Auch Nordafrikaner sind nützlich

Migration Der Sachverständigenrat verlangt eine runderneuerte Migrationspolitik – und übernimmt dabei 1:1 die Diktion der Arbeitgeberverbände

Eine „mutige Generalüberholung“ der Migrationspolitik forderte heute Klaus Bade, Chef des Sachverständigenrats für Integration und Migration: „Deutschland muss sich migrationspolitisch runderneuern.“

Der Sachverständigenrat legte zum zweiten Mal sein Jahresgutachten zum Stand von Integration und Migration vor. Nach eher sanften Tönen im Jahr 2010 hat der Rat aktuell sowohl die Formulierung der – im Grundsatz bekannten – Forderungen wie der Bewertungen angeschärft. Die Einkommensschwelle für hochqualifizierte Zuwanderungswillige müsse heruntergeschraubt werden, ein Punktesystem für die gesteuerte Zuwanderung her, internationale Studierende bräuchten mehr Chancen, im Land zu bleiben. Deutschland befinde sich noch „im Vorfeld des demografischen Orkans“, so Bade, der Fachkräftemangel werde sehr bald durchschlagen, es sei daher alles zu tun, Hochqualifizierte – deutsche wie nicht-deutsche – im Land zu halten oder ins Land zu holen.

Damit über nimmt der Rat die Diktion der Arbeitgeberverbände im Maßstab 1:1. Der Sachverständigenrat ist unabhängig, aber von den einschlägigen großen Industriestiftungen (Volkswagen, Körber, Bertelsmann...) getragen. Neben Migrationsforschern wie Bade oder der Bremer Bildungs-Professorin Yasemin Karakasoglu gehört ihm etwa auch der Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) Thomas Straubhaar an. Immerhin aber wird im Gutachten das Thesenangebot dann noch aufgefächert: Nicht nur die "Hochqualifizierten" stehen im Mittelpunkt. So habe sich auch die befristete oder saisonale Arbeitsmigration im niedrig qualifizierten Bereich (Stichwort: Spargelernte) als „Erfolgsfall der Migrationssteuerung“ erwiesen.

Die Forscher haben auch die Haltung der migrantischen wie der nicht-migrantischen Bevölkerung zur Migration erfragt, die nicht vorrangig nützlich ist. Hier kommen sie zum Schluss, dass es „eine überraschend hohe Zustimmung“ dafür gibt, Flüchtlinge und Asylsuchende aufzunehmen: 48,5 Prozent der deutschstämmigen, 40,9 Prozent der Zuwanderer seien dafür. Die Bürger seien demnach zu nüchternen Einschätzungen durchaus in der Lage, die Politik sitze „hysterischen publizistischen Diskursen“ auf, wenn sie – wie aktuell die Union – ihre Schotten-dicht-Diskussion betreibt. Schließlich sei Nordafrika der Raum, der als künftiger Ausgangsraum für notwendige Zuwanderung ins Auge zu fassen sei. Denn Osteuropa werde ebenfalls aus demographischen Gründen dafür bald nicht mehr in Frage kommen. Der Rat warnt daher vor „auch wirtschaftsfeindlicher populistischer Kulturpanik“.

Die Festung Europa dürfe sich demnach schon aus arbeitsmarkt-ökonomischen Gründen „nicht länger darauf beschränken, ihre Außengrenzen abzuschotten“. Es brauche legale Zuwanderungswege, etwa „zirkuläre Migrationsprogramme“. Solche Programme sehen vor, dass Migranten hierzulande im Job Qualifikationen erwerben, die sie nach einer verabredeten Zeit wieder ins Herkunftsland mit zurückbringen – man denke an Pflegekräfte, die medizinisches Fachwissen mit zurück in Länder nehmen, in denen es dringend gebraucht wird.

Das Gutachten zeigt deutlich, wie auch humanitäre Aufgaben, wie selbst die Solidarität mit Armutsmigranten nun in das Schwungrad der demographisch-ökonomischen Pro-Migrations-Argumentation eingespeist werden. Die Integrationspolitiker mögen meinen, dass sie sich damit den Vorwurf der Naivität, der Multikulti-Schönfärberei ersparen. Damit aber reden sie ihr eigenes Umfrage-Ergebnis klein, wonach immerhin die Hälfte der Befragten es in Ordnung zu finden scheint, Flüchtlinge unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit willkommen zu heißen. Im Willen zur Überanpassung an den beinharten Arbeitgeberdiskurs verschenken sie die Chance, die soziale Seite des konstatierten „Migrationsrealismus'“ zur Geltung zu bringen. Bedauerlich.

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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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