Es soll ja Frauen geben, die sich unsterblich in Männer am Herd verlieben. Die Art, wie sie den Lachs tätscheln, das Fleisch nach Sehnen abtasten, die Cremigkeit der Sauce beurteilen, genau den richtigen Moment beim Soufflé abpassen. Ja, ja! Genau ... jetzt! „Unsterblich“ ist in der Liebe und in Krimis allerdings so selten wie ein perfekt zubereiteter Fugu. Denn mit dem Kugelfisch verhält es sich schlicht so: entweder deliziös oder tödlich, was sich übrigens auch als Kompliment ummünzen lässt: „Mmh, du bist mein feuerroter Kugelfisch, deliziös, eventuell tödlich.“
Im Sammelband Tödlich aufgetischt. 15 mörderisch leckere Krimis und Rezepte kommen nicht nur Dramababys auf ihre Kosten, sondern auch Feinschmecker aller Couleur. Fatale Köstlichkeiten aus Italien, Frankreich, Schweden und der Türkei werden zu knackigen Short Stories verarbeitet. Manches wirkt dabei wie durch den literarischen Fleischwolf gedreht, anderes aber so fein gehäckselt, so gekonnt, als säße der Lektor mit dem Braten-, pardon!, Spannungs-Thermometer mit am Schreibtisch.
So erfährt man in Liliane Fontaines Geschichte Die Richterin und der Schatten der Vergangenheit en détail, wie das Gift des Kugelfisches wirkt und wie es möglichst unauffällig verabreicht werden kann. In Pulverform wirkt Tetrodotoxin subito! Hatschi und Exitus! Allen Autoren ist eine profunde Kenntnis von Toxinen und tödlichen Waffen gemein. Auch lassen die beigefügten Rezepte die Papillen nicht selten freudig zucken. Schreiben über Sex dagegen ist eine Disziplin, die noch a bisserl geübt werden sollte. Leckerbissen gefällig? Sorry, damit kann ich nicht dienen. Die einschlägigen Passagen verursachen eher Magengrimmen: „Es fing an den Fußsohlen an zu kribbeln und wanderte hoch bis zur Kopfhaut. Besser als etliche Orgasmen, die ich hatte. Es war, als bestände mein ganzer Körper aus Knödeln und Feigen. Auf eine gute Art, nicht auf so eine Lebkuchenmann-Art.“ Prost, Mahlzeit!
Heinrich Steinfests Der achte Gast ist die appetitlichste Geschichte von allen. Das liegt nicht nur an der Menüfolge aus „Geburt, Kindheit, erste Liebe, Ehe, Krise, Schönheit des Lebens, Tod, Auferstehung“ und deren köstlicher Interpretation, sondern auch an der Sprengung eines „Nouveau Réalisme“. Der achte Gast ist ein Kurzkrimi, der sich inspiriert an Luigi Pirandellos Sechs Personen suchen einen Autor. Eine Prise Pirandello, ein Hauch Luigi zart über die Zeilen gepudert, hat noch niemandem geschadet.
Für alle, die sich Rosentrüffel gern auf der Zunge zergehen lassen, ein formidables Buch, für Freunde und Freundinnen des Cunnilingus ein Verzweiflungsakt.
Die Kunst der knappen Form ist in der deutschen Krimi-Szene offenbar eine ähnlich große Herausforderung wie der Kugelfisch für den japanischen Meisterkoch. So beginnt auch die zweite unter die Lupe genommene Anthologie mit einem Seufzer, nicht aus Wollust oder lukullischem Verzücken, sondern aus schierer Verzweiflung, die vierhundert Seiten nicht durchstehen zu können. Stille Nacht, nie mehr erwacht, so der Titel des Sammelbandes, beginnt mit einer Geschichte des Herausgebers Jan Costin Wagner, die so sterbenslangweilig ist wie die Sätze kurz sind: „Aber ja, da tanzen sie wirklich. Die Schneeflocken. Vor seinen Augen.“ Halleluja! Pure white snow, bitte, sofort!
Auch Judith Merchants Geschichte Heiligabend mit Idioten macht’s nicht besser. Mit „Yeah“ und einem „Großkotzanfall“ lockt man keinen Hund hinter dem Ofen vor. Auch das orgiastische Momentum des „Plastiknoppenploppens“ ist ziemlich ungeil beschrieben, um im Jargon der Autorin zu bleiben: „Ellen stöhnte leise und bohrte den Finger wollüstig in die zerplatzte Blase, um dann von der noch unversehrten, zum Platzen bereiten Nachbarblase erregt zu werden“. Holy Shit! Nicht jeder kann eben Paraphilie. Weiterblättern!
