Hüften schwingen

Schwimmen II Worum es wirklich geht

Ein kleines Mädchen steht an einem Baum und brüllt. Es mag vier Jahre alt sein, trägt einen gestreiften Bademantel und ist so wütend, dass zwischen den Augenbrauen über der Nase eine kleine Wutbeule schwillt. "Du hast gesagt, du kommst gleich wieder", brüllt das Kind. Der Vater wedelt etwas hilflos mit den Armen. "Die ganze Zeit war ich alleine, ich hab auf dich gewartet und du bist nicht gekommen." Der Vater will trösten, will sie auf den Arm nehmen, aber Jule ist anderer Meinung, dreht sich um und geht Richtung Liegewiese, ein lärmender Kinderbademantel auf dem Weg in den Schatten. Irgendwie passen dramatische Szenen ins Freibad. Kinder, die nicht schwimmen lernen können, heulen, Chlorwasser saufen und schwören, das Freibad nie wieder zu betreten. Andere, die schließlich doch ihr Freischwimmer-Abzeichen bekommen: stolze Sieger. Verschrumpelte Finger und blaue Lippen, der erste Armbruch, Schwärmereien für ein sehniges Geschöpf aus der Klasse des älteren Bruders. Und immer fällt die Eistüte mit dem Eis nach unten in den Sand.

An einem heißen Sommertag mischen sich die Gerüche von Sonne, Chlor und Pommes. Wenn man genauer hinriecht, gibt es noch Gras und Holunderblüten, Sonnenöl, Haarspray und Parfüm. Auf der Liegewiese lassen sich zwei 16-Jährige nieder, eine blond, eine dunkel. Sie trocknen sich ab. "Gehen meine Haare so?" fragt die eine. Die andere nickt und lässt sich auf ein Handtuch mit Leopardenmuster sinken. Eine Klassenkameradin kommt mit einer Pommestüte vorbei.

"Was macht ihr hier", fragt sie.

"Schwimmen, sonnen und flirten."

"Wie - flirten?"

"Da haben uns eben immer welche ins Wasser geschmissen. War voll lustig."

Die mit den Pommes fingert in ihrer Tüte herum, scheint zwischen Neid und moralischer Verurteilung zu schwanken und verzieht sich. "Die kriegt wohl nie ´n Arsch", sagt die Blonde zur Dunklen. Sie seufzen. Zwei Jungen tauchen auf. Sie sind genauso alt wie die Mädchen. Also zu jung. Trotzdem voll cool. Der Mutigere stellt sich breitbeinig vors Leopardenhandtuch, zeigt seine Tattoos: "Ey, was macht Ihr heute Abend?" Seine Augen sind hinter der Sonnenbrille nicht zu sehen, sein Mund bleibt schmal. "Schlafen", die Angesprochenen schließen die Augen und beenden seine Vorstellung. Cool-sein allein reicht nicht, man muss auch etwas tun, was Mädchen gefällt. Lächeln zum Beispiel. Aber das weiß er noch nicht.


Am Becken versuchen Horden von Pubertierenden sich mit Arschbomben zu übertrumpfen. Sie nehmen Anlauf und springen so, dass die Mädchen, auf die sie es abgesehen haben, zwischen Flutwellen und Fontänen verschwinden. Danach rufen die Mädchen: "Mann, lass das!" und strahlen. Manchmal platzieren die Jungen ihre Sprünge so, dass grauhaarige Herren, die wie Lehrer aussehen, im Wasser untergehen. Wenn sie junge Löwen in der Serengeti wären und wir bei Expeditionen ins Tierreich, schöbe sich jetzt das Gesicht von Bernhard Grzimek ins Bild, er würde uns das Rudelverhalten der Raubtiere erklären. Die jüngeren Mädchen planschen im Wasser, balgen sich wie junge Katzen, juchzen und üben Unterwasserrolle. Sie warten auf ausgeglichene Proportionen und darauf, dass die Jungen etwas von ihnen wollen. Ein dicker 13-Jähriger schwimmt Bahn um Bahn. Er will dünner werden. Das ist nicht einfach, wenn man immer hungrig ist.

Zwischen Schwimmmeisterhäuschen und Beckenrand machen alle auf lässig. Pärchen zeigen einander vor, lehnen engumschlungen am Zaun, knutschen und müssen schließlich stehen bleiben bis sich wieder alles beruhigt hat. Jungencliquen sitzen mit den Beinen im Wasser, präsentieren flache Bäuche und Tattoos auf den Armen oder Schultern, Mädchen schlendern. Drehen die Hüften, schütteln ihr Haar, tragen knappe Bikinis und wollen nichts verheimlichen. Was für eine Verschwendung makelloser Haut. Wo bleibt das, wenn sie älter werden? Das fragen sich die beiden Damen Mitte 50 in den geblümten Badeanzügen vielleicht auch. Kopfschüttelnd bahnen sie sich den Weg durch einen Schwarm Teenies. Es ist schwer, sich an Krampfadern und Speckrollen zu gewöhnen. Jedenfalls wenn es die eigenen sind.

Der Bademeister läuft mit freiem Oberkörper herum. Natürlich. Goldkettchen, tiefbraune Haut, man kennt das. Wer will, kann den verblichenen Adonis noch ahnen und lernen, dass andauernder Müßiggang der Schönheit auch nicht dienlich ist. Der Mann lässt die Jungen vom Beckenrand springen, schlendert durch sein Revier, plauscht mit Frauen um die 30, die kleine Bikinis und abenteuerlustige Strähnchenfrisuren tragen. Überhaupt diese bunten Haare. Strohig wie alte Besen und immer ist himbeerfarbenes Rot dabei. Immer um halb sechs Uhr abends setzt der Bademeister sich auf seinen Aussichtsturm und isst eine Banane.

Auf der Liegewiese sind Ballspiele erlaubt. Am Bildrand hat sich eine löwenmähnige Blondine in ein Fußballspiel eingemischt, sie pariert, legt sich den Ball zurecht und platziert genau. Über der Frisur wippt eine Magenta-farbene Strähne, ihr Oberteil ist schwarz und spannt etwas. Sachsen-Anhalts Antwort auf Pamela Anderson spielt Fußball und trägt Shorts in Pastellfarben, die nie die Chance hatten, sich aufeinander abzustimmen.

Vorruheständler packen ein. Sie haben gummierte Decken dabei. Da bleibt die Liegefläche trocken und der Untergrund drückt nicht so. Auf so etwas kommt man erst, wenn man über 40 ist. Sie muss ihm beim Zusammenlegen helfen, er ist nicht geübt. Man weiß auch nicht, warum die Frauen dieser Generation ihren Männern so große Shorts kaufen. Er sieht zu, wie sie alles zusammenräumt, zieht einen Hornkamm aus der Gesäßtasche und kämmt das verbliebene Haupthaar.

Zwei Jungen zwischen 18 und 20 tauschen jetzt Nummern mit der Blonden und der Dunklen vom Leopardenhandtuch, die werden direkt ins Handy getippt. Keiner lächelt, sie tauschen die Nummern wie Briefmarken. Die Mädchen sehen den Jungs nur kurz hinterher. Langsam packen sie zusammen, benutzen sich als Spiegel, ein kurzes Nicken, die Haare sind ok. Mit schwingenden Hüften geht´s nach Hause. Die Sommerferien sind noch lang. Mal sehen, wer morgen am Leopardenhandtuch steht.


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