Zoff um Zertifikate

Klimahandel Hinter den Kulissen streiten die Stromkonzerne über ihren Anteil an Emissionsrechten - untereinander und gemeinsam gegen die Bundesregierung

Ob er kalt wird oder eher gemäßigt, wissen wir noch nicht. Aber klimapolitisch wird der kommende Winter auf jeden Fall ein heißer. In Deutschland und anderen europäischen Ländern ist schon jetzt ein harter Kampf um beste Startpositionen in einem System entbrannt, das bislang nur von wenigen wahrgenommen wurde. Der Stein des Anstoßes heißt "Emissionshandel". Angestoßen wurde er durch die Europäische Kommission in Form einer für die Mitgliedsländer verbindlichen Richtlinie, die eine Lawine von Klagen ins Rollen bringen könnte. Gekämpft wird dabei um Papiere, um Zertifikate, die bescheinigen, dass man eine bestimmte Menge des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in die Luft blasen darf.

Angefangen hat alles 1997 in der alten japanischen Kaiserstadt Kyoto. Nach dem dort unterzeichneten Protokoll soll die Europäische Union bis 2012 gegenüber 1990 acht Prozent weniger Klimagase ausstoßen. Innerhalb der EU sind diese acht Prozent auf alle Mitgliedsstaaten aufgeteilt worden. Der Bundesrepublik wurde dabei eine Emissionsminderung von 21 Prozent CO2-Äquivalent zugewiesen. Deutschland fehlen zur Zielerfüllung momentan noch knapp drei Prozent. Der Europäischen Union ist insgesamt aber bislang nur eine Reduktion von mageren 2,2 Prozent gelungen. Das ist halb soviel wie nötig wäre, um ihm Fahrplan zu bleiben. Die Gemeinschaft möchte nun mit wirtschaftlichem Druck im Klimaschutz Dampf machen. Ab 2005 erhalten bestimmte Energie- und Industrieanlagen von den Mitgliedsländern handelbare Rechte zum Ausstoß von Kohlendioxid (siehe Kasten), die ihnen zwar kostenlos zugewiesen werden, aber im Umfang begrenzt sind.

Schon längere Zeit sind Umweltökonomen angetan vom theoretischen Ansatz des Emissionshandels. "Die umweltpolitisch vorgegebene Menge an Zertifikaten ist ein Deckel", sagt Felix Matthes, Energieexperte des Öko-Instituts Berlin. "Damit kann, im Gegensatz zur Ökosteuer, deutlich genauer beeinflusst werden, in welchem Umfang Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen", so der Wissenschaftler. Der Emissionshandel hat zudem ökonomischen Witz: Umweltschutz soll billiger werden. Denn wer seine Emissionszertifikate nicht ausnutzt, darf sie anderen Teilnehmern am Handelssystem verkaufen. Käufer wären die Umweltsünder, die ohne zusätzliche Rechte empfindliche Strafen für die Überschreitung der erlaubten Emissionen zahlen müssten. Jeder Unternehmer kann sich somit ausrechnen, ob es günstiger wird, auf emissionsarme Technologien umzurüsten oder für Emissionsrechte zu bezahlen. "Somit wird Klimaschutz bilanzwirksam - eine neue Qualität", erläutert Matthes.

Das alles klingt vernünftig, ja sogar elegant. Bisher wurde so etwas aber in dieser Dimension noch nie in der Praxis erprobt. In der EU-Richtlinie werden deshalb Emissionszertifikate zunächst nur für CO2-Emissionen eingeführt. Die sind immerhin für mehr als 80 Prozent des Wärmetriebs aller Treibhausgase verantwortlich. Außerdem wird nur knapp die Hälfte des EU-weiten CO2-Ausstoßes dem System unterliegen. Kraftwerke und energiefressende Industrieanlagen fallen unter die Richtlinie, nicht aber Autos oder etwa Heizungen für Wohnanlagen.