Dann aber klingeln die Ohren. Simone Buchholz ruft uns in Erinnerung, dass das Fest der Liebe mehr ist als Jingle Bells, zwei adrett gekleidete Kinderchen und ein braver Ehemann. Bei blutroten Spaghetti und Kümmelschnaps wird’s richtig scharf. Hmmm, da schnabulieren Frauen ganze Chilischoten, das Wasser dampft, der Garten ist wild und über Männernacken spannen sich die Knastsehnen. Bei Buchholz riecht es nach Bonnie und Clyde, das tröstet uns über die Weihnachtsdepression hinweg. Bringst du noch ’nen Glühwein mit, Schatz? Bei der Hamburger Autorin klingt das so: „Ne Knarre und ’nen Sack voll Sprengstoff, bitte!“ Der Weihnachtsmann mit seinem Jutesäckerl kann sich da hinter der nächsten Tanne verstecken.
Auch bei Katja Bohnet knallt es mächtig. Kill Bill samt Nancy Sinatras Bang Bang ist eine Romcom im Vergleich zur Short Story Fashion Queen. Bohnet treibt Heidi Klums narzisstische Quälereien in Germany’s Next Topmodel auf die Spitze und lässt uns erahnen, auf welches Level uns Konsumterror und Absahnmentalität führen können. Dabei brilliert sie mit Branding-Skills, die so manche Top-Werbeagentur alt ausschauen lassen: Knockster, Berolinga, Sheapissheap.
Der Kampf wird ausgefochten ohne Rücksicht auf Verluste. Für ein mit Goldstaub veredeltes Montlion-Cape mit Hermelin-Kapuze geben die KonkurrentInnen alles. Das ist Trash, das ist Pulp, das ist Christmas!
Ganz anders, opulent, klassisch wie Vanillekipferln und Zimtsterne zum Fest, unverzichtbar also, Patricia Highsmith. Der Diogenes-Verlag schnürt uns mit Ladies ein Päckchen aus fünf frühen Short Stories, deren Nachtstücke alte Neurosen erblühen lassen.
Da der Teufel bekanntlich niemals schläft, geht es in Verwunschene Fenster böse zu. Die grausamste uns Menschenkindern drohende Strafe ist Einsamkeit. In der Kunst, sie zu überwinden, scheitern die einen, die anderen aber verschleiern sie mit Geselligkeit und übertünchen sie mit Luxus und Wohlgerüchen: „Die gargantueske Einsamkeit des Ortes ließ die seine bisweilen zu schierer Unmerklichkeit schrumpfen.“ Das mag an rotem Samt und vergoldeten Zierleisten liegen, an Granatmanschettenknöpfen und Galeonen, vielleicht aber auch an dem herrlich altmodischen Odeur, das der „Pandora-Saal“ im nächtlichen New York verströmt. Im Hotel Hyperion gibt es noch Männer, denen Frauen „auf einmal erschreckend intelligent“ erscheinen, die lachen „traurig und tolerant, wie ein Gentleman“. Frauen lassen Männer parlieren, ohne auch nur eine Sekunde lang an Mansplaining zu denken, und Männer geben ihre Lethargie zum Besten: „Arbeit ist mir sowieso verhasst.“ Diese Männer sind keine einsamen Wölfe, konversieren nicht auf Augenhöhe, sie sind aus der Zeit gefallen in ihrem seltsamen Sehnen nach ätherischen Wesen, die ihre Einsamkeit zu kurieren vermögen. Am Ende aber bleibt eine Einsicht, die so bläulich schimmert wie ein Schneekristall bei klirrender Kälte: Einsamkeit kann nur jemand kurieren, „der die Einsamkeit nicht kennt“. Read it and weep!
Alles fließt
Dorothee Waldenmaier studierte als Meisterschülerin Bildende Kunst an der HGB Leipzig. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Für ihr Fotobuch Fluss erhielt sie den Förderpreis für junge Buchgestaltung der Stiftung Buchkunst und den Deutschen Fotobuchpreis. Waldenmaiers Arbeiten wurden unter anderem im Dortmunder U, Goethe-Institut Paris und im Printing Museum in Tokio ausgestellt.Alles fließt: Fluss ist eine bildnerische Abhandlung eines Flusses am Beispiel der Spree. Ein Manifest der Form. Die Bilder laden zur Reflexion über Wahrnehmung und den Mikro- und Makrokosmos der Naturformen ein. Sie zeigen die Schönheit des Formlosen und Beiläufigen.
Info
Tödlich aufgetischt: 15 mörderisch leckere Krimis und Rezepte Susanne Massard, Michaela Sappler (Hrsg.), Piper Verlag 2020, 336 S., 20 €
Stille Nacht, nie mehr erwacht: Krimis für die kalte Jahreszeit Jan Costin Wagner (Hrsg.), Rowohlt Verlag 2020, 320 S., 10 €
Ladies: Frühe Stories Patricia Highsmith Diogenes 2020, 288 S., 24 €
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