Verschmähte Liebhaber sind ungemütliche Gesellen. Sie schwanken zwischen Hass und Liebe und stehen gelegentlich unvermittelt vor der Tür: „One way or another, I’m gonna find ya ...“ Was man Debbie Harrys Blondie und auch dem Ex nachsieht, verwundert bei Politikern doch. Wenn Renate Künast zweimal klingelt, fragt man sich, ob man nicht lieber die Zähne zusammenbeißen sollte, anstatt in die Tasten zu hauen. Die Gefahr ist groß, dass man als Hater abgestempelt wird und die Kompetenz zur Meinungsäußerung abgesprochen bekommt. Hass ist en vogue. Carolin Emcke zieht mit Gegen den Hass, Maxim Biller mit 100 Zeilen Hass und Künast jetzt mit Hass ist keine Meinung ins Feld. Das stärkste aller Abwehrgefühle erfährt einen inflationären Gebrauch. Hass elektrisiert, Hass verbündet, Hass stößt ab – Intensität, der wir alle hinterherhecheln, garantiert!
Während Emcke und Biller auf dem rhetorischen Hassspielplatz toben dürfen, muss sich die Politikerin mit der harten Wirklichkeit auseinandersetzen. Mit ihrem Ansatz, sogenannte Hater in der Wirklichkeit zu konfrontieren, ergreift sie eine Chance, verspielt sie aber zugleich. Sie setzt den aufgespürten Tätern die Hasskappe auf und gibt sie der Lächerlichkeit preis. Kurze Hosen, nackter Oberkörper und Vorgärtchen. Einer von ihnen macht sogar ein Selfie als „Beweis, dass er wirklich nüchtern war“. Das also sind die Hasser? Bild-Leser, denen eine gute Gouvernante sagt: „Sie lesen das Falsche“ und mit einem Hass-Tool zugleich Netiquette und Orthografie-Hilfe anbietet. „Ich weiß nicht, ob’s dagegen eine Tablette gibt“, sagt Künast im Deutschlandfunk. Sie pathologisiert damit ihre Gegner nicht nur, sondern spricht ihnen die Meinungsfähigkeit bereits im Titel ihres Buches ab. Durch die verkürzte Behauptung, Hass sei keine Meinung, verweigert sie sich dem selbst eingeforderten pluralistischen Diskurs. Und die Grüne verfängt sich im Definitionswirrwarr: Einerseits behauptet sie, „dass die Hass-Kommunikation im Netz nicht nur Emotionen, sondern auch Inhalte transportiert“. Andererseits stellt sie fest, „dass viele Posts im Kern gar keine Meinung transportieren, sondern Emotionen: Hass und Wut“. Sie verkennt dabei, dass nach neueren semantischen Theorien Gefühle, auch der Hass, Einfluss auf den Erkenntnisgewinn haben. Hass wird zur politischen Kategorie, die zur Stigmatisierung von Gegnern dient. Hate-Posts richten sich gegen „alle, die sich aktiv und öffentlich zu einer weltoffenen Gesellschaft bekennen“. Künast appelliert an ein populistisches Verständnis von Hass. Wenn Biller „virtuos“, „fundiert“ und „liebevoll“ hasst, warum gilt das nicht für Künasts Kommentatoren und Trolle?
