Das Falsche aus falschen Gründen tun

Libyen-Frage Bei SPD und Grünen herrscht Chaos. Mancher mag wohl aus Wahlkampf-Kalkül plötzlich Interventionsfan sein. Scheitert die rot-rot-grüne Idee doch an der Außenpolitik?

Es ist wirklich mehr als originell, wenn sich Vertre­terinnen und Vertreter der Opposition jetzt ins Fern­sehen stellen und die Regierung in der Libyen-Frage der Wankelmütigkeit und Zerstrittenheit bezichtigen. Denn tatsächlich hatte der überraschende Beschluss des UN-Sicherheitsrats zugunsten einer Militärintervention gegen Muammar Gaddafi SPD wie Grüne sogar noch schneller und gründlicher verwirrt als die Regierungsreihen.

Es hatten eben allesamt gehofft, der Kelch einer Urteilsfindung werde an ihnen vorübergehen, man werde sich schon wie gewohnt hinter den USA verstecken können – und so­lange die sich in Libyen nicht einmischen wollten, werde man das von Deutschen auch nicht erwarten. So sieht das in der Praxis also aus, wenn seit Jahren im Bundestag von links bis rechts eine neue „selbstbewusste“ und „eigenständige“ Außenpolitik herbeigebetet wird. Als die USA dann plötzlich doch wollten, wagten Angela Merkel und Guido Westerwelle den Absprung – sicherlich aus mindestens zweideutigen Motiven, soviel ist klar. Doch soll es vorkommen, dass auch Politiker bisweilen das Richtige aus den falschen Gründen tun.

Die SPD hatte dagegen erst Richtung Regierungslager signalisiert, sie werde bei der Enthaltung mitziehen, um sie seither ausführlich zu geißeln – als hätte sie tiefere Einsichten darüber, um wen es sich bei den zu unterstützenden libyschen Rebellen überhaupt handelt, wie der Einsatz von Bodentruppen sich am Ende vermeiden ließe, und was die Intervention des Westens für den gesamten arabischen Aufstand noch bedeuten könnte. Die Grünen redeten einfach in alle Richtungen gleichzeitig los. Hatte der Oberaußenpolitiker Jürgen Trittin soeben noch die Enthaltung gelobt, fand Oberparteichef Cem Özdemir sofort darauf, sie sei ganz falsch, was nach Meinung von Oberchefin Claudia Roth aber keine Unterstützung der Militärintervention bedeute, worauf sich zwei Tage später dann auch Trittin überlegte, dass eine Unterstützung im Weltsicherheitsrat möglicherweise ja ohne deutsche Flugzeuge und Soldaten auch funktioniert hätte.

Selbst bei wohlwollendster Betrachtung muss man hier zweierlei unterstellen: SPD und Grüne suchen die Differenz zu Union und FDP aus wahlkampftaktischen Motiven. Den Schwung des ungeheuerlichen Glaubwürdigkeitsverlusts, den Schwarz-Gelb gerade in der Atompolitik erleidet, versuchen sie nun in einer außenpolitischen Frage zu nutzen und zu verstärken. Außerdem liegt der Verdacht sehr nahe, dass die plötzlichen Interventionsfans auf einen Erfolg des Westens setzen und sich frühzeitig auf die Seite der Sieger und damit der Demokratiebewegung schlagen wollen. Als Opposition tragen sie sowieso keine reale Verantwortung für den Angriff und seine Kollateralschäden.

Wer derartig verunsichert und inkonsequent durch die Außenpolitik stolpert, braucht sich dann auch nicht über die Linkspartei zu ärgern. Die stellt sich manchen Fragen eben gar nicht erst und erwirbt ihre Einstimmigkeit daher billig, hat aktuell aber ausreichend Grund, sich über die Kollegen im Oppositionslager lustig zu machen. Wobei vom Begriff „Lager“ unter diesen Umständen wohl langsam Abschied zu nehmen ist. Es sieht aus, als könnte die rot-rot-grüne Idee doch an der Außenpolitik scheitern.

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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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