Millennium Round - Durchbruch für den Markt total?

SOZIAL- UND UMWELTSTANDARDS Für die EU sind mögliche Handelsnormen eher taktisches Spielmaterial - für die meisten Entwicklungsländer vermutlich ein Wettbewerbsnachteil

Wir werden sicherstellen, dass grundlegende amerikanische Standards für fairen Handel, Umweltschutz und Arbeiterrechte auf der Tagesordnung stehen", kündigt die "Allianz für nachhaltige Arbeitsplätze und die Umwelt" - ein Zusammenschluss von rund 200 Gewerkschafts- und Umweltorganisationen - an. Das Thema internationale Sozialstandards wird in Seattle eine erhebliche Rolle spielen und ein Bündnis zwischen Umweltschützern, Entwicklungsorganisationen und Gewerkschaften schmieden.

"Die Leute, die dafür auf die Straße gehen, marschieren gegen die Chancen armer Länder, ihre Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen", poltert WTO-Chef Mike Moore, für den der Freihandel der Weg zu "mehr Menschenrechten" ist. Aber auch Martin Khor vom Third World Network, einer einflussreichen NGO in Malaysia, lehnt die Einrichtung einer WTO-Arbeitsgruppe zu Handel und Sozialstandards strikt ab. Ein entsprechender Vorschlag der US-Regierung vom Oktober werde "die Entwicklungsländer aufbringen und die Verhandlungen in Turbulenzen stürzen", prophezeit er. - Doch der Clinton-Regierung sitzen besonders die Gewerkschaften im Nacken, die Freihandel und WTO im allgemeinen und "Sozialdumping" im besonderen für den Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich machen. So fordert AFL-CIO-Präsident John Sweeney, die WTO möge "erzwingbare Regeln zum Schutz von Arbeiterrechten und Umwelt" vereinbaren, um zu verhindern, dass Entwicklungsländer durch Niedrig-Löhne oder ignorierte Umweltstandards Kosten- und damit Konkurrenzvorteile haben.

Angesichts unzureichender Arbeiterrechte, schwacher Gewerkschaften, von Ausbeutung und Diskrimierung in vielen Ländern des Südens wird die Debatte über internationale Sozial- und Arbeitsstandards seit langem heftig und kontrovers geführt. Wenn entsprechende Normen in Handelsvereinbarungen verankert werden, hoffen viele NGO und Gewerkschaften, könnte das nicht nur die rechtliche und soziale Situation in der betreffenden Staatengruppe beeinflussen, sondern auch das Ende von "Sozialdumping" und Unterbietungswettbewerb einläuten. Die Erfahrungen der USA mit bilateralen Abkommen, die Arbeitnehmerrechte zur Vorbedingung für einen bevorzugten Marktzugang erklären, schwanken indes zwischen "wirkungslos" und "gewisser Stärkung der Verhandlungsposition von Arbeiternehmervertretungen".

Neben diesem eher diffusen Bild erhitzt die Gemüter vielmehr, ob ausgerechnet die WTO der geeignete Ort für die Durchsetzung derartiger Standards ist. Die weitaus meisten Entwicklungsländer - und damit die Mehrheit der 135 WTO-Mitglieder - lehnen es vehement ab, der WTO Sanktionsmöglichkeiten einzuräumen, um globale Arbeitsnormen zu erzwingen. Zuständig dafür sei allein die Internationale Arbeitsorganisation ILO in Genf. Befürchtet werden der Verlust eines der wenigen Wettbewerbsvorteile wie ein Missbrauch der Standards für protektionistische Maßnahmen. Die USA haben bereits mehrfach den WTO-Streitschlichtungsmechanismus genutzt, um mit dem Hinweis auf "Umweltdumping" - also vermeintliche Wettbewerbsvorteile durch umweltschädigende Produktionsweisen oder Fangmethoden - Entwicklungsländer unter Druck zu setzen.

Trotz drohenden Ärgers mit den Regierungen des Südens möchte auch die EU - gedrängt vor allem von deutscher Seite - in Seattle eine Debatte über Sozialnormen auf die Tagesordnung setzen. Der transatlantische Schulterschluss in dieser Frage ist eine der wenigen Gemeinsamkeiten mit den USA in der anstehenden Welthandelsrunde. Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul (SPD) will damit dem reinen Freihandel Fesseln anlegen und zu "einer sozial orientierten Wirtschaftsordnung" beitragen. Allerdings geht es für die EU insgesamt wohl eher um taktisches Spielmaterial: Im Gegenzug für Konzessionen, die ihr wichtig sind, wie einer weiteren Liberalisierung bei Dienstleistungen, Banken, Telekommunikation oder Investitionen könnte sie die Kröte "Sozialstandards" fallenlassen.

Der Nord-Süd-Konflikt in Sachen Sozialstandards wiederholt sich im übrigen auch bei den NGO. Viele Gremien aus dem Süden wollen ebenso wenig wie ihre Regierungen, dass der WTO Themen "aufgezwungen werden, die mit Handel nichts zu tun haben". Die entsprechenden Forderungen verstießen "gegen die Interessen der Entwicklungsländer", postulieren Intellektuelle wie Martin Khor und Walden Bello vom Centre for the Global South in Bangkok, selbst wenn sie moralisch begründet seien. Außerdem werfen sie den Industrieländern Doppelzüngigkeit vor, wurden doch in der ILO längst Konventionen verabschiedet, die Rechte der Arbeitenden schützen sollen, Zwangs- und Kinderarbeit verbieten und Vereinigungsfreiheit oder das Recht auf gleiche Entlohnung zusichern. Allerdings haben viele Länder diese Konventionen bislang nicht ratifiziert, und die ILO besitzt keine Sanktionsgewalt - anders als die WTO. Es ist sind gerade diese Möglichkeiten der Welthandelsorganisation, die sie für Gewerkschaften und Nord-NGO attraktiv macht.

Während die Entwicklungsländer die Macht der WTO beziehungsweise ihre faktische Kontrolle durch Regierungen der Industrieländer und Multis fürchten, setzen sie gleichzeitig darauf, dass eine Regulierung des Welthandels im Prinzip den Schwächeren helfen könnte. So ist denn auch Michael Windfuhr von Germanwatch überzeugt, Anreize zur Einhaltung von Sozialstandards wie etwa Handelserleichterungen seien sinnvoller als Sanktionen.

Abgesehen von ihrem unterschiedlichen Urteil über Mindeststandards sind sich NGO aus Nord und Süd allerdings in ihrer Grundposition einig: Notwendig ist eine Bestandsaufnahme von Liberalisierung und WTO-Arbeit, vor allem im Hinblick auf die vielfältigen negativen Auswirkungen, die sie auf die Umwelt, ärmere Entwicklungsländer und sozial schwächere Gruppen, etwa im ländlichen Raum haben. Notwendig ist eine gründliche Reform, die mehr Transparenz, Demokratie und Rechenschaftspflicht gegenüber Parlamenten und UNO bringt. Bis dahin sollten überhaupt keine neue Themen auf die Tagesordnung gesetzt werden.

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