Schwingt euch auf

Sexismus #MeToo hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit bekommen, aber kaum etwas verändert. Wir sollten aufhören, darauf zu vertrauen und es selbst in die Hand nehmen!
Ausgabe 39/2019
Wir sollten uns nun aufschwingen zu Schöpfergöttinnen
Wir sollten uns nun aufschwingen zu Schöpfergöttinnen

Foto: Sarah Morris/Getty Images

Verheißungsvoll begann es, kraftvoll erblühte im Herbst 2017 #metoo, die blaue Blume des Internets. Harvey Weinstein, Hollywood-Mogul, stand am Abgrund. Sexuelle Gewalt und Missbrauch wurden publik. In einem mächtigen Sog verbanden sich Frauen unter einem Hashtag, der Grundstürzendes für eine auf Sexismus gebaute Gesellschaft verhieß. In einer idealtypischen romantischen Haltung erhofften sich Betroffene sexueller Gewalt Erlösung durch Solidarität und Sprache. Der Untergang des Patriarchats zeichnete sich deutlich ab am Horizont, nur eine Frage der Zeit schien die absolute Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Zwei Jahre später wirkt die blaue Blume welk und erste Kassandrarufe werden laut. Leanne Atwater, Soziologieprofessorin aus Houston, untersuchte in drei Studienabschnitten die Auswirkungen von #metoo auf die Arbeitswelt. Im ersten Teil stellte sich heraus, dass sowohl Männer als auch Frauen ganz konkrete, kaum differierende Vorstellungen von Belästigung am Arbeitsplatz haben. In zwei Folgestudien wurden Erwartungen an #metoo mit tatsächlichen Verhaltensweisen abgeglichen. Über zwanzig Prozent der Männer gaben an, nur widerwillig Frauen einstellen zu wollen, falls eine enge Zusammenarbeit erforderlich sei. Wiederum mehr als zwanzig Prozent wollten Treffen unter vier Augen mit Frauen vermeiden. Atwater wertete die Ergebnisse ihrer Studie als Rückschritt, als negative Nebenwirkung von #metoo. Ein Einzelner genüge schon, um die psychische Gesundheit von Frauen zu gefährden. Das ist eine Aussage, die einen romantischen Totalitarismus in sich birgt und Enttäuschung zwangsläufig mit sich führt. Der Bewegung tut man damit keinen Gefallen. Sinnvoller wäre es, das Paretoprinzip ins Gefecht zu führen, die altbekannte 80/20-Rule, gemäß der achtzig Prozent eines Ergebnisses mit zwanzig Prozent des Gesamtaufwandes erzielt werden, die restlichen zwanzig Prozent aber achtzig Prozent des Aufwandes erfordern. Konsequenz: Ein Hashtag allein revolutioniert noch nicht bestehende Verhältnisse. Eine positive Entwicklung hat er dennoch in Gang gesetzt, wie auch eine von der University of Colorado durchgeführte Studie bestätigt.

Wägt man die beiden Studienergebnisse ab, ergibt sich für uns alle eine Aufgabe, die neue Sicht-und Handlungsweisen erfordert. Als erstes sollten wir urromantische Vorstellungen und den Glauben an die allmächtige Veränderungskraft der Sprache getrost über Bord werfen. Der Verzicht auf die Axiome der Moderne zwingt uns noch lange nicht in eine postmoderne Ironie. Belächeln sollten wir #metoo auf keinen Fall, wohl aber ansiedeln in einer Metamoderne, in der das Pendel zwischen glühender Hoffnung und verzweifelndem Realismus hin-und herschwingt. Das wird dem zweischneidigen Sujet gerecht: In der Debatte geht es nicht nur um sexuelle Gewalt, sondern auch um die Urgewalt der Frau.

Neoromantik und einen pragmatischen Idealismus rufe ich aus! Die Selbstbefreiung der Frau erblüht nicht in einem Hirngespinst, sondern erfordert harte Arbeit, Kommunikation vor allem. Die zwanzig Prozent der Unbelehrbaren werden wir verführen zum Gespräch, zum Austausch, zur Konfrontation und Versöhnung. Anstatt uns als ewige Opfer und winzige Figürchen auf einer #metoo-Laundry-List zu sehen, sollten wir uns aufschwingen zu Demiurginnen, zu Schöpfergöttinnen, die sich blaue Blumen ans Revers stecken und Männer offen, im Tête-à-Tête, fragen: Wovor hast du Angst, mein Guter?

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Geschrieben von

Ute Cohen

"Intelligenz lähmt,schwächt,hindert?:Ihr werd't Euch wundern!:Scharf wie'n Terrier macht se!!"Arno Schmidt

Ute Cohen

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