Bis die Spitze abbrach

Pop-Politiker Guido Westerwelle wird fehlen: Er verkörperte den Triumph der Hülle über den Inhalt und schuf einen unverwechselbaren Sound

Er wird uns fehlen. Es wird Zeit, das zuzugeben. Guido Westerwelle nur noch als Außenminister, das ist einfach nicht das gleiche wie Guido Westerwelle als Parteichef. Westerwelle-der-Parteichef hat einen Ton in die Politik eingeführt, den sonst keiner beherrscht, der vielleicht auch unnachahmlich ist. Es ist der Sound einer popkulturellen Hysterie, eines stets bedrohten Egos, das sich durch die Zeichen und Formen der Jugendkultur hindurchgearbeitet hat, bis es auf der Note der immer nur mühsam unterdrückten, blanken Aggression angekommen ist.

Westerwelle mit Flaschenbier im Big-Brother-Container (Oktober 2000), bei Stefan Raab in TV Total (zwei Tage später), Westerwelle als Kanzlerkandidat mit der gelben 18 an der Sohle (2002) – „wie lange wollt ihr dem Mann das noch vorhalten?“, fragten seine Unterstützer schon 2005, im Zurück-zur-Ernsthaftigkeit-Wahlkampf.

Doch hat ja Westerwelle in den Spaßjahren nur die Form erprobt, die seiner politischen Idee, der einzigen, die er vermutlich je hatte, am nächsten kommt: Die Hülle reicht. Auch Inhalt ist Hülle. Arbeite an der Hülle, verwandle sie, mache sie interessant, biete sie feil, verkaufe sie, damit ist das Geschäft von Guido Westerwelle schon beschrieben. Es ist natürlich das Geschäft des Pop. Dem Popstar wird anerkennend attestiert, er sei imstande, seine Hülle stets zu verändern und sich genau darin treu zu bleiben. Ebendies ist der Grund, warum jedermann bereit war, Westerwelle zu glauben, dass er nun lieber seriös sein wollte, warum aber niemand glaubte, es sei ihm ernst mit der Seriosität.

Viertelsekündige Grinsemaske

Solange er nur garantierte, er werde mit all seinen Verkaufsfähigkeiten die Interessen der Besserbetuchten vertreten, hatten diese auch kein Problem damit, dass einige Politikästheten Westerwelle zu schrill fanden. Fast kein Problem. Es gab den Parteitag im Mai 2009 in Hannover, auf dem Westerwelle im Stakkato seine Wahlkampfrede ins Mikrofon schrie: „Wir wollen regieren! Kämpft für uns! Die Kraft der Freiheit!“, und plötzlich, beim Wort Freiheit, zog sich das Gesicht in die Breite, es wurde ein Lächeln, er brüllte: „Ich danke Ihnen!“, das Lächeln war jetzt vollendet, eine viertelsekündige Grinsemaske, er wandte sich ab, das Getöse seiner Rede hing noch als Nachhall im Saal, es war gespenstisch. Mancher glaubte, eine unheimliche Erscheinung gehabt zu haben. Selbst die Redakteure der großen Zeitungen – auch die Politikchefs waren dabei, man machte der künftigen Regierungspartei seine Aufwartung, einige Blätter waren mit regelrechten Delegationen angerückt – mussten schlucken.

Und dann musste regiert werden, und plötzlich wurde deutlich: Westerwelle fand aus seiner Inszenierung der Entschlossenheit und Seriosität nicht mehr heraus. Er hätte ja bloß die wichtigen und interessanten Themen vortragen müssen, die seine Ministerialen ihm aufschrieben. Doch seine eigene Form hielt ihn gefangen. Ist es verwegen, in Guido Westerwelle einen Michael Jackson der Bundespolitik zu erkennen, der sich selbst und seinem Selbstbild nicht mehr vertraut, der nun am Image des Staatsträgers so lange feilte wie Jackson an seiner Nase – bis die Spitze abbrach?

Westerwelle wird fehlen. Er verkörperte den Triumph der Hülle über den Inhalt. Am Pol Westerwelle ließen sich noch Differenzen zeigen: Sigmar Gabriel mag oberflächlich wirken, aber was war dann Westerwelle? So gesehen, war Westerwelle eine Bereicherung der Demokratie: Er bewies, dass es noch unterschiedliche Grade für den Mangel an Glaubwürdigkeit gibt.

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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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