Ein Gedankenspiel: Nehmen wir an, Angela Merkel hätte die Bundestagswahl 2005 im Bündnis mit der FDP gewonnen. Gehen wir davon aus, der designierte Koalitionspartner wäre mit einem veritablen Watergate belastet gewesen, da er Computerfestplatten der SPD-Wahlkampfzentrale ausspioniert hatte. Gleich nach der Amtsübernahme fiele außerdem ein frisch ernannter Minister dadurch auf, 16 Jahre aus Überzeugung keine GEZ-Gebühren gezahlt zu haben. Ein weiterer müsste einräumen, jahrelang schwarz bezahltes Dienstpersonal beschäftigt zu haben. Als Rechtfertigung würde er obendrein seine angeblich ärmlichen Verhältnisse anführen, obwohl er über ein üppiges Familieneinkommen verfügt und mit unversteuerten Aktiengewinnen ein Ferienhaus auf der Kanalinsel Jersey finanziert hat. Beide Minister müssten wohl nach wenigen Stunden im Amt zurücktreten. Dennoch wäre Merkel unumstritten und würde sogleich neoliberale Arbeitsmarktgesetze ankündigen. Währenddessen bliebe die SPD politisch völlig handlungsunfähig. Klingt unwahrscheinlich? Mag sein, doch genau das hat sich in Schweden in den vergangenen Monaten vor und nach dem Sieg der bürgerlichen Allianz bei den jüngsten Reichstagswahlen zugetragen.
Frederick Reinfeldt, neuer Ministerpräsident und Chef der Moderaten Sammlungspartei, sitzt fest im Sattel. Schließlich ist der Erfolg seiner Allianz beim jüngsten Urnengang trotz des schwedischen Watergates deutlicher ausgefallen, als die Auguren vorhergesagt hatten (s. Übersicht). Auch die umgehenden Demissionen der Ministerinnen für Handel und Kultur haben der Regierung nicht ernsthaft geschadet. Es gelang ihr, drei Tage vor Heiligabend eine "Gesetzesreform des Arbeitslosengeldes" durch den Reichstag zu bringen, die damit schon zum Jahreswechsel in Kraft treten konnte. Landesweite Massenproteste der großen Gewerkschaftsverbände hatten zuvor nur unwesentliche Änderungen an dem Reformpaket bewirken können.
Kürzen statt fördern
Im Wahlkampf hat Reinfeldt seine Konservativen wiederholt als "neue Arbeiterpartei Schwedens" gepriesen, nun lässt er die Katze aus dem Sack. Statistisch sei bewiesen, meint der Premier, dass Arbeitlose, die weniger staatliche Zuwendung empfangen, leichter eine Beschäftigung finden. Diesen Geist atmet das Reformpaket: Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung werden erhöht und können zugleich nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden. Dadurch müssen die Beschäftigten eine Mehrbelastung von insgesamt etwa 1,1 Milliarden Euro im Jahr schultern. Weiterhin werden das Arbeitslosengeld gekürzt und seine Bezugsdauer gesenkt. Das Leistungsniveau während der ersten 200 Tage Arbeitslosigkeit beträgt seit Januar 80 Prozent des bisherigen Lohns, in den nächsten 100 Tagen danach aber nur noch 70, dann nur noch 65 Prozent. Alleinstehende können diese Unterstützung nur noch 300 Tage beanspruchen, Menschen mit Kindern maximal 450 Tage. Wer nach dem Studium erwerbslos bleibt, erhält künftig kein Arbeitslosengeld mehr; Teilzeitbeschäftigte müssen deutliche Abstriche hinnehmen. Damit vermindert sich auch die bisherige neunzigprozentige Kofinanzierung der Arbeitslosenkassen aus Steuermitteln.
Die neue Regierung glaubt, die Motivation zur Arbeit lasse sich vorrangig fördern, indem Erwerbslosen weniger Geld ausgezahlt wird - und nicht, indem man ihnen Integrationsangebote macht. Folgerichtig investiert sie weniger in die aktive Arbeitsmarktpolitik. Erste Hochrechnungen der Sozialdemokraten haben ergeben, dass die geplanten Kürzungen bei der Weiterbildung, der öffentlich finanzierten Beschäftigung für Langzeitarbeitslose und den Maßnahmen für Arbeitslose über 50 dieses Jahr fast 50 Prozent des gegenwärtigen Budgets ausmachen werden. Um dieses Paket überhaupt verkaufen zu können, sollen nun auch die unteren Einkommensschichten von der geplanten Einkommenssteuerreduktion in Höhe von 4,3 Milliarden Euro profitieren.
Erklärtes Ziel dieser Reformen ist es, zahlreiche neue Arbeitsplätze zu schaffen. Der Regierung kommt dabei zugute, was der Chef der Arbeitsverwaltung schon Anfang Dezember mitgeteilt hat: Nach derzeitigen Prognosen werden 2007 und 2008 ohnehin jeweils 90.000 neue Jobs entstehen. Reinfeldt dürfte das wider besseren Wissens als Erfolg seiner Reformen ausgeben.
Flügellahme Sozialdemokratie
Damit vollzieht die neue Administration einen deutlichen Bruch mit der schwedischen Tradition von Arbeitsmarktpolitik. Sie profitiert dabei vom Fehlen eines starken politischen Gegners. Alle Oppositionsparteien verdauen noch immer das Wahlergebnis vom vergangenen Herbst, und den Sozialdemokraten fehlt derzeit ein Vorsitzender. Göran Persson ist zurückgetreten, nachdem seine Partei trotz ausgezeichneter Wirtschaftslage und niedriger Arbeitslosigkeit ihr schlechtestes Resultat seit Einführung des allgemeinen Wahlrechts eingefahren hatte. Bis zum Frühjahr wird er ohne Einfluss und Ambition geschäftsführend im Amt bleiben; eine lame duck als Oppositionsführer. Dabei müssten die Sozialdemokraten gerade jetzt den Schulterschluss mit den Gewerkschaften erneuern, die derzeit als einzige Widerstand gegen die Reformen der Regierung leisten. Doch die Arbeiternehmervertreter werden ihre wahre Stärke erst in der anstehenden Lohnrunde beweisen können. Immerhin sind großen Teilen der Wechselwähler recht bald die Augen aufgegangen, wovon nicht zuletzt die riesige Resonanz auf den Gewerkschaftsaufruf zu Massenprotesten kündete. Und in den Meinungsumfragen ist die Regierungskoalition schon im Dezember deutlich abgestürzt - so schnell wie keine ihrer Vorgängerinnen in den vergangenen Jahren.
Ergebnis der Parlamentswahlen vom 17. September 2006
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