Rauchende Colts

Zeitgeist Acht Jung-Intellektuelle schreiben über die Kulturnation. Das knallt nicht immer
Ausgabe 40/2019

Messerscharf sind sie, die „Hateful Eight“, die sich in München zum Angriff rüsten. Ihre Zielscheibe ist die Kulturnation Deutschland. Nadelstiche im Bootcamp verheißt der Buchteaser, Folter für die acht und ihre Leser. Während sich Tarantinos gleichnamige Bande jedoch die Nasen blutig schlägt und Gift und Galle spuckt, geht es bei dem Bund an der Isar gesittet zu. Experten für Essen, Mode, Theater, Literatur, Politik, Kunst, Popmusik und Film und Fernsehen sind sie, jonglieren mit Zeichen und Symbolen; mit rauchenden Colts wirbeln nur die wenigsten von ihnen. Weniger wildwestig formuliert: Während die einen sich dem Logos verschreiben, genießen die anderen die Lust am Text. Dass Eros und Logos sich nicht widersprechen müssen, erkannte Roland Barthes bereits vor über 60 Jahren. Doch scheint es in der Kulturkritik immer noch gewagt, sich in diesem stimulierenden Spannungsfeld zu bewegen.

Leander Steinkopf, Schriftsteller, Journalist, sozialpsychologische Promotion über den Placebo-Effekt, steckt, und das ist ein Vergnügen, den Fuckfinger tief in den Mettigel. Dem Gesundheitskult ideologisch Vernarrter knallt er ein paniertes Jägerschnitzel und „Pilsstubenpiefigkeit“ als Utopie vor den Latz. Das hat Schmackes, ist als proletarisch-kulinarische Erlösungsstrategie aber doch nur ein trotziges Tröpfchen im heißen Brei.

Bang!

Quynh Tran, Journalistin, in Hanoi geboren, in Berlin-Lichtenberg aufgewachsen, glaubt unter dem „teutonischen Schleier“ „die Mode als Feindin des Intellekts“ verborgen. Als historischer Überblick ist Trans Text geglückt, diagnostisch ist er jedoch so altmodisch wie ein pastelliger Miami-Vice-Anzug. Kein Blick auf Uniform und Haut als Stoff! Dabei haben Tattoos und Ikonen-Mimesis den Topos der „Oberflächenneurose“ längst verschlissen.

Simon Strauß, Bühnenkritiker, Journalist, Schriftsteller, Doktor der Geschichtswissenschaften, leuchtet dem Theater nicht tief in die Seele, sondern wirft Schlaglichter. Er erinnert an Castorfs Warnung vor künstlerischer Kastration durch Moral, fordert ein radikales „Bekenntnis zum Unrealistischen und Gegenweltlichen des Theaters“. Das ist nicht Eskapismus, sondern eine Widerständigkeit, die sich über tagespolitische Querelen hinwegsetzt und auf die großen existenziellen Fragen zielt. Verbrecherisch geradezu, ohne Moral, ist seine Vision des Theaters. Möge es wieder Schatten werfen aus dem Reich der Künstler und Verbrecher!

Lamentieren ist auch Katharina Herrmanns Sache nicht. Die Krise der Literatur sieht die Buchbloggerin, Theologin und frischgebackene Jurorin des Leipziger Buchpreises als eine Krise der Literaturvermittlung. Orientierungslosigkeit im Büchermarkt begreift sie als Chance für den mündigen Bürger, seinen eigenen, ganz individuellen Lesehabitus zu finden. Ökonomie sticht Ästhetik. Rettung für den kränkelnden Markt erwartet Herrmann von neuen Distributionskanälen und veränderten Kommunikationsstrategien. Ästhetischem Pluralismus vertraut sie, vorausgesetzt, der Realitäts- und Authentizitätsfetisch übernimmt nicht die Macht.

Lukas Haffert, Ökonom und Politikwissenschaftler in Zürich, nimmt die „progressiven Nostalgiker“ der Politik ins Visier. Die Ursachenbekämpfungs-Rhetorik substituiert er durch Symptom-Management, rückwärtsgewandtes Denken durch Mut zur institutionellen Veränderung. Muff ist ein Chamäleon. Haffert aber lässt sich nicht blenden, spürt ihn unter den Talaren auf wie auch in piefigen Amtsstuben.

Bang! Annekathrin Kohouts Text knallt. Die Medienwissenschaftlerin, Buchautorin und Bloggerin kratzt nicht an der Oberfläche, die doch schon seit Jahrzehnten blank gewienert und kunsttheoretisch durchdrungen wird. Stattdessen sieht sie als Einzige im Bunde den Schwund der Kategorien, deren Vaporisation. Auf die Umcodierung von „schön“ und „hässlich“ folgt Verflüchtigung. Ihr Plädoyer für eine neue Schönheit hat eine entschiedene Stoßrichtung: Wider die Koppelung von Ästhetik und Moral! Kohouts Schönheitsbegriff entspringt einer pragmatischen Ästhetik: Er erlaubt Wertung ohne Diskriminierung, Unschuld ohne Naivität, Schönheit ohne Hässlichkeit.

Fruchtbarer Wahn

Daniel Gerhardts Gedanken zur Popmusik sind weniger visionär. Vielmehr lesen sie sich wie ein Pendant zum kritisierten musikalischen Sujet: unexzentrisch, ohne Lust an Grenzüberschreitungen. Der ehemalige Chefredakteur der Popzeitschrift Spex bleibt bei seinen Reflexionen auf #wirsindmehr, Mark Forster und Max Giesinger leider fest dem moralinsauren Diskurs verhaftet.

Der Text der Filmemacherin und Essayisten Noemi Schneider ist genreadäquat ein anekdotisches Zapping zwischen Postman und Hasselhoff. German Angst kann hier zweifelsohne diagnostiziert werden. Die Angst vor „Wahnsinns-Selbsterfahrung“ kann nur dazu führen, dass man sich selbst ankettet.

„Eine andre Sonne hell uns scheint“ heißt’s im Volkslied Kein schöner Land. Utopien flackern da auf inmitten der Nostalgie. Im Land der „Hateful Eight“ zeigt sich manchmal gar ein Doppelgestirn am Horizont, ein schönes Zeichen für fruchtbaren Wahn. Der kleinste gemeinsame Nenner, das bindende Glied in diesem heterokliten und dadurch umso notwendigeren Band ist der Begriff der „Irritation“. Die „Hateful Eight“ sind sanfter, als sie zunächst anmuten. Nicht Zerstörung fordern sie, sondern Verstörung. Das ist ein Anfang, ein Startschuss für Veränderung. Fuchtelnde Revolverhelden sind sie nicht, die acht, Schmauchspuren aber hinterlassen sie allemal.

Info

Kein schöner Land. Angriff der acht auf die deutsche Gegenwart Leander Steinkopf (Hg.), Quynh Tra, Simon Strauß, Katharina Herrmann, Lukas Haffert, Annekathrin Kohout, Daniel Gerhardt und Noemi Schneider C.H. Beck 2019, 255 S., 18 €

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ute Cohen

"Intelligenz lähmt,schwächt,hindert?:Ihr werd't Euch wundern!:Scharf wie'n Terrier macht se!!"Arno Schmidt

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