufbau der Sammlung in den nächsten zehn Jahren werden derzeit auf 100 bis 200 Millionen Euro geschätzt, eine Finanzierung vom Bund und damit aus Steuergeldern wird erwartet.
Nach etwa dreijähriger Vorbereitungsphase soll 2012 die "Rekrutierung" in mehreren Regionen der Bundesrepublik starten - gesucht werden dann zehntausende gesunde Freiwillige. Gesammelt werden neben Blut- und Urinproben auch Daten zur Ernährung, zum Lebenswandel und zum sozialen Hintergrund der Probanden. Dabei ist die HK als nationales Kooperationsprojekt konzipiert: Unter Federführung des Helmholtz-Zentrums München Gesundheit und Umwelt (HMGU) und des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg (DKFZ) soll die populationsweite Biobank "gemeinsam mit Universitäten und anderen nationalen Forschungseinrichtungen geplant und durchgeführt werden".
Potenzielle Forscher brauchen allerdings Geduld. Zehn bis 20 Jahre soll es dauern, bis die erfassten Daten der Biobank für konkrete Forschungsprojekte nutzbar sind - sinnvoll sei dies nämlich erst, wenn Krankheiten unter den Teilnehmern auftreten. "Das ist die Idee einer prospektiven Kohorte", sagt einer der beiden Koordinatoren der HK, Rudolf Kaaks vom DKFZ. "Wir beginnen mit Gesunden, um später Vergleiche machen zu können zwischen denjenigen, die Krankheiten entwickeln und denjenigen, die gesund geblieben sind." Veränderungen bestimmter Werte im Blut oder im Hormonspiegel können dann analysiert und mit den Werten vor der Erkrankung verglichen werden. Anschließend könnten sie, so Kaaks, je nach Häufigkeit als "Biomarker" zwecks Früherkennung genutzt werden. Auch sei es möglich, krank machende Umweltfaktoren herauszufiltern - etwa durch den Vergleich von Lebenswandel oder Ernährungsgewohnheiten Gesunder und Kranker, die genetische Ähnlichkeiten aufweisen.
Die Organisatoren betonen, dass es ihnen nicht vorrangig um genetische Studien geht. Zwar seien Gene ein Risikofaktor für Krankheiten, sagt der Mentor des HK-Projektes, Professor Erich Wichmann vom HMGU. Die spannende Frage sei aber nicht, "was die Gene machen, sondern wie bestimmte Verhaltensweisen oder Umwelteinflüsse mit genetischen Faktoren interagieren".
Repräsentativität wollen die Forscher erreichen, indem in ausgewählten Regionen Einwohner angeschrieben und zur Teilnahme aufgefordert werden. Ob die Stichprobe am Ende tatsächlich repräsentativ ist, hängt also davon ab, wer bereit ist mitzumachen.
Im Blick hätten die Forscher Krankheiten wie Krebs, Diabetes, neurodegenerative und rheumatoide Leiden sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, erklärt Mitkoordinator Kaaks. Welche Forschungsprojekte in 15 bis 20 Jahren oder später realisiert werden, ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung ungewiss - eine grundsätzliche methodische Schwäche, die auch beim britischen Vorbild der HK, der UK Biobank, offenbar wurde. Die "Hypothesenfreiheit" sei ein entscheidender wissenschaftlicher Einwand gegen derartige prospektive Sammlungen gewesen, berichtet Katrin Grüber, eine Gutachterin der 2007 fertiggestellten Technologieabschätzung von Biobanken für den Deutschen Bundestag. "Man sammelt Daten, ohne wirklich genau zu wissen, was man später damit herausfinden will."
Einige Ideen der Initiatoren der Helmholtz-Kohorte unterscheiden sich allerdings von ihrem britischen Pendant. "Von den 200.000 Personen, die wir vorgesehen haben, möchten wir etwa 40.000 in vertieften Studien untersuchen", erklärt Kaaks. Mittels bildgebender Verfahren wolle man die Phänotypen dieser Teilnehmer "im Detail" festhalten. Denkbar sei es, so Kaaks, mit Hilfe der Magnetresonanztechnologie die Hirne älterer Subgruppen zu scannen, um später Aufnahmen von Menschen, die an neurodegenerativen Leiden wie etwa Alzheimer erkrankt sind, mit denen der gesund Gebliebenen zu vergleichen. Analysen der Herzstruktur wären bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen möglich, um beispielsweise auch Aussagen über das Erkrankungsrisiko zu erhalten. Die Auswertung solcher Bilder wäre allerdings außerordentlich zeit- und ressourcenaufwändig.
Aber nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht ist der Aufbau einer Biobank, die ein Individuum bezogenes Wissen über statistisch erhobene Erkrankungsrisiken produziert, fragwürdig. Eine Sammlung in dieser Größenordnung birgt zudem datenrechtliche Probleme. "Im Falle der UK Biobank kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass es nicht nur um wissenschaftliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Genetik geht", so Katrin Grüber. "Motor des Projektes war wahrscheinlich auch, einen Zugang zu 500.000 elektronischen Krankenakten zu erhalten." Für die Bundesrepublik mag dies angesichts der Unterschiede zum britischen Gesundheitssystem überzogen erscheinen. Doch wer weiß, welche gesundheitspolischen Trends sich in zehn oder 20 Jahren verfestigt haben?
Laut Wichmann ist bisher geplant, bestehende Krebsregister oder die Mortalitätsstatistik für die "Nachbeobachtung" zu nutzen. Gemeint ist die Phase nach der Ersterhebung, wenn in regelmäßigen Abständen der Gesundheitszustand der Teilnehmer überprüft wird. Die im Rahmen des Biobankprojektes erhobenen Daten, versichert er jedoch, werden nicht nur anonymisiert, soweit das möglich ist. Sie unterlägen darüber hinaus der ärztlichen Schweigepflicht.
Dass diese durchaus antastbar ist, zeigt das geplante Gesetz zu den Befugnissen des Bundeskriminalamtes (BKA-Gesetz). Es ermöglicht, "bei konkreter Gefahr für eine terroristische Straftat" die ärztliche Schweigepflicht außer Kraft zu setzen. Tritt es in Kraft, würden also künftig Polizei und Staatsanwaltschaften darüber bestimmen, wann Ärzte verpflichtet sind, Auskunft zu erteilen.
Die ausführliche Fassung des Beitrags erscheint in der Dezember-Ausgabe des Genethischen Informationsdienstes (GID)
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