Alphaweibchen röhren nicht

Eventkritik Wie kommen Spitzenfrauen in den Medien vor, wenn sie denn überhaupt erscheinen? Das Podium über eine aktuelle Studie wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt

Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast mahnt zur Gelassenheit. „Wir sind nah dran“, sagt sie. Sie meint die Frauen und die Macht. „Also, wir sind ganz schön weit.“ Doch sind alle im großen Louise-Schroeder-Saal des Roten Rathauses in Berlin am Montagmorgen weit von Hysterie entfernt – jedenfalls was die Frage angeht, ob und wie Spitzenfrauen in den Medien vorkommen. Die „Spitzenfrauen im Fokus der Medien“ sind das Thema, vorgestellt und auf dem Podium diskutiert wird eine Studie der Freien Universität zusammen mit der Leuphana Universität Lüneburg.

Verzweifeln lässt freilich bisweilen die Art, wie wiederum dieses „Ob“ und „Wie“ diskutiert wird. Die Spitzenfrauen in der Politik mögen einer geschlechtergerechten Darstellung nah gerückt sein. Moderatorin Gundel Köbke ist offenbar dennoch entschlossen, daraus eine einfühlsame Erzählung weiblichen Überlebenswillens inmitten der tosenden Männerelemente zu stricken. Der politische Journalismus sei eine „harte Männerdomäne“, raunt Köbke und wendet sich an die langjährige Politjournalistin Ferdos Forudastan: „Wie haben Sie es geschafft, dort ernst genommen zu werden?“

Rückschritt im Fortschritt

Ein hübscheres Beispiel dafür, wie Rückschritt im Fortschritt funktionieren kann, gab es lange nicht mehr. Dankenswerterweise verweigert die Radiofrau Forudastan die Antwort. Auch Künast und die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger, haben zuvor bereits überdeutlich gemacht, dass sie nicht bereit sind, Schwänke aus dem Alltag eines Opfers beizusteuern. Lieber wollen alle darüber reden, was eigentlich die Spitzenfrauen-Studie der Professorinnen Margreth Lünenborg und Jutta Röser für Erkenntnisse gebracht hat. Ist es denn überhaupt wahr, fragt Allmendinger, dass Kanzlerin Angela Merkel den für Frauen reservierten Aufmerksamkeits-Anteil der Medien absaugt, weil sie Frau ist?

Die Darstellung Lünenborgs legte es nahe: Mit Merkel, erklärt sie, habe eine neue Zeitrechnung begonnen. Die Kanzlerin sei „medial omnipräsent“, sie „verändert grundlegend die Wahrnehmung“ davon, wie weit Frauen kämen und was sie könnten, sagt die Journalistik-Professorin. Doch sei die Kanzlerin im sechsmonatigen Untersuchungszeitraum eben auch „einsame Spitze“: Aus dem 2008er Kabinett werde sie mit Abstand am meisten in den untersuchten Medien genannt. Doch nach ihr auf der Nennungs-Liste kämen erst einmal sieben Minister von Außen über Wirtschaft bis Verkehr – und dann erst die fünf Ministerinnen. Eine derart klare Sortierung nach Geschlecht könne nicht allein in der Bedeutung der Ressorts liegen.

„Der Merkelfaktor ist der Kanzlerfaktor“, hält Allmendinger dagegen. Um zu ermessen, ob Merkel von den Medien anders behandelt werde, weil sie Frau statt Mann sei, müsse ein Vergleich her mit Gerhard Schröder, nicht mit dem Rest des Merkel-Kabinetts von 2008. Im übrigen seien ja die Ressorts bereits „gegendert“ – will heißen, die Aufmerksamkeitszumessung liegt nicht eher an der Frau als an ihrem Haus, sondern am Geschlecht des Hauses, das dieses je nach Führung annimmt. Allmendinger ist eben gelernte Soziologin.

Hinkende Vergleiche

Auch die Sache mit der für Frauen reservierten Aufmerksamkeit hakt schon nach einmaliger Nachfrage. Lünenborg schildert, dass ein Vergleich der Nennungen von politischen Spitzenfrauen gegenüber der Schröder-Ära ergeben habe, dass Merkels Prominenz den Frauenanteil bloß um zwei auf 30 Prozent angehoben habe. Da Merkel jedoch von den Nennungen allein 18 Prozent beansprucht, ist der Anteil der anderen Frauen demnach eher gesunken. Das wäre fatal. Andererseits: Dieses Vergleichsergebnis beruhe bloß auf Stichproben, gibt Lünenborg zu. Ausgerechnet mit der so interessanten Vermutung vom Verdrängungseffekt „sind wir deshalb vorsichtig, weil sie auf einer vergleichsweise dünnen Datenbasis beruht.“

Da wandern die Augenbrauen auf dem Podium weit nach oben. Kann es sein, dass ein paar tapfere Kommunikationswissenschaftlerinnen tatsächlich zwei Jahre lang, unterstützt vom Bundesforschungsministerium sowie vom Europäischen Sozialfonds, 13 Zeitungen und Zeitschriften sowie vier Fernsehsender ausgewertet und dabei 57.000 Personen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft nachgespürt haben – um dann bei der ersten echt heißen These den, nun ja, den Schwanz einzuziehen?

Möglicherweise erweist sich am Gegenstand bloß, dass der Abbildung von Geschlechtsrollen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft nur schwer mit Nennungs-Zählung und Wort-Wolkenbildung beizukommen ist. Welche Botschaft steckt darin, dass der damalige Außenminister und zwischenzeitliche SPD-Chef Frank-Walter Steinmeier tatsächlich als „Alphatier“ und „Löwe“, aber auch „Fußballfan“ bezeichnet wurde, während für Merkel bloß so dürre Worte wie „Führungsfrau“, besten- beziehungsweise schlimmstenfalls das ewig unpassende „Mutti“ zur Verfügung zu stehen schienen? Ist das tatsächlich diskriminierend?

Steinmeier ist kein Löwe, auch nicht im politischen Sinn. Ganz offensichtlich verraten die Bezeichnungen weniger über die Gemeinten als darüber, welchen Ansprüchen sie genügen sollen, um als öffentliche Figuren zu funktionieren. Es nutzt den Politikermännern dabei immer weniger, dass sie Löwen sein sollen. Jedenfalls hat man in jüngerer Zeit ganz schön viele Löwen auf dem Maul landen sehen. Das Ausmaß, in dem die Führungsfrau Merkel derzeit mit dem Führen versagt, ist dagegen nach wie vor nicht voll ausgeleuchtet.

Wahrscheinlich haben die Medien in dem Versuch, klischierte, also diskriminierende Zuschreibungen gegenüber Spitzenfrauen zu vermeiden, einen neuen Schonraum für Frauen geschaffen. Die „Alphatiere“ aus der Schröder-Ära mochten ein paar Jahre manchen beeindrucken. Inzwischen wird jeder belächelt, der Schröders Parteitags-Röhren nachahmt. Die Alphaweibchen röhren nicht. Sie wissen warum. Aber sie liefern deshalb auch keine süffigen Geschichten von Aufstieg und Fall, von Risiko und Scheitern. Wer sich den manchmal auch notwendigen, bisweilen auch wahren Klischees der Geschichte von der Macht entzieht, bekommt dann auch weniger Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich verbirgt sich ein Rückschritt in jedem Fortschritt.

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