Ist Liebe eine überirdische Macht, die zerstörerischen Kräften Einhalt gebietet? Oder wird sie heute selbst einverleibt in ein zerstörerisches System, absorbiert, anverwandelt? Peter Trawny wagt es, Liebe zu denken. Das ist riskant in einer Zeit, in der sie eher als eine ephemere Begleiterscheinung betrachtet, aus Angst vorm Scheitern am liebsten gepixelt konsumiert wird. Obwohl auch der Philosoph, der an der Bergischen Universität Wuppertal lehrt, eine „tiefe Erschöpfung“ der Liebe diagnostiziert, ist sein Buch kein Abgesang auf sie. Die Philosophie müsse „erst noch eine Denkform erlernen, die dem von der Liebe durchdrungenen Leben näherkommt“ glaubt Trawny. Das macht selbst Liebesversehrten Mut.
Die 56 Kurzkapitel heißen „F…! Kubricks letzte Worte“ oder „Liebefreie Freieliebe“. Die Textstruktur erinnert so an Stendhals Idee der „Kristallisation“: Wie sich an einem Zweig in einer Salzmine immer mehr Verästelungen bilden, der Betrachter immer neue Facetten erkennt, formen sich die Betrachtungen zu einem lebendigen Gebilde, das geistig und organisch zugleich ist. Leser haben die Chance, sich selbst in diesen Kristallisationsprozess hineinzubegeben. Die Reibepunkte sind dabei klar: Liebe und Freiheit widersprechen sich. Liebe ist Tautologie. Und: Die Liebe wird künftig eine andere sein.
Die Unvereinbarkeit von Liebe und Freiheit ergibt sich aus einem degenerierten Freiheitsgedanken im Kapitalismus. Selbstverwirklichung des Individuums ist mit dem Opfergedanken romantischer Liebe unvereinbar. Und systemische Begrenzung lässt ihre anarchische Sprengkraft implodieren. Gegen die Disziplinierungsgewalt der Gesellschaft vermag der von Dopamin, Serotonin, Adrenalin und Oxytocin gebeutelte Mensch nichts auszurichten. Trawny ruft uns der Liebe aufrührerisches Potenzial in Erinnerung. Pein und Passion sind ihre fruchtbare Kraft: „Liebe ohne Schmerz ist gar keine.“
Überhaupt pustet Trawny den rosenroten Glitzerstaub, den die Liebe umhüllt, in alle Windrichtungen. Schutzlos steht sie da, entblößt. Was bleibt übrig, wenn wir ihr all ihre Verkleidungen nehmen? Mehr als genug, denn sie ist Tautologie: „A rose is a rose is a rose.“ Wem das nicht genügt, der wende eine der vielen Beschwörungsformeln an: „Love, Love, Love ...“
Doch die Feinde der Tautologie lauern überall. Bei T. S. Eliot heißt es: „Birth, and and copulation, and death. That’s all, that’s all, that’s all, that’s all.“ Solch biologistische Lakonie entmachtet Trawny, indem er die Sprachlichkeit der Liebe betont. Sie erscheine „immer schon in Bedeutungen“. So ist sie zwar zeitgebunden, besitzt aber Wandlungsfähigkeit. Liebe ist Dynamik, nicht Stasis.
Transhumane Träumer
Eine ungeheure Macht, die freilich auch manipuliert werden kann. Das unterschätzt Trawny, wenn er dem Satz „Ich liebe dich“ religiösen Bekenntnischarakter verleiht. Er schreibt ihm eine performative Kraft ein, die Verantwortung und Ehrlichkeit voraussetzt, da Sprechen immer schon Handeln sei. Aber wird irgendwo so viel gelogen wie im Bett? Auf Bekenntnisse ist kein Verlass mehr, die romantischen Codes sind durch inflationäre Verwendung entwertet. Brauchen wir also eine neue Sprache der Liebe, wo es „sprachlose Liebe“ doch nicht gibt? Ja, denn „Liebe ist Gewalt“, und die kann sich brachial äußern, sofern sie nicht sprachlich gehegt und eingehegt wird.
Erfreulich ist Trawnys Liebesvision für die Zukunft nicht immer: Dem ungebrochenen Glauben an die Liebe stemmt sich eine Übermacht von Gesellschaft und Ökonomie entgegen. Und das Natürlich-Kreatürliche wird auch von ängstlichen Ideologen bedroht, die das fragile Gleichgewicht zwischen Liebenden mit Wurfgeschossen wie „toxische Männlichkeit“ zerschmettern. Doch dabei will es kein anarchischer Geist bewenden lassen. Technik und Dichtung weisen uns den Weg. Liebesroboter flirten bereits mit transhumanen Träumern; und vielleicht verhält es sich mit der Liebe ja auch ganz schlicht so, wie Michel Houellebecq dichtet : „Der magische Ort des Absoluten und der Transzendenz / Wo das Wort ein Gesang ist, das Gehen ein Tanz / Den gibt es nicht auf Erden.“
Info
Philosophie der Liebe Peter Trawny S. Fischer 2019, 272 S., 22 €
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