Is totally dead

Punk Der zweite Band der Subutex-Trilogie endet in einer blutleer grellen Rave-Sause
Ausgabe 10/2018

Nichts schützt vor dem Untergang, die „Blase aus Panzerstahl“ genauso wenig wie die Kathedrale der Rockmusik. Es bedarf nicht einmal eines Big Bangs, um die letzten Zufluchtsstätten der Achtziger-Jahre-Helden zum Einsturz zu bringen. Sang- und klanglos hat sich der Traum von Rebellion verflüchtigt. Geblieben ist eine Piss Factory, die alles, was nicht zum Stellschräubchen taugt, gnadenlos ausstößt. Vernon Subutex ist einer dieser Expulsierten. Sein legendärer Plattenladen Revolver geht mit der digitalen Revolution pleite. Ein ganzes Jahrzehnt schleppt sich Subutex mehr schlecht als recht durch ein Paris, eine Stadt, in der das pure Überleben zur Vollzeitbeschäftigung geworden ist. Als sein bester Freund und Unterstützer, der Rockmusiker Alex Bleach stirbt, landet Vernon auf der Straße, sucht Unterschlupf bei Facebook-Freunden und früheren Geliebten, bis er am Ende des ersten Bandes der Trilogie endgültig aus dem System katapultiert wird.

Im zweiten Band finden wir ihn auf den Buttes-Chaumont, einem öffentlichen Pariser Park, genauer gesagt auf dem Gibet de Montfaucon. Die Kommunarden von 1871 hat man dort verscharrt. Es war der Park der Verfemten, der Gefallenen und Gottverdammten. Auch Subutex logiert in diesem Land der Outlaws, findet seinen Platz zwischen Obdachlosen und Systemverweigerern. Die Unbill des Lebens auf der Straße trifft ihn allerdings weniger hart als seine Kumpels. Per Whatsapp formiert sich ein Trupp früherer Freunde, um Subutex ausfindig zu machen. Auch die Hyäne, eine Auftragsschnüfflerin, heftet sich an seine Fersen, um sich Alex Bleachs Vermächtnis, Videoaufzeichnungen des Rockstars, unter den Nagel zu reißen.

Versnobte Kopfhörer

Der Plot der Subutex-Trilogie gipfelt zwar in der Enthüllung des Inhalts der Bänder, verflüchtigt sich jedoch zu einem lethargischen Bass für Punk-Nostalgiker und Neo-Hippies. Der Roman brächte auch ohne Crime-Fiction die Nerven zum Vibrieren, denn er ist ein Abgesang auf die Revolution, auf das Rebellentum, ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die glauben, die Welt noch retten zu können.

Während der erste Band eine Tragödie der Banalität ist, ist der zweite eine Moralsatire. „Die Verdammten dieser Erde haben ihr Gesicht geändert“, heißt es. Bakunin und schwarze Fahnen landen auf der Müllhalde der Geschichte. Stattdessen tummelt sich ein gutes Dutzend Verfemter – Obdachlose, Künstler, Lesben, Transen, Porno-Stars – in Vernons Schatten, wärmt sich an des Meisters Präsenz, ohne dass auch nur der Hauch einer Botschaft oder Charisma erkennbar wären. Vernon, der Loser, der Magnet „malgré soi“, wird als neuer Prophet umschwirrt. Er wird zur Projektionsfläche für die Sehnsüchte der auf der Strecke Gebliebenen. Statt sich mit der knallharten Wirklichkeit auseinanderzusetzen, flüchten sich die Post-Post-Punks in spirituelle Erfahrungen. LSD und Speed werden substituiert durch eine neue Ersatzdroge: Vernon Subutex. Externe Substanzen möchte man dem Körper genauso wenig mehr zumuten wie dem Geiste die kräftezehrende Erschaffung großer Utopien.

Despentes persifliert die esoterische Wirklichkeitsflucht und setzt ihren Figuren die Narrenkappe auf. Sie entführt die Überlebenden der Achtziger auf ein Narrenschiff und lässt sie tanzen zu einer Playlist, die nur ein blutleerer Abklatsch der revolutionären Power des Punkrock ist, ein sanftes Entschweben, geführt von einem armen Tropf, der ein schamanisches Erweckungserlebnis hatte.