Schäfchen und Wölfe
Künast beklagt die Unterschreitung des „Stammtischniveaus“ in vielen Kommentaren. Hass als Elite-Expression ist also akzeptabel, während die Plebs nur pöbelt? Intellektuelle Hater spürt die Politikerin im Netz nicht auf. Sie entdeckt nur zwei Arten von Hasskommentatoren: die von der Globalisierung Irritierten und rechte Agitatoren. Dass sich auch Bildungsbürger hart angehen und sogar mit „Waffengewalt“ (siehe etwa die Diskussion um die queeren „Beißreflexe“) bedrohen, übersieht sie. Die simple Aufteilung der Hater in verirrte Schäfchen und rechte Wölfe wirkt sich negativ auf Ursachenanalyse und Lösungsstrategien aus. Als Ursachen der Wut identifiziert Künast Globalisierung, Krisen und die Angst vor Migration und sozialem Abstieg, wobei sie gleichzeitig die Begründetheit dieser Ängste bestreitet. Die Verkennung der tatsächlichen Ursachen dieser Phänomene ließe Menschen zu Hatern werden, schreibt sie. Die Fehlleitung von Emotionen durch von Politikern im Netz vorgespielte Nähe spielt keine Rolle. Es sei „keine Erklärung, aus dem Affekt gehandelt zu haben, erst recht nicht mit der Begründung, sich dadurch besser fühlen zu wollen“. Deshalb vermag Künast bei der Problemlösung auch nicht auf das bestehende Rechtssystem, Selbstregulierung und Großmut zu vertrauen. Sie zweifelt juristische Entscheidungen zu Strafanzeigen, die sie wegen Beleidigung und Volksverhetzung erstattet hat, an.
Es scheint ihr geboten, auf zwei Ebenen gegen negative Emotionen und Kommentare im Internet vorzugehen: auf der Ebene des gesellschaftspolitischen Engagements einerseits und auf der Ebene der politischen Intervention und der rechtlichen Rahmensetzungen andererseits. Künast ermuntert zu einem neuen „Aufstand der Anständigen“, wobei unter Anstand hier in erster Linie politische Korrektheit verstanden wird: Wer sich an PC störe, der sage damit „faktisch“: „Das Grundrecht der Menschenwürde soll für bestimmte Menschen (...) nicht gelten.“ Ein mit dem Parteiprogramm konformer Sprachknigge für das Netz, der über den rechtlichen Rahmen hinausginge, würde aber zu einer ungleich größeren Gefahr für die Demokratie führen. Das von Timur Kuran, Ökonom und Professor für Politikwissenschaften an der amerikanischen Duke University, beobachtete Phänomen von „Private Truth“ und „Public Lies“ führt zu einer Abwanderung der Hasser in andere Foren. Anstatt scharfe Kommentare als Signal für die Bedrohung unserer Gesellschaft zu begreifen, fordert Künast, bei Grenzüberschreitungen sofort zu reagieren und „noch deutlich häufiger Strafanzeige gegen Hate Speech zu erstatten“.
Die Kritik am sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Rechtsdurchsetzung und Definition von Rechtswidrigkeit müsse Sache des Staates bleiben) ergänzt Künast durch eine Infragestellung der Meinungsfreiheit. Da sie eine direkte Linie zwischen Hasskommentaren und Hasstaten zieht, will sie Grauzonen durchdringen. Hater formulierten oftmals um Straftatbestände wie Beleidigung herum, äußerten keine Meinung und müssten deshalb durch Sprechcodes und Gesetze gebändigt werden. Eine Alternative zu Law and Order und PC-Netiquette findet sich beim Rechtsphilosophen John Rawls. Solange der Wert einer Grundfreiheit nicht so stark verringert wird, dass ein wirksamer Gebrauch dieser Freiheit unmöglich ist, kann auf der Basis der Gerechtigkeitsprinzipien keine inhaltliche Einschränkung der Redefreiheit gerechtfertigt werden.
Diese Erkenntnis erfordert Mut und Vertrauen in die Demokratie. Ein glattrasierter Diskurs tötet eine lebendige Gesprächskultur. Gegenbewegungen sind im Anmarsch. Die Dirtbag-Left-Bewegung, etwa die Macher des Podcasts Chapo Trap House in den USA, zeigt sich ungeschützt und derb. Das kann leicht zur Karikatur geraten. Wir brauchen eher einen Sack voll piksender Flöhe, vielleicht aber auch eine Frei-Schnauze-Bewegung, die Zorn und Wut zulässt, bis sich kläffende Köter frei nach Heine wieder in menschliche Wesen verwandeln.
Info
Hass ist keine Meinung. Was die Wut in unserem Land anrichtet Renate Künast Heyne Verlag 2017, 192 S., 14,99 €
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