Gewiss sind die einschlägigen Sendungen an den Abenden von Landtagswahlen dem Unterhaltungsfernsehen zuzurechnen. Eine qualifizierte Minderheit sieht sich davon besser unterhalten als etwa von jenen Darbietungen, die das Wort Volksmusik seiner wahren Bedeutung beraubt haben. Und wenn nicht besser, so jedenfalls anders als vom Fußball.
Es wundert einen schon, dass die Parteien gerade nach dem angedrohten harschen Eingriff ins liebe Sponsoring noch nicht darauf gekommen sind, die Rechte an den Meistbietenden zu verkaufen.
Die hauptsächlichen Elemente solcher TV-Kurzweil sind: Der Auftritt von Stars und solchen, die sich dafür halten; eine gewisse Spannung hinsichtlich des Ausgangs der Großen Saalwette und der Auswertung der Aufgaben "draußen im Lande"; die Nickligkeiten der Prominenten untereinander, der Interpretationswettstreit; die Ellenbogen am Stehtisch; das Outfit der Kandidaten.
Nun aus Sachsen-Anhalt. Sachsen-Urwald, hören wir, sagen die im Rahmen der Reconquista dorthin entsandten oder freiwillig auf Pirsch befindlichen neuen Mitbürger aus dem Westen unserer Heimat. Da ist ihnen, mit Verlaub, nicht sehr viel eingefallen. Wenigstens auf Sachsen-Unhold, nämlich nicht hold, hätten sie kommen können.
Sachsen-Anhalt, hieß es in den diversen Vorschauen, sei ein Land, welches mit schier unüberwindlichen Identifikationsproblemen zu ringen habe. Tatsächlich ist es schwierig, sich die Rübensteppe der Börde, die Leipziger Vorstadt Halle, die Jessener Tundra und Heines Harzgebirge unter einen Trachtenhut zu denken; tatsächlich wunderte sich unsereins 1949 schon einmal über die Erscheinung des Nichtfischnichtfleisch-, nicht Sachsen/ nicht Brandenburg-Landes. Und wer das Magdeburger Deutsch vernimmt, ein Idiom, changierend zwischen diesem und jenem, möchte darauf auch nicht unbedingt einen weiteren deutschen Stamm gründen.
Obwohl Edmund der Bayer das Seine getan hat, und die Bewohner des Verwaltungsdistrikts aus München her liebevoll anredete: "Liebe Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter!" Seither darf man gespannt sein, ob er gelegentlich das Wort Mecklenburg-Vorpommerinnen über die Lippen bringen wird.
Der Kanzler redete seine anhaltischen Leute bei letzter Gelegenheit vor der Abstimmung nach Gutsherrenart an: Macht das nicht! Gemeint war offenbar, was sie nachher doch machten. Und was bei ihm auf einem Zettel in der Hosentasche stand, sonst aber längst als Menetekel an allen Wänden.
Das Wahlverhalten wurde nicht von der Sorge um Identifikation bestimmt, obsolet in einem Zeitalter, in welchem die Provinzen und Landschaften hastdunichtgesehen durchfahren, überflogen sind, sondern - vernünftigerweise - von der eigenen wirtschaftlichen Situation am persönlichen Wohnort.
Die dazu gehörigen Zahlen und die Folgen davon in Zahlen kann man derzeit im Detail überall nachlesen oder hören. Rund 20 Prozent Arbeitslosigkeit über zwei Legislaturperioden hinweg, neuerdings gepaart mit der Euro-Teuerung, Aussichtslosigkeit dazu, wurden nun folgerichtig dem acht Jahre tapfer, aber glücklos regierenden Reinhard Höppner (vom Kanzler zuletzt "der Reinhard" genannt) angeschrieben.
Die SPD moralisch halbiert, die CDU in gleicher Weise verdoppelt; die PDS um einen Hauch verbessert, also bestätigt, und damit zweitstärkste Partei im Lande; die FDP immerhin in Sichtweite der fabelhaften Möllemann-18.
Franz Müntefering war zu diesem Ergebnis etwas eingefallen, was ihm so gut gefiel, dass er es mehrfach vortrug. Wir werden, sagte er, jetzt den Helm fester schnallen. Da er dabei sicher nicht an Mopedfahren dachte, hätte er ruhig sagen können: das Schwert fester packen. Auffallend, dass drei Standardformeln fehlten, die in dieser Reihenfolge sonst gern als Ausweichmanöver, als Beschwörung und als Selbstberuhigung verwendet werden: "Dieses muss in den Gremien beraten werden / Der Wähler hat uns einen klaren Auftrag erteilt / Das sind vornehmlich Protestwähler."
So klar war das Ergebnis, dass es keines Ausweichens, Beschwörens und Beruhigens bedurfte. Klar schon, aber was bedeutet es?
Ein geringes Maß an Parteiverbundenheit, sagt Franz Müntefering, der diese Art Treulosigkeit schon früher als Charakteristikum der Ostwähler herausgefunden und beklagt hat. Gott ja, einen besonders großen Schreck jagt er damit dem zur Urne schreitenden Ossi nicht direkt ein. Das hat der hinter sich.
Es bedeutet, dass die CDU ungeachtet des nie aufgeklärten Systems Kohl für sehr viele Leute wieder wählbar ist. Sei es auf das schlechte Gedächtnis zurückzuführen oder darauf, dass die Menschen es nunmehr ganz und gar aufgegeben haben, die Politik außer für eine Dienstleistungs- auch noch für eine moralische Anstalt zu nehmen. Motto: Eh egal! Oder wie Klein Ernas Mutter sagt: Sie sollen ihr nicht riechen, Herr Doktor, sie sollen ihr heilen. Allerdings begeht einen schweren Irrtum, wer aus der rasanten Hinwendung zu dem stattlichen Wittenberger Geburtshelfer Professor Böhmer auf ähnlich dimensionierte Sympathie für den Politbürokraten aus München schließt.
Es bedeutet das Ende des Modellversuchs Magdeburg. Das Scheitern des Magdeburger Modells, das gerade Sozialdemokraten fast frohlockend konstatierten, bedeutet es gerade nicht. Es liegt in der Natur von Modellen, dass sie erstens nicht von Ewigkeit sind und dass zweitens alle ihre abrechenbaren Ergebnisse den Versuch schon rechtfertigen.
Die PDS steht vor der Fein- und Tiefenprüfung, ob sie in künftigen vergleichbaren Situationen wieder den undankbaren Part der Tolerierung übernehmen soll, der begrenzten Einfluss bei weniger begrenzter kritischer Inanspruchnahme bedeutet, immerhin aber den Rechtsschwenk in Sachsen-Anhalt (und via Bundesrat in der Republik) spürbar behindert hat. Die schwer geschlagenen Magdeburger Sozialdemokraten sollten nicht außer Acht lassen, welchen Anteil an der ausschlaggebenden ökonomischen Misere wohl die tolerierende PDS und welchen die Politik der uneingeschränkten Solidarität der Berliner Regierung hat, die just Teile des Nationaleinkommens verpulvert, indem sie am Horn von Afrika eine Kriegsflotte unterhält, um dort des Weges kommende Terroristen (vermutlich auf Dschunken) zu stoppen.
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