Trotz des eingeschränkten Modells handelt es sich immer noch um ein kolossales Gebilde, das mit sogenannten Nationalen Allokationsplänen (NAP) umgesetzt werden soll. Auch die Bundesregierung muss der EU-Kommission bis Ende März nächsten Jahres schlüssig darlegen, wie Deutschland die noch vorhandene Lücke von 33 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent zur Erfüllung des nationalen Minderungsziels zu schließen gedenkt. Das Kabinett wird zu entscheiden haben, wie viele Emissionsrechte die circa 4.000 betroffenen Anlagen erhalten sollen. Indirekt sind auch die Sektoren betroffen, die nicht unter die Richtlinie fallen. Denn was Industrie und Stromversorger nicht schultern, müssen Verkehr, private Haushalte und Dienstleistungssektor leisten. Und diese Einsparziele jenseits des Emissionshandels werden von der Kommission ebenfalls geprüft. Gesetzestexte oder mit Haushaltstiteln untersetzte Maßnahmen, beispielsweise zur Wärmedämmung, will sie sehen, nicht leere Versprechungen.

Aus der Aufteilung der CO2-Minderungsziele auf alle Sektoren ergibt sich der Gesamtumfang der Emissionsrechte für die Anlagen. Für "Neueinsteiger" wird noch eine Reserve abgezogen; anschließend geht es darum, welche Anlage konkret wie viele Zertifikate erhält. "Und das", prognostiziert Felix Matthes, "wird ein blutiges Geschäft". Denn für die Anlagenbetreiber sind die CO2-Zertifikate bares Geld. Den späteren Handelspreis schätzt die EU-Kommission auf 13 bis 26 Euro je Tonne. Für Deutschland wären das nach Schätzungen des Öko-Instituts bis zu fünf Milliarden Euro. Das weckt Begehrlichkeiten.

Regine Günther, Energieexpertin der Umweltstiftung WWF Deutschland, sitzt seit zwei Jahren in einem Gremium des Bundesumweltministeriums, das die Einführung des Systems beratend begleitet. Dort sieht sich die Umweltfachfrau fast 150 Vertretern der Wirtschaft und ein paar Beamten aus Bund und Ländern gegenüber. Nach einer mehrheitlich beschlossenen Empfehlung aus diesem Kreise soll die Erstausstattung mit Zertifikaten auf der Basis von Emissionsdaten aus den Jahren 2000 bis 2002 nach der Faustformel "Ausstoß minus Einsparziel" durchgeführt werden.

Über die Details entscheidet jedoch eine sogenannte Staatssekretärsrunde. Alle 14 Tage treffen sich keine Geringeren als die fünf großen Energieversorgungsunternehmen, der Bundesverban der Deutschen Industrie (BDI) und ein paar andere Verbände der Wirtschaft mit den beiden Staatssekretären Baake (Umwelt) sowie Adamowitsch (Wirtschaft). Für Regine Günther widerspricht diese Kungelei klar "dem Transparenzgebot der Emissionshandelsrichtlinie". Unter Insidern wird allerdings schon geunkt, der erlauchte Zirkel könnte bald wieder auseinander fliegen. Denn gerade bei der Erstausstattung mit Emissionsrechten lauert eine Menge Unversöhnliches. So werden diejenigen Unternehmen, die schon klimapolitische Vorleistungen erbracht haben, bei einer strikt auf historische Daten basierenden Vergabe für ihre höhere Energie-Effizienz bestraft. Schließlich könnte, wer sich bis jetzt vor CO2-Reduzierungen gedrückt hat, nun mit Klimaschutzinvestitionen Kasse machen. Die Richtlinie hat dafür zwar grundsätzlich eine Lösung. Solche Vorleistungen, sogenannte "early actions", könnten auf nationaler Ebene berücksichtigt werden. Doch nach welchen Kriterien und in welcher Höhe dies geschehen soll, ist weitgehend offen.

Der ostdeutsche Stromversorger Veag beispielsweise, der mittlerweile zum schwedischen Konzern Vattenfall gehört, steckte in den neunziger Jahren rund neun Milliarden Euro in die Sanierung und den Neubau seines Kraftwerksparks. Die Konkurrenz von RWE, EON oder EnBW wird dagegen erst in den kommenden Jahrzehnten große Ersatzinvestitionen vornehmen müssen. Klar, dass Vattenfall heftig dafür kämpft, "early actions" mit zusätzlichen Zertifikaten zu belohnen. Ebenso klar, dass die Wettbewerber dagegen halten.

Die Branche belauert sich auch wegen ihres unterschiedlichen Profils bei der Stromerzeugung. Vattenfall produziert 60 Prozent seines Stroms aus Braunkohle - im Vergleich zu anderen Versorgern ein deutlich höherer Anteil. Bei der Verbrennung von Braunkohle wird aber viel mehr CO2 durch die Schornsteine gejagt als bei Steinkohle oder Gas. Der Emissionshandel könnte also die ostdeutsche Stromwirtschaft benachteiligen. Auch RWE, EON und EnBW haben nicht denselben Strom-Mix. Für Wolfgang Reiche vom Gesamtverband des deutschen Steinkohlebergbaus steht deshalb fest: "Die Antwort auf die Frage, wer baut in Deutschland das nächste Stein- und Braunkohlenkraftwerk, wird erst nach dem Nationalen Allokationsplan möglich sein".

