Bös glamourös

Trüffelmortadella Das neue Hegemann-Buch gelesen habend, killt man Schampus und legt sich Knarren ins Handschuhfach
Ausgabe 35/2018
Der Ennui leuchtet dem Tier hier aus den Augen, oder ist das nur die Projektion eines zivilisationsmüden Betrachters?
Der Ennui leuchtet dem Tier hier aus den Augen, oder ist das nur die Projektion eines zivilisationsmüden Betrachters?

„Moonlight, Wolf“, Frederic Remington, circa 1909; VCG Wilson/Corbis/Getty Images

Weiße Lilien sprießen aus dem Kopf. Die blaue Blume wächst auf den zerdampften Gedärmen der Straßenköter. Helene Hegemann spuckt in ihrem Roman Bungalow auf die Gräber der Romantik. Sie sympathisiert nicht mit nervenkranken Weltflüchtigen, sondern schlüpft in die Haut der letzten Überlebenden eines atomaren Endspiels. Wölfisch gebärden sich diese, nicht wie winselnde, vor Selbstmitleid triefende Hunde; einsam sind sie, gefährlich und brutal. Den Tod im Nacken, leisten sie sich Liebesschwüre, dunkel, schwarzromantisch, die Zähne fletschend. Maria, die brillante russischstämmige Protagonistin, ließe sich lieber von Wölfen zerfleischen, als Georg, dem charmanten Loser, untreu zu werden. Ein stimmiger Schwur in Zeiten, in denen „Homo homini lupus“ zum Leitspruch wird und Rettung nur noch im verzweifelt-sinnlichen Animalischen, im „genussreichen Leid“ gefunden werden kann.

Käsebällchen oder Asphyxie

Dem apokalyptischen Bohemien-Paar Georg und Maria ist Charlie, eine pubertäre Unterschichtgöre von überbordender Fantasie, verfallen. Von ihrem Balkon in der Hochhaussiedlung blickt sie hinunter zu Hummerscheren knackenden Bungalowbewohnern. Die Sehnsucht treibt sie bei Eiseskälte in deren Vorgarten und lässt sie sich mit der ganzen Urgewalt ihres jugendlichen Körpers gegen die bodentiefen Fenster der privilegierten Nachbarn werfen.

Irgendwann wird aus diesem wuchtigen Entree eine Amour fou, die sich „zu einer Art mystisch-hysterischem Rausch entwickelte, den man nicht mehr Gefühl nennen konnte, eher Synthese aus Abgründen“. Jahre später, nach dem großen Knall, erinnert sich Charlie an die Zeit, bevor sich der Himmel gelb verfärbte und Hautausschläge auf den Leibern der Überlebenden wucherten. Das Bild, das Hegemann von diesem Fin de Siècle zeichnet, ist freilich alles andere als sentimental. Die Menschheit lässt sich von Pitbulls flankieren, schreit wieder „Heil Hitler“ und ist überhaupt nichts anderes als „ein von gelben Mehlwürmern besiedelter Scheißhaufen“, der unter einem eklatanten „Zivilcourage-Dilemma“ leidet. Charlie wächst heran zu einem brutalen Gefühlsmutanten, der sich des omnipräsenten Unheils nur durch die Vergötterung des Wölfischen zu erwehren weiß.

Was bleibt einem Kind auch anderes übrig, das sich „auf grobsinnlichste Art“ befriedigt wie „ein Zootier, das ein Stück Fleisch durch seine Futterklappe geschoben kriegt“? Dass Hegemann den Topos des Animalischen mit dem derzeit beliebten Ennui koppelt, schadet dem Roman mitnichten. Die Figuren gebärden sich schließlich wie Raubtiere, die sich aus ihrer Lethargie nur durch Zerstörung zu retten vermögen. Ein Krieg steht vor der Tür, der die kaputte Menschheit endlich erlöst: „Die Leute wollen Krieg. In einer Extremsituation vergisst du dein persönliches Leid und bist wieder handlungsfähig.“