Virginie Despentes sagt in einem Interview, dass sie sich selbst mit dem Schamanismus auseinandergesetzt, diese „expérience forte“ (starke Erfahrung) gespürt habe, auch an die fruchtbringende Verbindung von Schamanismus und Politik, wie sie beispielsweise in Lateinamerika praktiziert werde, glaube. Eine friedvolle, spirituelle Alternative zu Umsturz und Revolution in einem von Egoismen und sozialer Kälte geprägten Frankreich wagt aber selbst eine vom Schamanismus durchflutete Despentes nicht ernsthaft zu postulieren. Ironisch lässt sie das Scheitern einer möglichen spirituellen Revolution aufblitzen: „Sie hören Zarma-Musik mit superteuren Kopfhörern“ und lauschen Vernon Subutex, der in Goose-Jacke mit Ray-Ban-Brille auf den Buttes Chaumont thront und im Rosa Bonheur Platten auflegt.

Die Vereinzelung des Menschen, seine Isolation in einer zunehmend brutaleren Gesellschaft, lässt sich mit Hippie-Revival und einer Umdeutung der Vergangenheit nicht wegreden. Auch die Flucht in Gruppenidentitäten verspricht keine Rettung, sondern erschöpft sich in absurden Statements: „Die Sex Pistols sind eine feministische Band. Hör dir mal den Text von ‚Bodies‘ an.“ Einen Totentanz führen Vernon Subutex’ Anhänger auf den Gräbern der Klassenkämpfer auf, verzweifelt auf der Suche nach einer Community, die mehr sein könnte als FB-Freunde und Whatsapp-Gruppen. Ernst nehmen kann man die verzärtelten Rave-Addikten nicht. Ihr Verlangen nach einem Gruppenspirit, der sich aus den Sehnsüchten der Mitglieder speist und in gemeinsamen Ritualen alimentiert werden muss, ist Eskapismus. Es wird unweigerlich Geldprobleme, Egoprobleme und Verrat geben, und dann ist es aus mit der Flower Power! Denn eines ist gewiss: „Das Ego funktioniert wie der Schwanz: Kein Bewusstsein kann verhindern, dass es wächst.“

Die Rage, die brennende Wut, die Despentes in ihrem Kultfilm Baise-moi ausdrückte, überlässt sie in der Subutex-Geschichte der jüngeren Generation. Rache lautet die Devise, und diese wird nicht ohne Charme zelebriert: Ein „Vergewaltiger“-, „Mörder“- und „Du wirst büßen“-Tattoo auf dem Arsch des miesen Produzenten Dopalet geben Hoffnung. Die Aussicht auf Friede, Freude, Eierkuchen im dritten Band ist gering.

Punk ist tot, aber Despentes still alive!

Info

Das Leben des Vernon Subutex 2 Virginie Despentes Claudia Steinitz (Übers.), KiWi 2018, 400 S., 22 €

Die Bilder des Spezials

Zuerst ist da ein leeres weißes Blatt Papier mit unendlichen Möglichkeiten, bald findet sich darauf eine absurde Welt der Abstraktion. Zu sehen sind fiktive Gebäude, unendliche Tunnel, lauernde Treppen. Es gibt rätselhafte Hinweise. Nur: Nie führen diese zur Auflösung des Rätsels.

Die Illustratorin Pia-Mélissa Laroche, Jahrgang 1985, zeichnet surreale Welten. Sie will die Macht der Suggestion hinterfragen. Sie sagt: „Wie die Krypten der christlichen Kirchen oder Nabateans Gräber sind diese architektonischen Strukturen direkt in den Boden gehauen. Sie drängen sich durch Subtraktion auf, um unzerstörbar und mehr als je zuvor zu werden. Mit einer extremen Haltbarkeit trotzen die ,Hyper Residenezen‘ Zeit und Raum.“ Laroche lebt und arbeitet in Paris.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ute Cohen

"Intelligenz lähmt,schwächt,hindert?:Ihr werd't Euch wundern!:Scharf wie'n Terrier macht se!!"Arno Schmidt

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