Die zerstrittenen Energiekonzerne wollen aber auch einen gemeinsamen Deal durchbringen. Wenn nach dem Atomkonsens schrittweise die weitgehend CO2-freien Atomkraftwerke vom Netz gehen, dann müssen, so argumentiert die Stromwirtschaft, im Gegenzug einige neue Gaskraftwerke gebaut und bestehende Kohlekraftwerke hochgefahren werden. Die Menge der emittierten Treibhausgase würde demnach steigen. Deshalb fordert die Branche zusätzliche Zertifikate als Kompensation.

Industrie und Stromversorger haben noch weitere Forderungen zu Lasten ihrer Selbstverpflichtung aus dem Jahre 2001. Damals hatten sie sich gemeinsam zu Einsparungen in Höhe von 45 Millionen Tonnen weniger CO2 bis 2010 gegenüber 1998 bekannt. Diese Verpflichtung sollte auch als Rechenbasis für die Verteilung der Zertifikate dienen. Davon wollen die Wirtschaftskapitäne nun nichts mehr wissen. Bis heute haben sie dieses Volumen mit dubiosen Abschlagsforderungen auf unglaubliche drei Millionen Tonnen herunter gerechnet.

Wenn sich die Bundesregierung diesen Industriewünschen beugt, müssten die anderen Sektoren Verkehr, Dienstleistungen und private Haushalte bedeutend mehr Einsparungen bringen als bislang geplant. Was das heißen würde, haben Öko-Institut und WWF durchgerechnet: Weiterführung der Ökosteuer mit jährlichen Erhöhungen bis 2008, Verdopplung der geplanten LKW-Maut und ein zwei Milliarden Euro schweres Wärmedämmungsprogramm. "In den Größenordnungen und bei der Haushaltslage ist das Phantasie", sagt Regine Günther. Die Bundesregierung kann sich also kaum darauf einlassen, einer kastrierten Selbstverpflichtung der Wirtschaft zuzustimmen - es sei denn, die Klimaziele werden in den Wind geschrieben.

Auch die Gewerkschaften dürfte ein gewisses Unbehagen plagen. Denn die Verlagerung von Industrieanlagen ins außereuropäische Ausland wird mit dem Emissionshandel auch noch honoriert: Die zugeteilten Zertifikate können die Unternehmen nach der Fahnenflucht versilbern. Die Liste der Probleme und Unwägbarkeiten ließe sich fortsetzen. Sicher ist nur, dass es kein Zurück gibt und sich bis zum Frühjahr die Verteilungskämpfe verschärfen werden. Vielleicht spricht sich das neue Handelssystem wenigstens dadurch herum.


Branchen, Grenzen, Strafen

Das System des Emissionshandels startet in der EU ab 1. Januar 2005. Es bezieht sich auf Industrieanlagen und Kraftwerke. Den Betreibern wird eine bestimmte Menge an Kohlendioxid-Emissionsrechten zugeteilt. Obergrenzen müssen nicht zwingend durch einzelne Anlagen selbst eingehalten werden. Zusätzlich benötigte Emissionsrechte kann ein Anlagenbetreiber von einem anderen kaufen, der weniger Klimagase emittiert als er Emissionsrechte zugeteilt bekommen hat. Bei einer nicht durch Emissionsrechte gedeckten Überschreitung werden Geldstrafen fällig: 40 Euro pro Tonne CO2 in der Pilotphase 2005 bis 2007 sowie 100 Euro pro Tonne im Zeitraum bis 2012.

Unter die Richtlinie fallen - in Abhängigkeit von der Kapazität - Anlagen der Energieerzeugung, der Eisen- und Stahlindustrie, der mineralölverarbeitenden Industrie sowie der Papier- und Zellstoffherstellung. Betriebsstätten der Chemie- und Aluminiumindustrie können beginnend mit der zweiten Periode ab 2008 in das Handelssystem einbezogen werden. Verkehr, Dienstleistungen und private Haushalte werden nicht vom Emissionshandel erfasst.

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