Bei derart gefühlskalten Reflexionen verwundert es nicht, dass sich das wölfische Pack nach der Katastrophe Trüffelmortadella zu Gemüte führt. Die Selbstbetäubungsorgien einer verrohten Menschheit kennen keine Grenzen: Käsebällchen oder Asphyxie, englische Soaps oder der tröstliche Gedanke, dass eine Oberschicht-Lady mit Chihuahuas die gesamte Menschheit mit sich in den Tod zu reißen gewillt ist. All dies dient dazu, nicht in Gefahr zu geraten, dass der Abgrund zurückstarren könnte. Bestärkt wird dieser Selbstbetrug auch in postapokalyptischen Zeiten, wenn ein Rich Kid „bisschen Marx studiert in Eliteuniversität zwischen Regalreihen aus Mahagoni“ und sich zu den Obdachlosen legen will, um die eigene Survival-Superiorität zu beweisen.

Das Buch ist flirrend, schwebt wie radioaktive Partikel im Kopf des Lesers. Fallout-Literatur, irrlichternd, zynisch, ungeordnet und defätistisch und doch so voller Vitalität, dass man den ungebändigten Überlebenswillen Charlies spürt. Das liegt vor allem daran, dass sich hier kein überambitioniertes Lektorat an Glättung versucht hat, sondern die Stränge zerfasern, sich auflösen, ohne dass dadurch das Hauptmuster verloren ginge. Bungalow ist ein Roman, der die Struktur eines orientalischen Teppichs hat. Es geht darum, wie der Vater von Charlies Freund Iskender zu sagen pflegt, dass sich „ein bestimmtes Grundmotiv als klares, erhabenes Richtmaß zentralisiert und sich dann aber an den Teppichrändern in Chaos auflöst, Verzierungen, Verspieltheit, Gegenprogramm“.

Dexamyl und Selbstmord

Sicher ist auch Provokationsästhetik im Spiel und Lust am politischen Tabubruch. Hegemann kokettiert mit dem Nimbus des Bös-Glamourösen, zelebriert eine Art literarischer Riefenstahl-Ästhetik. Wenn Maria in kniehohen Stiefeln und Wildledermantel russische Lieder singt, dann ist sie Nazi-Vamp und durch den Schlamm robbende realsozialistische Heldin zugleich. Das schöne Böse ist das Gegenteil von Charlies selbstzerstörerischer Assi-Mutter, die sich Zigaretten am laufenden Band stopft und der Tochter ein Stück Fleisch aus dem Unterarm beißt. In Hegemanns Endzeitszenario bleibt der Brut keine andere Wahl, als sich in genussvollem Leid zu suhlen und als „sphärischer Ausdruck von Fluchtinstinkt“ dem Stärkeren hinterherzusprinten.

Man fühlt sich nach der Lektüre von Bungalow, als seien einem die letzten idealistischen Sumpfblüten aus dem Gehirn gerissen worden. Vielleicht köpft man eine Flasche Champagner, oder aber man verjagt Fledermäuse und legt sich zwei Knarren ins Handschuhfach. Vielleicht aber dreht man auch Big Black Smoke von den Kinks auf volle Lautstärke, in der Hoffnung, dass es noch etwas anderes gibt als Dexamyl und Selbstmord auf Raten in verschimmelten Wohnsilos.

Info

Bungalow Helene Hegemann Hanser Berlin 2018, 288 S., 23 €

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ute Cohen

"Intelligenz lähmt,schwächt,hindert?:Ihr werd't Euch wundern!:Scharf wie'n Terrier macht se!!"Arno Schmidt

Ute Cohen

Wissen, wie sich die Welt verändert. Abonnieren Sie den Freitag jetzt zum Probepreis und erhalten Sie den Roman “Eigentum” von Bestseller-Autor Wolf Haas als Geschenk dazu.

Gedruckt

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt sichern

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden