Bewerbungstraining für die Förderindustrie

Hartz-IV-Reform Jetzt soll bei den Bundesagenturen gespart werden, insbesondere den Weiterbildungsmaßnahmen. Die aber sind schwer zu verteidigen, weil oft nur die Anbieter profitieren

Gering genug sind die zusätzlichen Leistungen für Hartz-IV-Familien, die jüngst beschlossen wurden – und doch müssen die notwendigen Milliarden Euro dafür aufgebracht werden. Die Bundesregierung scheint bereits eine Geldquelle ausgemacht zu haben – die Bundesagentur für Arbeit, genauer: die Weiterbildungs- und sonstigen Maßnahmen, mit denen Arbeitslose ins Erwerbsleben ein- oder zurückgeschleust werden sollen.

Der verzweigte Apparat der Arbeitsförderung war noch allen Arbeitsministern ein Dorn im Auge. Schon von der Leyens Vorgänger Olaf Scholz ließ das Angebot in der Breite reduzieren. Schwarz-Gelb schrieb sich in den Koalitionsvertrag, den Instrumentenkasten der Arbeitsmarktpolitik zu sortieren.

Kreuzchentests für Hochschulabsolventen

Angesichts des selbst verhängten Sparzwangs – auch die nächste Ankündigung von Steuersenkungen hängt schon in der Luft – sieht es aus, als würde aus dem Aufräumen vor allem ein Wegwerfen. Die Frage stellt sich: Wer verteidigt sie, die Ein-Euro-Jobs, die Maschinenschreib- und Computersemi­nare, die als „Qualifizierung“ getarnten Hilfsjobs in Firmen, welche das Fördersteuergeld gern einstreichen?

Viele Arbeitslose empfinden ihre „Maßnahme“ als Gelegenheit, zumindest irgendeine Form gesellschaftlicher Teilhabe zu leben. Doch viele berichten auch bass erstaunt davon, wie sie sich in einem Kurs wiederfanden, in dem kaum mehr als der Eindruck vollständiger Sinnlosigkeit produziert wurde. Da sollen dann Hochschul-Absolventen ihre Deutschkenntnisse mit Kreuzchentests verbessern. Frauen, deren Hauptproblem ihre außer Kontrolle geratenen Kinder sind, sollen sich mit der Erstellung von Excel-Tabellen identifizieren. Gut gebildete, aber aus dem Markt gefallene Arbeitssucher werden beim Bewerbungs­training das Gefühl nicht los, dass der Kursleiter die Person im Raum mit dem größten Qualifikationsdefizit ist.

Die Quasi-Privatisierung der Förderindustrie hat nicht dazu geführt, dass die Arbeitslosen maßgeschneiderte, interessante Angebote bekommen, sondern dass die Anbieter sich unter wilden Versprechungen mit einem einzigen Ziel um die Klienten balgen: Die Stunden mit der Bundesagentur abzurechnen.

Es macht die Sache nicht besser, dass die Verfilzung der Bildungsträgerszene mit Ämtern und Politik in vielen Städten ausgesprochen auffällig ist.

Die mit den besten Beziehungen profitieren

Der kürzlich präsentierte Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zur Wirksamkeit der Fördermaßnahmen dient zur Entäuschung von Schwarz-Gelb nicht als Steilvorlage fürs Kürzungsregiment. Das Institut kam zu ganz uneindeutigen Schlüssen: Einerseits stiegen die Chancen der Arbeitslosen durch die Maßnahmen leicht an, andererseits zeigt das Gutschein-System, nach dem sich die Arbeitslosen ihre Maßnahme selbst suchen, auch spaltende Folgen: Diejenigen mit den allergrößten Problemen profitieren wieder einmal am wenigsten.

Wenn es gut läuft, wird die kommende Debatte über Einsparungen bei der Bundesagentur wenigstens zur Chance, über die Art Förderung zu reden, die den Arbeitslosen nützt und nicht nur den Weiterbildnern. Wenn es schlecht läuft, werden einfach ein paar Milliarden gestrichen, und nur die Anbieter mit den besten Beziehungen zum örtlichen Jobcenter bleiben am Markt erhalten.

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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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