Ein lauwarmes Radler, lauwarmer Espresso, Weißwein in Zimmertemperatur – lau ist eher so lala als oh, là, là. Die Nackenhärchen stellen sich einem auf, sobald man an falsch Temperiertes denkt. Gott, dem Herrn, muss es ebenso ergangen sein, als er seinen Schäfchen ins Gewissen redete, denn er sprach: „Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.“
Der französische Autor Philippe Garnier hat einen Essay vorgelegt, der ein Lob der Lauheit ist. Um Faktentreue, Wahrheitssuche oder das überambitionierte Streben nach dem Richtigen geht es ihm dabei nicht. Auch von konfuzianischem oder epikureischem Maß kann nicht die Rede sein. Vielmehr ist das Lob der Lauheit eine Rückbesinnung auf die R
ler, lauwarmer Espresso, Weißwein in Zimmertemperatur – lau ist eher so lala als oh, là, là. Die Nackenhärchen stellen sich einem auf, sobald man an falsch Temperiertes denkt. Gott, dem Herrn, muss es ebenso ergangen sein, als er seinen Schäfchen ins Gewissen redete, denn er sprach: „Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.“Der französische Autor Philippe Garnier hat einen Essay vorgelegt, der ein Lob der Lauheit ist. Um Faktentreue, Wahrheitssuche oder das überambitionierte Streben nach dem Richtigen geht es ihm dabei nicht. Auch von konfuzianischem oder epikureischem Maß kann nicht die Rede sein. Vielmehr ist das Lob der Lauheit eine RXX-replace-me-XXX252;ckbesinnung auf die „ideale Temperatur des Lebens“.Körperwarm ist der laue Zugang zur Welt, handwarm wie ein Babyfläschchen. Der Laue aber misst das Leben nicht mit dem Thermometer, ist nicht etwa darauf bedacht, Maß zu halten. Nein, jede Mühsal, jede Spannung ist ihm fremd. Der Tonus, die energiebezeugende Spannung der Muskeln, hat sich seines Körpers gar nicht erst bemächtigt. Der Laue ist ein weicher Jo-Jo-Ball. Das gleichmäßige Auf und Ab seines Daseins beruhigt ihn so wie gute alte Supermarktmusik. Der „klingende Wattebausch“ ermögliche ein wunderbares Gefühl des Dahinschwebens, des Fürsorglich-behütet-Seins. Eine „konvenable Müdigkeit“ und die Annehmlichkeit des Schlafes weiß der Laue im Gegensatz zu den ständig Gehetzten durchaus zu schätzen. Der Vergleich mit und die Kritik an den nach Prinzipien und Benchmarks lebenden Mitmenschen wäre ihm jedoch nicht angemessen, denn die Lauheit ist nicht Ziel, nicht Maß, sondern – Pardon! – Sein.Da dieses Sein jedoch schwer fassbar, kaum auch beschreibbar ist, versucht sich Garnier an Indizien, Erkennungsmerkmalen der Verkörperung des Lauen. Will man also den Lauen in der Menge divers Temperierter ausmachen, achte man auf folgende Kriterien: „Der wahre Laue ist daran zu erkennen, dass der Refrain oder das Ritornell keinerlei Überdruss bei ihm hervorrufen.“ Wer also im Wiederholungsmodus I’m Bored hört, entpuppt sich vielleicht trotz Iggy-Pop-Fanclub-Mitgliedschaft als „le Roi des Tièdes“, als der König der Lauen.Der Laue übrigens ist einer der wenigen, die Gängelung auf gewisse Weise zu schätzen wissen, denn seine Schläfrigkeit soll „kein frei gewählter, sondern ein aufgezwungener, wie von einer fernen Bürokratie verhängter Zustand sein“.Bewegen will er sich in einem Zwischenreich, in dem Binärsysteme aufgehoben sind und das Leben dahinplätschert in sanften Wellen, bis es sich endlich ausschleicht. Dieses Fading, dieser „Konsistenzschwund der Wirklichkeit“, erfordere gewisse Vorsichtsmaßnahmen, zuvörderst „keine falsche Bewegung“, wobei Mobilität ohnehin nicht des Lauen hervorstechendste Eigenschaft ist. Denn merke: „Das Tabu der Stinklangweiligkeit ist unantastbar.“Heißblut? Mais non!Trotz vermeintlicher Mediokrität ist der Laue die wahre Gefahr, denn in seinem Mangel an Eiferertum ist er Persona non grata im Untertanenstaat. Laue Staatsbürger zahlen womöglich keine Steuern, weil sie zu lau sind, um die Steuererklärung auszufüllen, und laue Glaubensbrüder und -schwestern beten vielleicht den Rosenkranz, hüten sich aber vor Kreuzzug und Kampf.Im Land der ausufernden Ratgeberliteratur ist das Lob der Lauheit ein zu nichts verpflichtendes Wellness-Angebot. Garnier plaudert fein ironisch, angemessen sanft dahinplänkelnd über sein Thema. Verve darf man vom Autor nicht erwarten. Das hieße, der Lauheit zu viel Ehre, zu viel Heißblütigkeit, zu viel Ernsthaftigkeit, zu viel Eifer angedeihen zu lassen. Das Buch ist ein Stich ins Herz der Daueroptimierer, der elektrostimulierten Muskelperfektionisten und Neospartaner. Dass es gerade jetzt, nach über 20 Jahren seit der Erstpublikation, in Deutschland erscheint, ist nicht erstaunlich. Das haben auch die wohltemperierten, risikoscheuen Hüter des Wortes in deutschen Verlagen erkannt. Frankreich ist das Testlabor für Gedankeninnovationen. Man äugt ins Hexagon und zieht sich den ein oder anderen Fisch an Land. So auch Tristan Garcia, der laue Leser mit seinem Plädoyer für Das intensive Leben (Suhrkamp 2017) aus ihrer Lethargie locken sollte.Diese Obsession aber ist zwischenzeitlich abgeklungen. Auch durch Infantilisierung. Befindlichkeiten, Zimperlichkeiten und die rhizomartige Ausbreitung aller nur denkbaren Ängstlichkeiten haben Platz geschaffen für das Laue. Kein Risiko eingehen, sich schützen in Safe Spaces und unter seinesgleichen leben in böllerfreien Zonen, das ist das seichte Glück des Lauen. Oder, wie Philippe Garnier nicht ohne Ironie sagen würde: „Die Angst vor dem Leben ist unüberwindbar und geheimnisvoll.“Placeholder infobox-1
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